Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Kinopremiere
Der unheimliche Dr. Caligari

"Das Cabinet des Dr. Caligari" zählt zu den wichtigsten Filmen der Kinogeschichte. Seine ungewöhnliche expressionistische Ausstattung war ein Novum weltweit - und legte den Grundstein für den international erfolgreichen deutschen Film des Weimarer Kinos.

Von Hartmut Goege | 27.02.2020
    THE CABINET OF DR. CALIGARI, (aka THE CABINET OF DOCTOR CALIGARI, aka DAS CABINET DES DR. CALIGARI), 1920 | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    "Das Cabinet des Dr. Caligari" von Robert Wiene kam am 27. Februar 1920 ins Kino (Jerry Tavin/Everett Collection)
    Die Uraufführung im Berliner Marmorhaus war triumphal. Als "Das Cabinet des Dr. Caligari" unter der Regie von Robert Wiene einen Tag später, am 27. Februar 1920, in den Kinos anlief, überschlugen sich die Kritiken. In der angesehenen Vossischen Zeitung etwa war zu lesen:
    "Es gilt, eine neue Seite in der Geschichte des Films zu beginnen: ‚Das Cabinet des Dr. Caligari‘ hat sich als eine künstlerische Einheit und ein Aufwärts in der Entwicklung des Filmspiels erwiesen; es stellt zum ersten Male die bildende Kunst ebenbürtig neben die darstellende."
    Viel Aufmerksamkeit erhielt der Film zunächst dank einer geschickten Werbekampagne. Schon Wochen vor dem Kinostart klebten an Berliner Litfaßsäulen mysteriöse Plakate mit der Aufforderung: "Du musst Caligari werden!". Und Zeitungs-Anzeigen fragten: "Kennen Sie Caligari?"
    Erstes Meisterwerk des expressionistischen Films
    Caligari - gespielt von Werner Krauß - ist ein Hypnotiseur, der sein Medium Cesare als Jahrmarkt-Attraktion auftreten lässt. Der gespenstische Cesare - genial verkörpert von Conradt Veidt - soll Menschen die Zukunft voraussagen können.
    Als unter dem Jahrmarktpublikum der junge Alan fragt, wie lange er zu leben habe, antwortet Cesare ihm, bis zum Morgengrauen. Und tatsächlich wird Alan in der Nacht ermordet, seine Freundin entführt. Mit detektivischem Gespür versucht nun Franzis, Alans bester Freund, die Taten aufzuklären. Franzis selbst erzählt diese Geschichte in einer langen Rückblende.
    Dass der Mystery-Thriller als erstes Meisterwerk des expressionistischen Films gefeiert werden konnte, war für Produzent Erich Pommer nicht von vorneherein abzusehen:
    "Ich habe wieder und immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass die Form des ‚Dr. Caligari‘, also die expressionistische Form, gar nicht ursprünglich beabsichtigt war, und erst auf Vorschlag der beteiligten Architekten wurde überhaupt erst die Form gefunden."
    "In diese Rollen hereingezwängt"
    Das von den drei Film-Architekten Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig gewagte expressionistische Stilexperiment sollte mit seinen gemalten Kulissen-Räumen voller Schrägen die Wahngebilde der Protagonisten versinnbildlichen. Dank dieser Stilmittel wirken die Stummfilm-Szenen mit ihren düsteren Schatten alptraumhaft. Schief gemalte Türen, Fenster, Gassen und Häuser lassen Orte unwirklich erscheinen. Kurt Tucholsky schwärmte in der Weltbühne:
    "Dieser Film ist etwas ganz Neues. Verzwackt die Gebärden, verzwickt Licht und Schattenspiel an den Wänden. Werner Krauß wie aus einer Hoffmannschen Erzählung herausgeschnitten, und Veidt stelzt dünn und nicht von dieser Erde durch seine wirre Welt."
    Die beiden Hauptdarsteller Krauß und Veidt mit ihren grotesk verzerrt geschminkten Gesichtern gleichen sich der irrealen Umwelt an. Conrad Veidt verhalf die Rolle zwar auch international zum Durchbruch, doch in einem Radio-Interview 1930 bedauerte er die Festlegung auf nur diesen Rollentyp:
    "Was mich betrifft, so hat man mich, vor allem die Filmindustrie, in diese Rollen hereingezwängt, indem sie mich zu dem sogenannten dämonischen Typ gemacht hat. Der Beginn war mit Caligari. Und es ging soweit, wenn irgendwie in einem Film ein dämonischer Mann zu spielen hatte, so kam man auf den Namen Conrad Veidt."
    Anstiftung zum Mord
    Werner Krauß dagegen war bekannt dafür, sich fast manisch in seine Rollen zu vertiefen. Lil Dagover, Darstellerin der Freundin von Alan und Franzis, erinnerte sich an eine Begegnung während der Dreharbeiten:
    "Und da sah ich, wie der Werner Krauß durch die Dekoration ging, vollkommen in der Rolle des Caligari. Und ich sagte ‚Guten Morgen, Herr Krauß‘. Er hat mich angeschaut, wie wenn er mich niemals im Leben gesehen hätte. Und da sagte ein Beleuchter, ab neun Uhr ist er eben Caligari!"
    Caligari wird schließlich als wahnsinniger Direktor einer Nervenklinik entlarvt, der mittels Hypnose Patienten, darunter Cesare, zu Mordtaten anstiftet. Das überraschende Ende: Der Held und Erzähler Franzis offenbart sich selbst als Insasse der Anstalt. Der Zuschauer bleibt irritiert zurück und fragt sich, ob die ganze Geschichte nicht der Wahnvorstellung eines Kranken entsprang.
    Das "Cabinet des Dr. Caligari" zählt zu den bedeutendsten Frühwerken der Filmgeschichte und legte den Grundstein für den international erfolgreichen deutschen Film des Weimarer Kinos.

    Die restaurierte Version des Filmklassikers ist noch bis Juli 2020 in der Mediathek von arte.tv zu sehen.