Donnerstag, 28. März 2024

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Kinofilm: "Teheran Tabu"
Von der Doppelbödigkeit der iranischen Gesellschaft

Liebe und Sexualität sind Tabus im Iran – zumindest öffentlich. Wie aus Restriktionen Doppelmoral wird, zeigt der Kinofilm "Teheran Tabu". Er zeigt das Schicksal dreier Frauen. "Sie leiden genauso unter den Einschränkungen der Gesellschaft wie Männer", sagte Regisseur Ali Soozandeh im Dlf.

Ali Soozandeh im Corsogespräch mit Juliane Reil | 13.11.2017
    Szene aus Teheran Tabu: Pari, eine junge Frau mit Kopftuch, steht vor dem Richter
    In "Teheran Tabu" gerät die junge Pari in einen Strudel aus Doppelmoral und Prostitution ("Teheran Tabu" / Little Dream Entertainment / Camino Film)
    Juliane Reil: Angst mussten gestern leider auch die Menschen im Grenzgebiet zwischen dem Nordirak und dem Iran haben – es kam zu einem schweren Erdbeben. Medienberichten zufolge gab es Tote, Verletzte. Dabei ist das Leben im Iran ja sowieso nicht ganz einfach: Der Umgang von Frauen und Männern im Iran ist nicht nur stark von der Gesellschaft, von religiösen Gesetzen reglementiert, sondern auch von der Regierung. Schon allein Händchenhalten für ein unverheiratetes Paar an einem öffentlichen Ort in Teheran, ist zum Beispiel gefährlich. Wie stark die Iraner, und besonders die Iranerinnen, in ihren Freiheiten eingeschränkt sind, zeigt der Film "Teheran Tabu":
    Pari: "Guten Tag, Euer Ehren."

    Richter: "Die Akte ist unvollständig. Kommen Sie wieder, wenn Sie alles zusammenhaben."

    Pari: "Aber Sie haben sie nicht mal angesehen, Euer Ehren!"

    Richter: "Haben Sie denn die Einwilligung Ihres Mannes?"

    Pari: "Nein, aber ich werde…"

    Richter: "Dann besorgen Sie sie gefälligst und kommen sie wieder."

    Pari: "Ich komme seit fast 18 Monaten jeden Tag hierher. Mein Mann ist drogensüchtig, sitzt im Knast und hat seit 20 Monaten keinen Unterhalt bezahlt. Haben Sie wenigstens Mitleid mit meinem armen Sohn. Sie sind unsere letzte Hoffnung! Bitte unterschreiben Sie doch. Ich stehe für den Rest meines Lebens in Ihrer Schuld."

    Richter: "Ich brauche niemanden, der mir etwas schuldet. Aber eine Frau könnte ich schon brauchen."
    Reil: Pari, eine der drei weiblichen Hauptfiguren aus Teheran Tabu, die sich zur Prostitution gezwungen sieht, um ihren Sohn und sich zu ernähren. Sie beginnt ein Doppelleben. Ali Soozandeh hat bei dem Film Regie geführt. Guten Tag hier bei Corso!
    Ali Soozandeh: Guten Tag.
    "Gewollt oder ungewollt fließen eigenen Erfahrungen mit rein"
    Reil: In letzter Zeit gibt es viele Filme über den Iran. Kürzlich haben wir hier bei Corso über "Wenn Gott schläft" berichtet, im letzten Jahr über "Raving Iran", da ging es immer um Männer, um Musiker, die ihre Musik im Iran nicht machen konnten. Sie behandeln jetzt das Schicksal von drei Frauen. Warum stellen Sie Frauen in den Mittelpunkt Ihrer Geschichte?
    Soozandeh: Im Film geht es grundsätzlich um die Einschränkungen in der iranischen Gesellschaft, besonders sexuelle Einschränkungen. Und das betrifft sowohl Männer als Frauen. Aber ich glaube, die Frauen leiden noch mehr darunter. Zum Beispiel sind sie für die Ehre der Familie zuständig. Wenn sie, bevor sie heiraten, Sex haben, können sie diese Ehre verletzen. Das ist ein großer Druck auf Frauen in der Gesellschaft. Oder zum Beispiel: Sie müssen die Regeln… der nächsten Generation dieselbe Regel beibringen, die sie selber eingeschränkt hat, das ist noch ein weiterer Druck. Wie gesagt, die Frauen leiden genauso darunter, unter den Einschränkungen der Gesellschaft, wie die Männer.
    Regisseur Ali Soozandeh im Deutschlandfunk
    Regisseur Ali Soozandeh im Deutschlandfunk (Deutschlandradio/Adalbert Siniawski)
    Reil: Wie haben Sie dazu recherchiert? Oder ist das eigene Erinnerung?
    Soozandeh: Teils, teils. Also, wenn man anfängt zu schreiben, bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt fließen eigene Erfahrungen und alles, was man gesehen hat oder gehört hat, mit rein. Ich habe auch mit vielen anderen Iranern Gespräche geführt, die neulich aus dem Iran gekommen sind, aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft, Studenten, Geschäftsmänner oder einfach Flüchtlinge. Es gibt auch genug Blogs, die von Iranern, die im Iran leben, geschrieben werden; es gibt genug Handyklips, die auf YouTube laufen, aktuelle Klips. Da kann man halt vergleichen mit dem, was man selber erfahren hat. Einiges hat sich verändert, einiges ist geblieben. Und da kann man sich schon ein Bild machen.
    "Es ist kein Dokumentarfilm"
    Reil: Erzählen Sie uns von einer Frau, von einer Figur aus diesem Film.
    Soozandeh: Pari zum Beispiel, eine Prostituierte, die mit ihrem sechsjährigen Sohn alleine zurechtkommen muss und ihren Lebensunterhalt als Prostituierte verdienen soll. Zum Beispiel habe ich in der U-Bahn ein Gespräch zwischen zwei jungen Iranern gehört, die von ihrem Urlaub in Teheran gesprochen haben und von Erfahrungen mit Frauen und Mädchen. Und da kam auch zum Beispiel eine Prostituierte vor, die ihr Kind dabei hatte. Das war ein Bild und ein Charakter, das uns dazu geführt hat, dieses Buch zu schreiben. Das ist einer von drei Charakteren, die im Buch vorkommen. Ich muss aber dazu sagen: Es ist eine fiktive Geschichte, alles ist erfunden. Die Charaktere, die Hintergründe sind erfunden, alles passiert in einer Fiktion. Es ist halt kein Dokumentarfilm über eine iranische Gesellschaft.
    Wir haben noch länger mit Ali Soozandeh gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Reil: Und diese Schicksale leben ja im Prinzip auch davon, dass zum Beispiel eine Pari, diese Gestalt, das verdeckt leben muss, diese Prostitution. Und Sie zeigen da auch eine sehr krasse Szene: Dass Sie nämlich einem Taxifahrer einen Blowjob besorgt. Und das Interessante ist, dass dieser Film mit echten Schauspielern gespielt ist, aber dann nachträglich animiert wurde. Ich habe mich gefragt: Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden? Sie hätten ja den Film auch in natura belassen können und nicht animiert zeigen können.
    Soozandeh: Na, gut, im Iran konnten wir das nicht drehen. Dafür braucht man Drehgenehmigungen – und die kriegt man vom Kulturministerium und vom Polizeidepartment im Iran. Das hätten wir nicht bekommen können. Andererseits kommen wir aus der Animationsecke und kennen uns aus mit den Stärken und Schwächen von Animation. Eine der Stärken der Animationsbilder ist: Dadurch, dass sie nicht so konkret sind, lassen sie ein bisschen mehr Freiraum in den Köpfen der Zuschauer. Diese Eigenfantasie, dieses Kopfkino, ist so stark – viel stärker als Bilder, die man kreieren kann. Und das schafft ein bisschen Distanz zum Geschehen – besonders bei solch einem harten Thema kann man das gut verwenden. Die Methode, die wir verwendet haben, Rotoskopie … Das Arbeiten mit realen Schauspielern bringt ein bisschen Realität in die Animation mit rein.
    Der Abstand ist ein Privileg
    Reil: War es denn auch wichtig, die Schauspieler vielleicht zu schützen durch diese Entscheidung für den Animationsstil in Ihrem Film?
    Soozandeh: Das ist leider nicht möglich. Wenn man die Originalaufnahmen mit den Animationsbildern vergleicht – die sind fast identisch. Das kann man sofort erinnern, welcher Schauspieler das ist. Das ist kein Schutz, das bietet auch keinen Schutz. Die Schauspieler wussten auch, dass es für sie ein Risiko hat, in dem Film zu spielen und da haben wir auch Gespräche geführt. Manche Schauspieler, die wir gecastet haben, wollten nicht mitmachen, weil sie nach Iran reisen. Und die, die mitgemacht haben, wussten schon Bescheid, dass es halt ein gewisses Risiko dabei hat.
    Reil: Sie sind im Iran geboren, mit 25 sind Sie, glaube ich, fortgegangen und seitdem leben Sie in Deutschland.
    Soozandeh: Genau.
    Reil: Wie ist das für Sie, als jemand, der nicht mehr im Iran vor Ort ist, also als Exilant Filme macht? Ist das auch so ein bisschen eine Luxussituation, eben in das Land hineinzugucken und nicht selber dort vor Ort zu sein?
    Soozandeh: Das ist auf jeden Fall eine große Möglichkeit, die viele Künstler im Iran nicht haben. Nicht nur die Möglichkeit, Filme zu machen, sondern das Ganze mit ein bisschen Abstand zu betrachten. Wenn man halt dort geboren ist und aufgewachsen ist, betrachtet man vieles als normal. Zum Beispiel diese ganze Doppelmoral, die verschiedenen Gesichter, die man anlegen muss, um durch den Alltag zu kommen. Oder Korruption. Das empfindet man nicht als so schlimm. Ich habe es als schlimm empfunden, als ich dann diese Distanz hatte zur Gesellschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.