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Kirche und Politik
Zwischen den Stühlen

Wie hält es der Protestantismus mit der Politik? Abgrenzen, einmischen, mitmischen? Gerade wenn es um Flüchtlinge, wenn es ums Kirchenasyl geht, stoßen Kirche und Politik oft aufeinander. Dennoch bemängeln Kritiker das privilegierte Verhältnis der großen Konfessionen zum Staat.

Von Michael Hollenbach | 20.01.2014
    In Hamburg-St. Pauli hat die evangelische Kirchengemeinde im vergangenen April 80 Lampedusa-Flüchtlinge aufgenommen. Sieghard Wilm ist Pastor der Gemeinde. Er ist enttäuscht vom Verhalten der Stadt. Der Senat habe die Kirche mit dem Schicksal der Flüchtlinge allein gelassen:
    "Wenn ich das im Rückblick betrachte, dann wurde das von der Politik als politischer Akt betrachtet, vielleicht sogar als provokanter Akt, aber ich glaube, es ist bei manchen bis heute nicht verstanden, dass es humanitäre Nothilfe ist."
    Mit seinem Akt der christlichen Nächstenliebe, mit der Beherbergung der afrikanischen Flüchtlinge, war der Pastor mitten in der Politik gelandet.
    "Die Kirche ist natürlich kein rechtsfreier Raum. Es ist Teil der Bundesrepublik, aber - und das kann Kirche - einen Raum bieten, um über Gerechtigkeit nachzudenken und dass Gerechtigkeit mehr ist, als das geltende Gesetz anzuwenden. Das dürfte auch offensichtlich sein."
    Um das Thema Gerechtigkeit geht es Prälat Martin Dutzmann. Seit Oktober ist der Theologe in Berlin Bevollmächtigter der EKD beim Bundestag und bei der Bundesregierung:
    "Es steht ganz oben auf der Agenda die Flüchtlingspolitik. Das schreckliche Unglück vor der Insel Lampedusa Anfang Oktober hat uns noch mal daran erinnert, dass da viele Fragen ungelöst sind. Es muss eine Umkehr passieren in der europäischen Flüchtlingspolitik. Schutzsuchende müssen auf legalem Weg nach Europa kommen können, und es muss auch so sein, dass die in Europa nicht hin und her geschoben werden."
    Christliches Engagement ist oft politisch
    Zum Beispiel eben als Lobbyist für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Der Bischof der hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, umschreibt das Engagement eines Protestanten so:
    "Es gibt keine christliche Politik, aber es gibt die Herausforderung für jeden Christen, auch politisch zu sein, und das heißt, das Engagement aus dem christlichem Glauben heraus ist oftmals politisch."
    So hat sich Ralf Meister kürzlich bei Landwirten und beim Deutschen Bauernverband unbeliebt gemacht, als er sich deutlich gegen die Massentierhaltung und den Export tiefgefrorener Hähnchenteile nach Afrika ausgesprochen hat.
    "Ich glaube, dass uns nicht schrecken darf, dass wir Positionen einnehmen, die wirklich richtig zwischen den Stühlen sind. Uns geht es ja nicht darum, irgendwelchen Menschen recht zu geben, sondern wenn man eine Sache debattiert, dann muss man sehr nüchtern bleiben, und sagen: und was dient der Lösung eines solchen Problems am besten."
    Die Kirche müsse dem Druck standhalten. Auch wenn Protestbriefe in seiner Bischofskanzlei ankommen von Menschen, die mit ihrem Kirchenaustritt drohen:
    "Es kann auch Situationen geben, in denen darf das keine Rolle spielen, und glücklicherweise ist mein Eindruck, dass viele Menschen auch innerhalb der evangelischen Kirche auch ein Bewusstsein dafür haben, wir mühsam wir gemeinsam darum ringen, die richtigen Antworten zu finden."
    Kirchliche Lobbyarbeit
    Das sieht Katrin Göring-Eckardt ganz ähnlich. Die Fraktionschefin der grünen Bundestagsfraktion und ehemalige Präses der EKD-Synode ruft ihre Kirche auf, sich in politische Diskussionen einzumischen:
    "Wenn man sich nicht vorwagt, dann wird man gar nicht bemerkt. Wenn man nur den gleichen Brei macht, dann wird das nichts bedeuten. Und ich denke, dass wir Evangelische auch dazu berufen sind, uns auch vorzuwagen und auch dezidiert Stellung zu beziehen, und es gibt ein paar Themen, wo wir das tun müssen."
    Aber natürlich geht es der Kirche in der politischen Diskussion nicht nur um die hehren Ideale, sondern auch um die konkreten Interessen ihrer Organisation, betont Michael Bauer. Er ist einer der Sprecher des Arbeitskreises Laizisten in der SPD:
    "Das ist selbstverständlich eine Lobbyarbeit, wie sie die petrochemische Industrie oder die Autoindustrie eben auch pflegt. So tun das auch die beiden großen Kirchen. Dagegen ist ja gar nichts zu sagen. Kritikwürdig wird es erst dann, wenn die politischen Mandate und die Lobbyarbeit ineinander verfließen."
    Eigentlich hat Prälat Martin Dutzmann gute Voraussetzungen für seine Arbeit in Berlin, denn es gibt es eine große Nähe zwischen den Kirchen und der Politik. Im neuen Bundestag gehören 444 Abgeordnete den christlichen Kirchen an - mehr als 70 Prozent des Parlaments. Und in der Bundesregierung sitzt - zum ersten Mal seit Langem - kein Konfessionsloser. Vor allem die Protestanten sind im neuen Kabinett sehr gut vertreten. Die Kanzlerin ist Pfarrerstochter, der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist designierter Präsident des Evangelischen Kirchentages 2019. Innenminister Thomas de Maizière ist noch im Präsidium des Kirchentages. Der neue Gesundheitsminister Hermann Gröhe war bis 2009 im Rat der EKD und ist Mitglied der EKD-Synode. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka sind ebenfalls bekennende Protestanten, Familienministerin Manuela Schwesig machte vor einigen Jahren Schlagzeilen, als sie sich nach der Geburt ihrer Tochter taufen ließ.
    Göring-Eckardt: Die Macht der Kirchen ist begrenzt
    Das Verhältnis zwischen der Großen Koalition und den Kirchen sieht EKD-Mann Martin Dutzmann auch ganz entspannt:
    "Wir brauchen jetzt nicht zu befürchten, dass aus dieser Koalition heraus Grundlegendes an dem Verhältnis von Kirche und Staat verändert wird."
    Doch trotz der geistig-geistlichen Verbindung zu den Spitzen der Politik - die Macht der Kirchen sei begrenzt, meint Katrin Göring-Eckardt.
    "Ich glaube, es geht mehr darum, dass Kirchen gesellschaftlichen Einfluss haben. […] Da geht es um gesellschaftlichen Zusammenhalt, da geht es um Sinnstiftung, da geht es um vieles, was eben nicht verfügbar ist, was der Staat nicht machen kann, was man mit Geld nicht machen kann, das Unverfügbare. Dafür ist der Glaube da und dem einen Raum zu geben, dafür ist Kirche da. Das hat mit Macht wenig zu tun, aber es ist was sehr Machtvolles und was man gar nicht genug schätzen kann."
    Doch während die führenden Politiker fast geschlossen hinter den Kirchen stehen, bläst ihnen in der Gesellschaft der Wind immer stärker ins Gesicht. Vor allem die heftige Debatte um den katholischen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst im vergangenen Jahr habe auch der evangelischen Kirche geschadet, sagt Martin Dutzmann:
    "Wir können nicht mehr in gleicher Weise das Verständnis für die gegebenen Verhältnisse in Sachen Kirche und Staat voraussetzen, das heißt: wir müssen aufklären, aufklären und noch mal aufklären - und da sind wir bei."
    Klarheit schaffen in der säkularen Gesellschaft
    Aufklären beispielsweise über den Sinn eines konfessionellen Religionsunterrichts in den Schulen, über die Ausbildung der Theologen an staatlichen Hochschulen, über die Einziehung der Kirchensteuer durch die Finanzämter und über das spezielle Arbeitsrecht der Kirchen. Auch Katrin Göring-Eckardt weiß, dass das Staatskirchenrecht auf dem Prüfstand steht. Die Thüringerin fordert deshalb eine Reform des Staatskirchenrechts.
    "Man muss Klarheit schaffen bei der Anerkennung einer multireligiösen und auch stärker säkular werdenden Gesellschaft und dafür brauchen wir neue Formen."
    Auch wenn die Große Koalition das Thema erst einmal meiden wird, das privilegierte Verhältnis der großen Kirchen zum Staat wird weiter für Diskussionsstoff sorgen - nicht zuletzt aufgrund des hohen Anteils Konfessionsloser in den östlichen Bundesländern und der rund vier Millionen Muslime in Deutschland.