Dienstag, 16. April 2024

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Kipping (Linke) zur SPD
"Scholz steht für Inhalte, gegen die wir hart protestiert haben"

Katja Kipping, Chefin der Linkspartei, hat sich grundsätzlich für ein Bündnis mit der SPD ausgesprochen. Man brauche Mehrheiten links der Union, sagte Kipping im Dlf. Olaf Scholz sei nicht ihr Lieblingskanzlerkandidat der SPD, doch er könne sich möglicherweise inhaltlich neu orientieren.

Katja Kipping im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.08.2020
Erfurt: im Gespräch im Anschluss an die Aufzeichnung der Sendung maischberger. vor ort am 11. März 2020 im Erfurter Palmenhaus.
Katja Kipping: "Wir werden uns inhaltlich mit der SPD nichts schenken" (imago-images.de/Jacob Schröter)
Olaf Scholz soll SPD-Kanzlerkandidat werden, das ist seit Montag offiziell. Am Wochenende hatte die Parteispitze mit ihren Gedankenspielen über ein rot-rot-grünes Bündnis für Schlagzeilen gesorgt. Geht diese neuerdings auch "R2G" genannte Koalition mit einem in der politischen Mitte angesiedelten Kandidaten Scholz? Fragen an Katja Kipping, Parteichefin der Linken.
Mützenich: "Scholz ist der Kopf der Programmatik"
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht in der Nominierung von Olaf Scholz keinen inhaltlichen Widerspruch für seine Partei. Im Dlf zeigte er sich zuversichtlich, dass Scholz auch vom linken Flügel der SPD unterstützt werde.
Sandra Schulz: Olaf Scholz wird jetzt also Kanzlerkandidat – sind damit die Gedankenspiele über eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit jetzt direkt schon wieder zu Ende?
Katja Kipping: Ich hoffe doch, es geht um mehr als um Gedankenspiele. Ich würde sagen, es geht eher um eine Notwendigkeit, weil die CDU alles blockiert, was notwendig ist – die Überwindung der sozialen Spaltung, Klimaschutz und Abrüstung. Deswegen müssen wir die CDU und die hinter ihr stehenden Lobbygruppen auf die Oppositionsbank schicken, und dazu brauchen wir Mehrheiten links der Union.
Schulz: Und das könnte mit Olaf Scholz gehen, verstehe ich Sie da richtig?
Kipping: Na ja, ich glaube, ich bin ja weniger die Zielgruppe dieser Personalentscheidung bei der SPD, weil egal wen die SPD aufgestellt hatte, verrate ich jetzt kein Geheimnis, dass ich die Linke gewählt hätte. Insofern muss die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten weniger Menschen wie mich überzeugen, erst mal ein paar potenzielle Wähler. Insofern, das ist eine demokratische Entscheidung der SPD. Für mich ist entscheidend die inhaltliche Ausrichtung, die die SPD dann nimmt.
Thüringer Landtag: Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke, l.) spricht mit Finanzministerin Heike Taubert (SPD, Mitte) und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD, r.). Taubert trägt einen Mund-Nase-Schutz.
Olaf Scholz als Chance, Thüringen als Vorbild
Olaf Scholz gilt als Gesicht der Großen Koalition. Als Kanzlerkandidat könne Scholz aber nur auf Rot-rot-grün als Machtoption für die Bundestagswahl setzen, kommentiert Katharina Hamberger.
"Wir werden natürlich vehement Druck machen"
Schulz: Ja, aber wenn Sie ein Bündnis links von der Union schmieden wollen und Olaf Scholz Kanzlerkandidat ist, dann müssen Sie aus Gründen der logischen Schlussfolgerung ja mit diesem Olaf Scholz zusammenarbeiten. Das war ja immer eine große Sorge in Ihrer Partei, dass eine Linke mit dem Willen zu regieren, den Sie jetzt zeigen, dass die zu pragmatisch wird, dass die in ihren Forderungen zu weichgespült ist. Wenn ich Ihnen jetzt so zuhöre, wenn ich merke, dass Sie überhaupt kein Problem haben mit Olaf Scholz, sind diese Befürchtungen dann jetzt schon eingetroffen.
Kipping: Nein, ich hab ja nicht gesagt, dass es sozusagen mein Lieblingskandidat wäre, aber noch mal: Wir werden uns inhaltlich mit der SPD nichts schenken, und wenn jetzt die Bundesregierung unter Leitung von einem SPD-Sozialminister Hubertus Heil morgen zum Beispiel viel zu niedrige Hartz-IV-Sätze beschließt, wird sie auf unseren heftigsten Protest treffen. Wir werden natürlich vehement Druck machen, und ich würde sagen, wir sind sowieso der kämpferische Teil links der Union für eine notwendige sozialökologische Wende. Aber ich möchte es nicht an einer Personalie festmachen, zumal mein Eindruck ist, dass ja die SPD, sag ich mal, untereinander sehr abgestimmt vorgeht, also auch in der Frage, wie sie sich strategisch aufstellen. Das ist das entscheidende Kriterium: Kommen wir mit denen voran, alle vor Armut zu schützen und Millionenvermögen und Millionenerbschaften stärker zu besteuern.
Ein Kameramann steht vor dem Logo der Linkspartei. 
Rot-Rot-Grün oder Opposition - Die Linkspartei in der Selbstfindungs-Schleife
Corona hat die Themen der Linkspartei nach vorn gerückt. Dennoch profitiert die Linke nicht davon. Schuld daran ist nicht nur der anhaltende Personalstreit.
Schulz: Frau Kipping, das ist jetzt natürlich eine Personalentscheidung, das ist so, aber steht diese Personalie Olaf Scholz, der mit die Agenda-Politik geschmiedet und verkauft hat, der bis vor der Corona-Krise ein Verfechter der schwarzen Null war, steht der nicht auch für Inhalte, mit denen Sie ein Problem haben?
Kipping: Ja, er steht für Inhalte, gegen die wir hart protestiert haben und das auch weiterhin werden, aber ich gestehe auch ihm zu, dass er sich inhaltlich neu orientiert. Ob er das macht, das wird sich zeigen. Mein Eindruck war, dass die SPD selber jetzt in einigen Fragen sich neu aufgestellt hat sozialpolitisch. Die Parteivorsitzenden haben ja klar gesagt, sie wollen sozusagen die Hartz-IV-Sanktionen, mit denen haben sie ein Problem, sie wollen in Umverteilung vorankommen. Wir sind jetzt schon gemeinsam der Meinung, dass man die Zweiklassenpolitik überwinden muss – also kurz und gut: Entscheidend ist für uns die inhaltliche Ausrichtung, da werden wir uns nichts schenken, es geht aber hier nicht um einen Selbstzweck und darum, hier einen Lieblingsfreund zu suchen, sondern es geht um eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Wir haben in diesem Land eine soziale Spaltung, die müssen wir überwinden. Wir wollen alle vor Armut schützen, und wir müssen die vielen, die mit ihrer Arbeit den Laden am Laufen haben, deutlich besser stellen. Mit der Union wird das auf keinen Fall was, und deswegen sind die fortschrittlichen Kräfte links der Union jetzt gefragt, da auch zusammen zu begeistern.
"Staatsknete" muss an Bedingungen gebunden sein
Schulz: Das sagen Sie in einer Situation, in der eine schwarz-rote Koalition, eine Regierung unter Führung der Union, Milliardenbeträge in die Hand nimmt, um die Corona-Krise abzufedern.
Kipping: Ja, aber diese Milliarden … Zum einen zeigt natürlich diese Entscheidung, wie recht die Linke hatte mit ihrer Kritik an der Schuldenbremse, aber die Art und Weise, wie diese Millionen angewendet werden, ist halt falsch. Wir haben immer gesagt, das kann niemals angehen, dass man Millionen Staatsknete an Konzerne faktisch bedingungslos gibt. Das beste Beispiel ist ja Lufthansa irgendwie, wo jetzt tausendfach Entlassungen drohen. Wir haben immer gesagt, wenn es Staatsknete gibt, dann muss das an soziale und ökologische Bedingungen gebunden sein.
Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD fuer die Bundestagswahl 2021, und Saskia Esken, SPD Parteivorsitzende, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz anlaesslich der Vorstellung des SPD Kanzlerkandidaten fuer die Bundestagswahl 2021. Berlin, 10.08.2020 Berlin Deutschland *** Olaf Scholz, the SPDs candidate for chancellor for the 2021 federal elections, and Saskia Esken, SPD party leader, recorded at a press conference on the occasion of the presentation of the SPDs candidate for chancellor for the 2021 federal elections Berlin, 10 08 2020 Berlin Germany Copyright: xThomasxImo/photothek.dex
Diese Kandidatenwahl zeigt, wie klein die SPD geworden ist
Mit der Kür von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten schießt die linke Parteiführung ein Eigentor, kommentiert Frank Capellan. Die SPD sei dabei, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Schulz: Wobei, das Argument, das Schwarz-Rot bringt, das geht ja genau in die andere Richtung. Da wird ja gesagt, weil wir in der Zeit gespart haben, hatten wir das Geld jetzt in der Not.
Kipping: Nein, aber das ist ja ein Irrtum. Es ist ja nicht so, dass das Geld jetzt aus dem Sparstrumpf vom Finanzministerium kommt, sondern das ist natürlich Geld, was jetzt entsprechend einfach akquiriert wird …
Schulz: Es ist geliehen.
Kipping: Ja genau, aber deswegen muss man noch mal eins verdeutlichen, dass eine Volkswirtschaft anders funktioniert als ein Privathaushalt. Beim Privathaushalt gilt, das ist wie eine Badewanne, man kann nur das ausgeben, was man eingenommen hat, Volkswirtschaften funktionieren bekanntermaßen anders.
"Es gibt einen sozialen Kipppunkt"
Schulz: Ist geliehen von künftigen Generationen, und wir sehen ja in anderen EU-Staaten, in anderen Staaten der Eurozone, dass das nicht unbegrenzt geht.
Kipping: Na ja, aber wenn wir über die kommenden Generationen reden, dann müssen wir auch darüber reden, wie wir uns an ihnen versündigen, wenn wir weiterhin eine soziale Spaltung der Gesellschaft zulassen, wenn sozusagen Bildungswege für Kinder aus ärmeren Haushalten immer mehr verstellt werden. Da gibt es einen sozialen Kipppunkt, der auch wirklich zu einer Gefahr für die Demokratie wird. Gerade mit Blick auf die kommenden Generationen müssen wir sagen, wir müssen mehr tun für Bildungsgerechtigkeit und um Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen.
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Noch vor wenigen Monaten war Olaf Scholz der Verlierer bei der Wahl zum SPD-Vorsitz. Jetzt soll er das Zugpferd der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl sein.
Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne noch auf den anderen Punkt blicken, der ja immer zitiert wird als problematischer Themenkomplex: die Außenpolitik. Da sagt Olaf Scholz, der SPD-Kanzlerkandidat, in seiner Vorstellung gestern, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung in der NATO wahrnehmen will. Will Ihre Partei das auch?
Kipping: Wir finden, Deutschland muss Verantwortung übernehmen für Abrüstung und Entspannungspolitik, und da ist die NATO, die ja einst als Wertebündnis galt – das war jetzt nie meine Definition, aber als das galt sie –, das hat sich ja erledigt. Ich bitte Sie, welche Werte verbinden uns Demokratinnen denn mit Erdogan oder mit Leuten wie Donald Trump. Wir als Linke sagen, es braucht multilaterale Zusammenarbeit, aber eben nicht in der Aufrüstung, sondern es braucht Zusammenarbeit bei der Weltgesundheit im Rahmen der UNO, aber auch beim Klimaschutz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.