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Kirchen und Kommunikation
Mensch, erhöre uns!

Handgemalte Plakate und Internetseiten, die niemand aktualisiert: Eine Studie attestiert vielen deutschen Kirchengemeinden große Defizite in Sachen Kommunikation. Aktuell würden die Kirchen vor allem diejenigen Menschen erreichen, die ohnehin in den Gottesdienst kommen.

Von Burkhard Schäfers | 24.07.2019
Bei einem Gottesdienst im Rahmen des "Sublan"-Projektes im Juli 2017 in Hessen können sich die Besucher per Smartphone und Tablet-Computer direkt in die Predigt und die Fürbitte-Gebete einschalten. Im Vordergrund hält eine Person ein Smartphone, im Hintergrund ist der Gottesdienst zu sehen.
Kirche und digitale Kommunikation scheinen für viele Gemeinden immer noch zwei unterschiedliche Welten zu sein (imago / Michael Schick)
Das nächste Gemeindefest soll neu und anders werden: Mit guter Musik, professionellem Kinderprogramm und hochwertigem Bio-Essen. Das Projektteam steckt viele Stunden Arbeit in die Vorbereitung, wirbt sogar zusätzliches Geld ein – schließlich wollen sie auch Kirchenferne ansprechen. Allerdings: An die Öffentlichkeitsarbeit hat niemand so richtig gedacht. Und so verpufft die ganze Mühe – die Stammgäste bleiben wieder mal unter sich.
So ist es häufig in der Kirche: Gute Ideen, Engagement – aber kaum jemand bekommt etwas davon mit, sagt Judith Amend-Knaub, die Leiterin der evangelischen Jugendkirche in München: "Ich habe vor drei Wochen hier ein Innenhof-Konzert gehabt und hatte auch einen sehr netten Künstler, aber keine Zeit, das richtig zu bewerben. Da kamen dann zwei Leute. Also man kann so was richtig in den Sand setzen."
"Größtenteils rudimentäres Niveau"
Eigentlich weiß die Diakonin, wie wichtig es ist, auf allen möglichen Kanälen zu kommunizieren. Allerdings klafften diesbezüglich in der Kirche Anspruch und Wirklichkeit häufig auseinander: "Wir sind nicht so gut ausgebildet im Thema Öffentlichkeitsarbeit, das ist ein Manko. Da finde ich, sollten wir mehr Wert drauf legen."
Das rät auch Markus Wiesenberg Katholiken und Protestanten. Der Kommunikationswissenschaftler von der Universität Leipzig hat – nicht im Auftrag der Kirchen, sondern unabhängig – die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit untersucht: "Hier gibt es sehr hohen Nachholbedarf, hier wird immer noch mit Paper und Pencil gearbeitet. Und so etwas wie professionelle Gemeindemagazine, oder dass man sagt, man geht über eine Website hinaus und startet im Bereich Social Media-Plattformen verschiedene Angebote, das ist ein großes Problem. Ebenso die Dekanatsebene: Auch hier größtenteils rudimentäres Niveau."
Strategische Kommunikation als Problem
Seine Studie zeigt: Häufig bestimmt der Zufall, wie Kirche in die Welt hinein kommuniziert. Manche Landeskirchen und Diözesen haben professionelle Pressestellen mit mehreren Angestellten, die journalistisch ausgebildet sind. Andernorts seien der persönliche Glaube oder die Ordination wichtiger als Fachwissen, so Kommunikationsexperte Wiesenberg.
"Es gibt ein großes Defizit an Ressourcen und an Professionalität. Und es ist auch das fehlende Backup der Kirchenleitung: Man vertraut den Kommunikationsexperten nicht, sondern denkt, man hat ja irgendwie als Pfarrerin und Pfarrer eine Ausbildung genossen, kann kommunizieren. Aber der Punkt ist eben: Was viele Theologinnen und Theologen nicht gelernt haben, ist strategisch zu kommunizieren."
Sprich kontinuierlich zu überlegen: Was interessiert die Menschen? Und: Auf welchen Kanälen lassen sich möglichst viele Interessierte ansprechen? Gelingen dürfte das mit Alltagsthemen: Arbeit, Familie oder gesellschaftliches Miteinander etwa.
Viele in der Kirchenleitung hingegen befassen sich tagein tagaus mit Strukturfragen – aber nur über die Institution zu reden sei verfehlte PR: "Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Pfarrerschaft heißt primär Mitgliederkommunikation: Wie können wir dafür sorgen, dass Menschen wieder mal in die Kirche kommen am Sonntag, oder eine Kirchenzugehörigkeit wieder neu entsteht. Da ist durchaus Offenheit da. Aber alles das, wo es darum geht, gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen über PR-Maßnahmen, das wurde in den letzten Jahren extrem vernachlässigt."
Wortwahl und Ästhetik entscheidend
Kirchliche Kommunikation hält mit dem Medienwandel kaum Schritt. Traditionelle Bistumszeitungen, zum Teil mehr als 100 Jahre alt, verlieren rasant an Auflage. Jüngst gaben die Diözesen Fulda, Limburg und Mainz bekannt, dass sie ihre Kirchenzeitung im Jahr 2023 einstellen werden.
Kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit mangelt es an Strategie, Geld und Personal, so das Ergebnis der Studie von Markus Wiesenberg. Nur Nachrichten aus Gemeinden und dem Vatikan zu veröffentlichen reiche nicht. Nötig sei mehr Debatte und Interaktion: Kanäle, auf denen Gläubige mit Seelsorgern in Kontakt treten können. "Viele Ältere tun sich völlig schwer mit diesem Wandel. Für die ist nicht mehr nachvollziehbar, dass Medien quasi alle Lebensbereiche durchströmen – von morgens bis abends."
Sollten die Kirchen also allein auf digitale Medien setzen, um zusätzliche, auch jüngere Milieus anzusprechen? Auch das verspricht nicht zwingend Erfolg: Websites von Gemeinden sind in den Tiefen des Internets schwer zu finden, zudem oft nicht aktuell. Judith Amend-Knaub von der Münchner Jugendkirche erreicht Interessierte am besten über die Dienste Instagram und WhatsApp.
Dabei komme es auf die richtige Wortwahl und Ästhetik an: "Bilder, die typische Kirchenklischees bedienen, ist ein Bild vom Kirchenraum mit einem Kreuz oder einer Kerze, die leuchtet, und das überhaupt nichts Zwischenmenschliches aussagt. Ich glaube, gerade junge Leute suchen erst mal nichts Andächtiges, sondern sie suchen Menschen, die Fröhlichkeit ausstrahlen, vielleicht auch eine gewisse Zuverlässigkeit. Menschen, wo sie denken, mit denen würde ich gern heute Abend in Kontakt kommen. Und wenn sie das auf dem Bild nicht entdecken, dann kommt man auch nicht."
Karfreitag auf YouTube
Der Kapuzinerpater Stefan Maria Huppertz leitet den Pfarrverband München-Isarvorstadt. Vor einiger Zeit suchte er per Zeitungsanzeige nach Gläubigen: "Jeder Fahrradladen oder jede Pommesbude schaltet eine Werbeanzeige, wenn sie glaubt, sie hat ein gutes Produkt. Wir haben uns gedacht, das, was wir hier machen, an Gottesdiensten, an Programmen, gerade auch das Angebot zum persönlichen Gespräch, das hat ein ordentliches Niveau. Und wenn mehr davon wüssten, würden vielleicht auch mehr daran teilnehmen."
Tatsächlich kämen nun auch Menschen ohne katholische Vorzeige-Biografie, die erstmals oder wieder Kontakt zur Kirche suchten, sagt der Kapuzinerpater. An der Zeitungsanzeige allein wird das wohl nicht gelegen haben. Indes tun sie hier noch einiges mehr: Informationen bei Instagram posten, in Youtube-Videos erklären, was Karfreitag und Ostern bedeutet. Schilder und Plakate an der Straße werben für Vorträge oder fürs Gemeindefest. Außerdem bringt der Pfarrverband ein aufwändig gestaltetes Magazin mit langen Texten und Farbfotos heraus.
"Es ist ein Magazin, das zwei- bis dreimal im Jahr erscheint. Was nicht nur Rückblick sein soll: Da und da ist die und die Gruppe auf den und den Berg geklettert und hat ein Foto gemacht. Sondern wir versuchen, dass es Magazincharakter hat, mit einem Thema, das sich durchzieht. Wir haben den Eindruck, dass das tatsächlich bei nicht wenigen Leuten einige Wochen im Wohnzimmer – oder zumindest im Bad liegt."
"Den Veganer interessiert das beste Produkt des Metzgers nicht"
Bei allen Versuchen, über die Kernklientel hinaus Menschen für den christlichen Glauben zu interessieren, hält Pater Stefan Maria Huppertz Marketing nicht für das Allheilmittel:
"Das bringt uns, glaube ich, keine ganz neuen Leute rein. Eine Metzgerei kann die fantastischsten Produkte machen und die allerbeste Werbung haben, das wird den Veganer von nebenan nicht interessieren. Und ich denke, ein bisschen ist es so auch bei der Kirche. Das, was wir machen, ist oft wirklich gut, aber es gibt einfach viele Leute, die unser Produkt nicht interessiert, und da kann die Werbung Hochglanz sein wie auch immer, das wird wahrscheinlich nicht allzu viel ändern."
Diakonin Judith Amend-Knaub sieht in der Geschichte kirchlicher PR eine zusätzliche Schwierigkeit:
"Bei uns war ja das Thema Mission vor ein paar tausend Jahren ganz schön schiefgegangen. Das war eine schwierige Öffentlichkeitsarbeit, die wir da hatten. Insofern sind wir jetzt vielleicht ein bisschen zurückhaltender und sagen: Klar, wir haben ein tolles Angebot, aber gleichzeitig wollen wir es nicht überstülpen. Diese vorsichtige Zurückhaltung – das ist schon eine Ambivalenz."
Es ist also ein Spagat für die Kirchen: Sie müssen mehr für sich trommeln, wollen dabei aber nicht zu viel Lärm machen.