Dienstag, 23. April 2024

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Kinderzimmer Productions sind zurück
"Bullshit, Bravado und Gequatsche"

Poetisch-knallige Raps und Jazzgrooves: Kin­derzimmer Produc­ti­ons aus Ulm waren lange eine feste Größe im deutschen Hiphop. Nach zwölf Jahren Pause kommt nun das neue Album: "Todesverachtung To Go". Wenn die Musik "anfängt zu rollen", schwärmte Rapper Textor im Dlf, "macht Leben einfach Sinn."

Bernd Lechler im Corsogespräch mit MC Textor | 11.01.2020
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Comeback nach langer Pause: Kinderzimmer Productions (Max Zerrahn)
Warum die Trennung vor zwölf Jahren? Hiphop hatte sich damals stark verändert, erinnert sich Henrik von Holtum alias Textor, der inzwischen in Berlin lebt: Die authentische Ghetto-Herkunft galt zunehmend als Bedingung und Qualitätssiegel, und das habe in der battle-orientierten Hiphop-Kultur dazu geführt, dass die Texte immer drastischer wurden. Was sich wiederum auf die Haltung der Fans ausgewirkt habe: "Das Publikum war plötzlich so wie Gaffer an einem Unfallort – ‚Boah, wie krass!‘ Und das fand ich wahnsinnig unsympathisch."
Gangstarapper ignorieren
Nun hat sich diese Entwicklung ja keineswegs groß verändert, im Gegenteil – in den deutschen Charts wimmelt es von Gangstarappern und ihren Geschichten über Nutten, Koks und Kohle. Textor sagt, er könne jetzt aber besser damit umgehen, "dass Hiphop den Weg allen Fleisches gegangen" sei: Kommerzialisierung eben, weniger Neuerungen, und Geld werde auch mit schlechter Ware verdient, von Leuten, denen die reine Lehre herzlich egal sei. Sei’s drum: "Ich kann für meine Aussage garantieren, ich kann nicht für Hiphop als Ganzes haften, und was Hiphop als Ganzes tut oder lässt, ist nicht so sehr mein Problem wie früher."
Samples, Drumloops - und Haltung
Ebenfalls kein Problem: Dass Kinderzimmer Productions sich nicht groß um die derzeit angesagten Stile kümmern. Statt etwa Beats digital zu programmieren, loopen sie Schlagzeug-Breaks wie schon vor zwölf Jahren und davor. "Wir haben von dieser Hiphop-Autobahn irgendwann mal eine Abzweigung genommen. Das heißt, wir kommen aus derselben Wurzel, haben dann aber eben die Idee des Samplings weiterverfolgt, die heute kein Thema mehr ist." Aber "retro" will er den Sound von Kinderzimmer Productions deswegen nicht nennen – schließlich könne man sich auch in diesem Bereich weiterentwickeln. "Es wäre ja fatal zu sagen: Nur weil ich ein Klavier benutze, muss das altbacken sein." Samples und Drumloops bleiben also ihre Old-School-Mittel – "aber dann ist es eben eine Frage der Haltung."
Reime über Klassenkampf und Rassenhass
Das gilt natürlich auch für die Texte. Bei Reimen wie "Klassenkampf und Rassenhass / Runter mit den Handschuhn / Geil, Gewalt, Kamera drauf, ranzoomen" oder "Hochmotivierten Hunger zeigen / während wir lockerlassen und lecker bleiben" ist klar: der Blick geht nach draußen, richtet sich kritisch und reflektierend auf die Gegenwart, aber von 'Themen' will Textor nichts wissen – er habe sich noch bestimmte Inhalte vorgenommen, um darüber zu rappen. Eher sind es einzelne Sätze, originelle Reime, die ihm einfallen und die sich auch verselbständigen dürfen: "Es ist viel einfach Bullshit und Bravado und Gequatsche. Hiphop ist: Draufhauen, und dann sehen, was passiert."
Unheimliche Harmonie
Wenn es um die Zusammenarbeit mit seinem Weggefährten Sascha Klammt alias MC Quasi Modo geht, kommt Henrik von Holtum ins Schwärmen. "Das war fast unheimlich." Die beiden kennen sich, seit sie vier sind und waren noch nie uneins über die Qualität einer Idee oder eines Track, auch nach zwölf Jahren Pause nicht. Und weil sie sich auch darin einig sind, dass dieses neue Album gelungen ist, war ihnen offenbar kein bisschen mulmig dabei, nach dieser langen Zeit wieder etwas zu veröffentlichen. Schließlich gehöre zum Erwachsenwerden auch eine innere Unabhängigkeit, sagt MC Textor. "Für uns ist das Album der Shit. Das reicht!"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.