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Kirche in der DDR
"Ein Märchenschloss"

Am Sprachenkonvikt in Ostberlin konnte man Theologie studieren. Vor allem aber war es ein geschützter Raum, um über Politik und Glauben diskutieren zu können. Ehemalige erinnern sich gern daran, doch die Zukunft des Gebäudes ist ungewiss.

Von Claudia van Laak | 11.05.2017
    Außenansicht der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität in Berlin Mitte.
    Die Theologische Fakultät der Humboldt Universität in Berlin Mitte: 1991 ging das Sprachenkonvikt darin auf. Heute ist es ein evangelisches Studentenwohnheim. (imago stock&people)
    Thomas Krüger hat hier evangelische Theologie studiert, der Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch Markus Meckel, letzter freigewählter Außenminister der DDR und später SPD-Bundestagsabgeordneter. Stephan Steinlein ist Absolvent des Sprachenkonvikts, jetzt Leiter des Bundespräsidialamtes. Und der Publizist Christoph Diekmann.
    "Ja, schönen guten Abend, ich freue mich, dass hier alles vollkommen unverändert ist. Die edle Täfelung des Raumes."
    Das Sprachenkonvikt steckt voller Geschichten, zum Beispiel die über den im Stil der 80er Jahre eingerichteten großen Saal. Plastikvertäfelungen in beige, von findigen DDR-Bauarbeitern entwendet im Palast der Republik – erzählt Volker Jastrzembski, geistlicher Leiter des Konvikts.
    "Nach meinen Informationen ist das so, dass das tatsächlich von der Baustelle des Palastes der Republik abgezweigt worden ist und dass einer meiner Vorgänger hier das mit Westgeld bezahlt hat und so die notwenige Sanierung des Raumes finanziert hat. Das war illegal und deshalb ist der dann auch verurteilt worden zu acht Jahren Zuchthaus und ist dann mit seiner Familie freigekauft worden."
    Theologische Ausbildung in einer geteilten Stadt
    Christoph Diekmann hatte während seines Theologiestudiums ein Zimmer im dritten Stock des dunkelroten Backsteingebäudes. Im Untergrund querte die S-Bahn das geteilte Berlin, oben aus seinem Zimmer konnte er über die Mauer nach Westberlin blicken.
    "Der Blick überflog die Invalidenstraße und die Grenzanlagen und landete im Wedding. Jenseits standen Westler auf den Balkonen und benahmen sich nach Menschenart. Der Mondschein einte Berlin. Auch die Vögel reisten nach Belieben hin und her. Und ich? Wann ich? Welcher Insasse der Deutschen Demokratischen Republik hätte sich das nicht gefragt?"
    Die Geschichte des Sprachenkonvikts beginnt mit der Bekennenden Kirche, die 1935 beschloss, in Berlin eine kirchliche Hochschule für reformatorische Theologie zu gründen. Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten begann die Hochschule 1950 neu mit ihrer Arbeit. Zunächst als Vorbereitung auf das Theologiestudium – es wurden Latein, Griechisch und Hebräisch gelehrt, daher der Name Sprachenkonvikt. Nach dem Bau der Mauer 1961 wurde es zu einer vollwertigen theologischen Ausbildungsstätte unter dem Dach der Kirche. Wolf Krötke hat dort zunächst studiert, später kehrte er als Dozent für systematische Theologie zurück an das Haus.
    "Es war neben zwei anderen kirchlichen Hochschulen in Leipzig und in Naumburg an der Saale die einzige freie Ausbildung auf Universitätsniveau. Und das war für unsere Kirche eminent wichtig."
    Geschützter Freiraum
    An den theologischen Fakultäten der DDR-Hochschulen wurde versucht, staatstreue Pfarrer heranzuziehen. Dass die SED daneben die kirchlichen Hochschulen gewähren ließ, kann sich Wolf Krötke bis heute nicht recht erklären.
    "Dafür gibt es gar keine schlüssige Erklärung. Meine Meinung ist, dass die Regierung der DDR und die für das Hochschulwesen verantwortlichen den Zeitpunkt einfach verschlafen haben, an dem sie uns hätten verbieten können."
    Das Sprachenkonvikt in Ostberlin war ein geschützter Freiraum – hier konnte Demokratie geübt werden. Vielleicht ist deshalb eine ganze Reihe von Absolventen heute in politisch verantwortlichen Positionen tätig. Doch die protestantische Hochschule war keine Insel der Glückseligen. Wir waren keine Helden, sagt der Theologe Wolf Krötke heute.
    "Als ganz weißes Schaf kommt aus einer Diktatur niemand heraus. Es müssen ja Regelungen des alltäglichen Lebens getroffen werden, bei denen man auf die Staatsmacht angewiesen war. Nur das Prinzip, das nicht mit der Stasi geredet werden sollte, das hatten wir. Wenn die kamen, haben wir gesagt, Geheimdienst ist hier nicht erwünscht, sondern die Polizei, wenn etwas passiert ist. Leider haben sich nicht alle daran gehalten."
    Ungewisse Zukunft
    1991 ging das Sprachenkonvikt in der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität auf. Heute ist es ein evangelisches Studentenwohnheim – mit sensationell niedrigen Mieten und Platz für 75 Studierende. Zimmer ohne eigene Bäder, unsaniert, aber romantisch in der mittlerweile gentrifizierten Mitte Berlins. Der geistliche Leiter Volker Jastzrembski.
    "In gewisser Weise ist das hier ein Märchenschloss. Weil die Studierenden haben sich einen Ort geschaffen, in dem man gerne lebt. Und das in der Mitte der Stadt zu günstigen Preisen. Es gibt auch einen Konviktsgeist, wenn man so will. Also eine besondere Atmosphäre. Die Studierenden übernehmen alle ein Amt, dadurch rechtfertigen sich die günstigen Mieten."
    Der Verkauf des Sprachenkonvikts durch die Evangelische Kirche wurde abgewendet, doch das Haus muss dringend saniert werden. Viele sehen jetzt das Idyll bedroht. Die Mieten werden steigen, weil sich die Sanierung rechnen muss. Ein Ausverkauf des Sprachenkonvikts, das in der DDR eine so wichtige Rolle spielte für die evangelische Kirche? Wolf Krötke vom Förderverein:
    "Wie die Zukunft wirklich aussehen wird, das weiß im Moment niemand genau."