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Kinofilm "Gelobt sei Gott"
Ein Kampf gegen das Schweigen und gegen die Zeit

Ein französischer Priester vergeht sich in den 1980er Jahren an Pfadfindern. Jahrzehnte später wird der zuständige Bischof wegen Vertuschung verurteilt. Regisseur François Ozon erzählt den Missbrauchsskandal von Lyon aus der Perspektive der Betroffenen. Zu sehen sind Schmerz, Ohnmacht und Stärke.

Von Marie Wildermann | 26.09.2019
Kardinal Barbarin wurde am Donnerstag, 7.3.2019 in Lyon zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er Missbrauch vertuscht hat. Aufnahme vom Prozessbeginn Anfang Januar
Im Film weist er zunächst jede Verantwortung von sich - inzwischen wurde Kardinal Barbarin zu einer Bewährungsstrafe wegen Vertuschung von Missbrauch verurteilt (imago stock&people)
Der 40-jährige französische Familienvater und Katholik Alexandre sitzt dem Priester gegenüber, von dem er als Kind sexuelle Gewalt erfahren hat. Es kostet ihn sichtlich Überwindung. Mit ihnen im Raum: eine kirchliche Psychologin. Alexandre antwortet widerwillig auf die Fragen des katholischen Priesters: Ja, er ist verheiratet. Ja, er hat Kinder. Fünf. Dann stellt Alexandre die Fragen:
- "Wissen Sie noch, was Sie mir als Kind angetan haben, samstagsnachmittags, oben im Fotolabor, von 1983 bis 1986?"
- "Ja."
- "Und an Portugal? Erinnern Sie sich auch daran? Im Zelt?"
- "Ja, ich erinnere mich daran."
Der Priester Bernard Preynat leugnet gegenüber Alexandre den sexuellen Missbrauch nicht. Im Gegenteil, er gibt zu, pädophil zu sein. Er habe darunter gelitten.
Alexandra fragt: "Was, Sie haben gelitten? Und was ist mit mir?"
- "Ich weiß, was ich Kindern angetan habe, aber es ist eine Krankheit, ich war in Behandlung, mehrere Male"
- "Gab es noch andere Kinder wie mich?"
- "Ja, es hat sehr viele gegeben. Vor allem bei den Pfadfindern. Es waren andere Zeiten."
Bevor Bernard Preynat sich weiter als Opfer inszenieren und die Taten verharmlosen kann, wird Alexandre deutlich: Er will, dass der Priester ein öffentliches Geständnis ablegt.
"Wären Sie bereit, die sexuellen Übergriffe, die ich damals durch Sie erleiden musste, öffentlich zuzugeben? Das ist wichtig für mich."
- "Das verstehe ich, Alexandre, aber öffentlich!?"
Die kirchliche Mitarbeiterin beendet das Treffen, indem sie beide Seiten auffordert, gemeinsam das Vaterunser zu beten. Widerwillig betet Alexandre mit. Beim Vers "Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern" wendet Alexandre sich ab.
Weltliche Gerichtsbarkeit
Schon die ersten Szenen des gut zweistündigen Kinofilms "Gelobt sei Gott" von François Ozon zeigt die ganze Problematik sexuellen Missbrauchs im Kontext der Kirche: Mangelndes Unrechtsbewusstsein der Täter, fehlende Verantwortung und fehlendes Mitgefühl für die Opfer, Relativierung der eigenen Schuld und die selbstgefällige Überzeugung, als Mitarbeiter der Kirche außerhalb weltlicher Gerichtsbarkeit zu stehen.
Alexandre möchte wissen: "Ich würde gerne erfahren, was gegen Pater Preynat unternommen wird. Wird er suspendiert? Gehen die Dinge voran?"
- "Ich bin offen zu Ihnen, vielleicht auch ein wenig brutal: Ich würde mal sagen, dass Pater Preynat ganz klar Priester sein und bleiben wird."
Es ist die reale Geschichte um den katholischen Priester Bernard Preynat, die der Filmemacher Ozon verfilmt hat. Über Jahre hat der Geistliche in Lyon Jungen missbraucht. Alexandre, eines der Opfer, bringt den Fall ins Rollen, nachdem er erfahren hat, dass der pädophile Priester noch immer Umgang mit Kindern hat.
Alexandre recherchiert nach anderen Betroffenen und nach und nach melden sich immer mehr Männer, die ebenfalls durch den Priester sexualisierte Gewalt erfahren haben. Viele sind durch den Missbrauch traumatisiert, haben Schwierigkeiten, Beziehungen zu leben, sind psychisch oder körperlich krank, leiden an Ängsten, unter Süchten.
Dann beginnen sie, sich regelmäßig zu treffen, über ihren Schmerz zu sprechen. Sie gründen einen Opferverein - Das gebrochene Schweigen – und wollen erreichen, dass Täter und Mitwisser bestraft werden. Ihr Kampf wird ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Taten drohen zu verjähren.
"Gelobt sei Gott, alle Taten sind schon verjährt"
Im Film weist der Vorgesetzte des Geistlichen, der Erzbischof von Lyon, Kardinal Barbarin, zunächst jede Verantwortung von sich: "Ich gebe natürlich zu, dass die Opfer extremer Gewalt ausgesetzt waren. Aber mir ist es wichtig, nochmal zu betonen: Ich habe niemals, niemals auch nur eine Tat gedeckt. Wir sind mit allen Fällen vertraut, und, gelobt sei Gott, sind sie alle schon verjährt."
Die Verfehlungen sollten außerhalb der Kirche nicht bekannt werden, um das Image der Kirche nicht zu beschädigen. Das war, wie bei fast bei allen kirchlichen Missbrauchsskandalen, auch die Strategie im Fall von Lyon. Dass es hier um Verbrechen ging, die vor ein Gericht gehörten, verdrängten die Verantwortlichen. Nur dem hartnäckigen Bemühen der Betroffenen ist es zu verdanken, dass die sexualisierte Gewalt in der Kirche öffentlich gemacht und Gerichtsprozesse erzwungen wurden.
Kardinal Barbarin wurde erst im Frühjahr dieses Jahres zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Regisseur François Ozon nimmt keine objektiv-dokumentarische Haltung ein, er erzählt die Geschichte ganz aus der Perspektive der Opfer.
Keine Drehgenehmigung für die Originalschauplätze
"Fast alle Figuren, die wir sehen, kommen wirklich so vor; sie werden mit ihren wirklichen Namen, mit ihren Klarnamen vorgestellt", sagt Josef Lederle, Chefredakteur des Magazins "Filmdienst", das von der Katholischen Filmkommission für Deutschland herausgegeben wird. Auch die Täter werden mit Klarnamen genannt. Dagegen ging Preynats Anwalt juristisch vor. Er versuchte, mit Hinweis auf die Unschuldsvermutung die Ausstrahlung des Films zunächst zu verhindern, setzte sich jedoch nicht durch.
Filmaufnahmen an den Originalschauplätzen wurde Ozon allerdings untersagt. "Sie haben ihm Steine in den Weg gelegt, dieses ganze Projekt ist quasi heimlich entstanden, er durfte nicht in Frankreich drehen, also die Kirchenaufnahmen, die wir hier sehen, sind in Belgien und in den Niederlanden entstanden", erklärt Josef Lederle.
Anfang Juli wurde Preynat durch eine kirchengerichtliche Entscheidung aus dem Klerikerstand entlassen, sein Strafprozess steht noch aus.
Regisseur François Ozon wollte ursprünglich keinen kirchenkritischen Film drehen, die katholische Kirche interessiere ihn überhaupt nicht, sagt Lederle. Ozon wollte einen Film über die Fragilität von Männern machen, quasi zufällig stieß er auf das Thema Missbrauch.
Versöhnlich ist der Schluss des Films nicht, aber er zeigt eindrucksvoll, wie die Ohnmacht überwunden werden kann: Wenn Missbrauchsbetroffene aus der Isolation herauskommen und über den Schmerz sprechen. Und wie sie Stärke und Souveränität zurückgewinnen, wenn sie sich gemeinsam gegen das erlebte Unrecht zur Wehr setzen.