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Kino wie vor 50 Jahren

Stephan Reifenrath hat einen Traum: ein Kino wie in den 60er-Jahren. In Hamburg-Wilhelmsburg arbeitet der Geschäftsmann mit vielen Helfern daran, die 100 Jahre alten Rialto Lichtspiele wieder aufzubauen. Er will einen kulturellen Treffpunkt für das ganze Viertel schaffen.

Von Dirk Schneider | 07.03.2013
    "Willkommen im kaputtesten Kino Hamburgs! Ich mach mal ein bisschen Licht an."

    Stephan Reifenrath schließt den Notausgang des alten Rialto Kinos in Hamburg Wilhelmsburg auf: ein stolzer, in die Jahre gekommener Saal. Die gewölbte Decke hat riesige Löcher, aber vorne hängt noch der rote Samtvorhang, an den Wänden bunte Plastiklampen aus den 60er-Jahren. Im Hintergrund laufen große Trockengebläse: Ein Vierteljahrhundert lang hat es hier reingeregnet.

    "Das erste Mal war ich hier drin im September 2008. Ich bin reingekommen durch diese Seitentür, und hier oben standen die Sitzreihen noch. Der Boden unten war vermodert und total aufgelöst. Und es war wie so ein Schatzsuchergefühl. Diese roten Cordsitze mit den goldenen Rändern oben an den Stühlen dran, und diese Leinwand, und oben der Projektorraum, das war alles so abgeschlossen und vergessen."

    1913 wurde das Gebäude als Theater eröffnet, hundert Jahre später, genauer: am 4. Mai, sollen wieder Zuschauer den Saal füllen. Bis jetzt sieht es noch nicht danach aus, doch viele ehrenamtliche Helfer aus dem Stadtteil helfen dabei, "ihr" altes Kino wieder zum Leben zu erwecken. Für ein halbes Jahr soll das Rialto dann Treffpunkt für alle Wilhelmsburger sein, nicht nur, um Filme zu schauen, auch für Lesungen, Konzerte und Theater. Eine Programmchefin hat Stefan Reifenrath sogar fest angestellt: Eva Steindorf:

    "Wir haben hier auch aus dem Stadtteil einige Kuratoren, es gibt ja insgesamt fünf Kuratoren, zwei davon für Musik und einen für Theater, Kino und Literatur, die auch selbst hier Kontakte sammeln. Es gibt Autoren, die hier leben, die hier lesen werden. Es gibt auch viele, viele Bands, also die Musikszene hier ist in den letzten Jahren stark gewachsen, die haben bisher hier keinen Ort."

    Wilhelmsburg ist ein sehr bunter Stadtteil: viele Migranten verschiedener Nationalitäten, daneben alteingesessene Deutsche, die ihre Balkone gerne Schwarzrotgold schmücken, und schließlich junge Familien, die wegen bezahlbaren Wohnraums hierher gezogen sind. Sie alle an einem Ort zusammenzubringen, wäre eine enorme Leistung:

    "Ich denke, unter dem Strich gehen dann eher die neu Zugezogenen da hin, die sich freuen, dass ein bisschen Kulturleben in die Bude kommt. Bei den anderen Bevölkerungsschichten bin ich mir nicht so sicher, ob das überhaupt ankommt,"

    gibt sich ein junger Vater, der seit Kurzem im Viertel wohnt, skeptisch. Ein anderer junger Mann, in Wilhelmsburg aufgewachsen, ist optimistischer:

    "Ich lebe schon seit 25 Jahren hier, und bis jetzt wusste ich nicht mal, dass es hier ein Kino gab. Ich sag mal, Türken gehen hierhin, andere gehen dahin ... Ich hoffe es, dass man sich besser kennenlernt, auf jeden Fall."

    Der künftige Kinobetreiber Stephan Reifenrath ist erfolgreicher Geschäftsmann, der sich mit dem Kino, wenn auch nur für einen langen Sommer, einen Traum erfüllt. Das Projekt finanziert er aus Spenden, sein Engagement ist ehrenamtlich. Anschließend will er das Kino verpachten – falls sich jemand findet, der das nötige Kleingeld für eine echte Sanierung hat. Reifenrath selbst wohnt seit vier Jahren im Stadtteil. Die Deutschen, glaubt er, werden von alleine kommen. Viele Menschen hier haben noch gute Erinnerungen an das Kino:

    "Ich weiß nur, dass ich "Die Ratte Ben" da früher geguckt hab. Und dann kam ich raus, und da liefen dann wirklich Ratten rum, das fand ich nicht ganz so witzig."

    "Ja, als Kind, als Jugendliche, waren wir da im Kino, klar. Was lief da ... "King Kong", "Nordsee ist Mordsee" und solche Sachen. Das liegt ja schon ein paar Tage zurück."

    Und die migrantische Bevölkerung will Reifenrath mit Filmen in Originalsprache und Veranstaltungen zu verschiedenen Nationalfeiertagen locken. Der Mann hat einen Traum, und den will er mit möglichst vielen Menschen teilen:

    "Mit diesem 60er-Jahre-Kiosk, der hier eingebaut ist, und diesem Kassenhäuschen. Diese wahnsinnigen Zufälle, dass da draußen die Leuchtreklame noch unbeschädigt fast 30 Jahre überlebt hat. Und ich stelle mir das einfach toll vor, wenn hier in dem Kiosk wieder Süßigkeiten verkauft werden und dieses kleine Kassenhäuschen, wo dann über die Messingrutsche die Tickets verkauft werden, und es wird eine neue Glasscheibe eingesetzt, so ganz klassisch wieder mit dem Sprechloch hier in der Mitte, wie das einfach war, vor 30 Jahren in dieses Kino zu gehen. Das Gefühl muss genau so wieder entstehen."

    Rialto Lichtspiele Hamburg