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Kino des Lebens

Zellforscher der Uni Bonn haben erstmals gefilmt, wie ein wichtiger biologischer Informationsträger, die Boten-RNA, vom Zellkern über dessen Hülle in das Zytoplasma der Zelle selbst gelangt. Die Auswertung dieser Reise gelingt nur mithilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera, die 500 Bilder pro Sekunde schießt. Zum Vergleich: Ein Kinofilm im zeigt 24 Bilder pro Sekunde.

Von Michael Lange | 30.05.2012
    Um Zellbiologie live zu erleben, brauchen die Wissenschaftler am Institut für physikalische und theoretische Chemie der Universität Bonn lebende Zellen. Und die entstehen ganz biologisch im Keller des Instituts. Hier wachsen Mückenlarven in Plastikschalen, die mit Wasser gefüllt sind. Im Grunde imitieren die Forscher einen Tümpel, erklärt der Biologe Jan Peter Siebrasse.

    "Was wir in diesem Raum simulieren, ist ein kalter Sommertag. Die Beleuchtung ist jetzt auf etwa 16 Stunden eingestellt. Gleichzeitig wird der Raum aber runter gekühlt."

    Die Bonner Forscher interessieren sich für die Speicheldrüsen der Mückenlarven, denn deren Zellkerne sind besonders groß. Sie spritzen fluoreszierende Proteine in die Zellkerne hinein, um einzelne Strukturen sichtbar zu machen. Die Liveaufnahmen finden dann in einem dunklen Raum statt. Jan Peter Siebrasse nennt ihn den "Spielplatz der Physiker":

    "Wir haben das Protein, das uns interessiert mit einem Farbstoff markiert, der über rotes Laserlicht angeregt werden kann. Sie sehen: Der rote Laser kommt von hier. Und dann haben wir noch einen zweiten Laser in grün, den benutzen wir um die Kernhülle sichtbar zu machen."

    Auf dem Monitor neben einem großen Mikroskop ist eine dicke Linie zu sehen, die Hülle des Zellkerns. Und viele weiße Punkte vor schwarzem Hintergrund - wie Schnee im Bild eines defekten Fernsehers. Unspektakulär für den Laien. Aber der Doktorand Tim Kaminski kann die Livebilder aus dem Innern der Zelle interpretieren.

    "Also hier ist der Kern, auf der linken Seite. Auf der rechten Seite das Zellplasma und irgendwann sieht man ein Partikel, der da durchgeht. Leider sehr selten. Die brauchen viele Versuche, um da durchzukommen. Man muss sehr viel Messzeit darauf verwenden, um einige Ereignisse zusammen zu bekommen."

    Die weißen Punkte, die Partikel, sind angefärbte Boten-RNA-Moleküle. Sie passieren die Poren des Zellkerns von innen nach außen. Die Auswertung dieser Ausreise gelingt nur mithilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera. Sie macht 500 Bilder pro Sekunde. Damit die Bilder scharf werden, beleuchtet die Apparatur nur eine dünne Schicht der Zelle, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Ulrich Kubitscheck.

    "Wir beleuchten unsere Probe von der Seite her mit einem sogenannten Lichtblatt. Das heißt: Wir beleuchten mit einer komplexen Optik, einer Zusammenstellung von Linsen, eine schmale Lichtschicht, die scheibenförmig ist und die koppeln wir in die Probe ein. Wir beleuchten also nur die Schicht, die wir auch wirklich sehen wollen. Darüber und darunter ist es finster."

    Die Bonner Wissenschaftler wollen wissen, wie eine Boten-RNA, nachdem sie im Zellkern hergestellt wurde, den Zellkern verlässt, um ihre biologische Information in das Zellplasma zu bringen. Zunächst wird der feine, lange RNA-Faden in einem Proteinkoffer verpackt. Dann muss er zu den Poren der Zellkernhülle gelangen. Wie die Livebilder jetzt zeigen, ist der Transport aus dem Zellkern kein gerichteter Prozess, sondern er gleicht eher einem chaotischen Gewusel.

    "Diese wirklich ungerichtete Bewegung führt aber doch dazu, dass sie irgendwann zufällig diese Hülle treffen. Dort müssen sie dann auch noch eine Pore antreffen. Das geschieht auch nicht immer. Und unsere Arbeiten haben jetzt geklärt, dass ein wirklicher Transport durch die Hülle nur in 25 Prozent aller Fälle stattfindet."

    Bevor der Proteinkoffer mit der wertvollen Boten-RNA durch die Pore nach draußen darf, verweilt er kurz. Die Forscher vermuten eine Art Zollkontrolle. Und manchmal wird tatsächlich ein RNA-Koffer zurückgewiesen. Ausreise verweigert. Was und wie dort überprüft wird, wissen die Forscher noch nicht. Aber sie planen bereits den nächsten Schritt. Eine Art 3D-Kino aus dem Innern von Mückenzellen.