Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kirchen und Rechtspopulismus
"Die AfD verstreut ein süßes Gift"

Beschädigt der Rechtspopulismus mit seiner Forderung nach einem "christlichen Abendland" die Religion? Diesen und anderen Fragen geht ein Aufsatzband nach, der morgen erscheint. Der Mitherausgeber Volker Resing sagte im DLF, Parteien wie die AfD bedienten eine diffuse Sehnsucht nach einem Kulturchristentum.

Volker Resing im Gespräch mit Christiane Florin | 16.01.2017
    Volker Resing ist Journalist und Buchautor. Seit 1. Oktober 2014 ist er Chefredakteur der "Herder Korrespondenz".
    Volker Resing ist Chefredakteur der "Herder Korrespondenz" und Mitherausgeber eines Sammelbandes, in dem sich Politikwissenschaftler und Theologen mit dem Rechtspopulisten in Deutschland auseinandersetzen. (Deutschlandfunk / Chaperon)
    Christiane Florin: 2017 ist ein Superwahljahr. Die Zeiten sind vorbei, da von den Kanzeln befohlen wurde, wo brave Christen ihr Kreuz zu setzen haben. Aber die Kirchen mischen sich mehr denn je politisch – auch parteipolitisch – ein. Das wiederum empört die AfD.
    Ich bin nun in Berlin verbunden mit dem Journalisten Volker Resing. Er ist Chefredakteur der theologischen Zeitschrift Herder Korrespondenz und Herausgeber eines Buches, das morgen erscheint. Es heißt "AfD, Pegida und Co. Angriff auf die Religion?". Inwiefern greift die AfD die Religion an sich an – also nicht nur den Islam, sondern auch das Christentum?
    Volker Resing: Wenn man christliches Engagement in der Flüchtlingshilfe dermaßen kritisiert, ist das auch schon ein Angriff auf die Religion. Aber es findet auch Angriff auf Kirchenstrukturen, auf Kirchenvertreter statt. In der Tat ist diese Kritik an einer Entchristlichung der Gesellschaft, die man dem Islam zuschreibt, ein Angriff insgesamt auf die Religion, weil das religiöse Grundgefüge damit in Frage gestellt wird. Deswegen ist interessanterweise Religion und AfD ein virulentes Thema.
    "Die Gefahr liegt in der Meisterschaft beim Diffusen"
    Florin: Wer bei der Stimmencollage ganz genau zugehört hat – bei diesem Ausschnitt aus Erfurt, der konnte den Ruf erkennen "Komm her, du Sau!" Gemeint war der Bischof von Erfurt, der den Dom verdunkelt hat als die AfD dort demonstrieren wollte. Wen spricht die AfD eher an: Kirchenverächter oder konservative Christen, die Angst haben um die deutsche Identität?
    Resing: Ich glaube, die AfD ist vor allem eine Meisterin des Diffusen. Sie spricht natürlich auch Extremisten an, in der Kirche und außerhalb: Kirchenverächter und Extreme in der Kirche am Rechtsaußen-Spektrum. Aber ihre große Gefahr liegt in ihrer Meisterschaft beim Diffusen. Sie spricht Leute an, die irgendwie das Gefühl haben, dass das Christentum in diesem Land schwindet, das, was man gut fand. Und man weiß nicht mehr, was man gegen diese Entkirchlichung tun soll. Dass das eigentlich mit einem Glaubensschwund zu tun hat, das hören viele nicht so gerne.
    Insofern ist das ein süßes Gift, was die AfD da verstreut, wenn sie sagt: Leute, das, was uns zusammenhält – das Christentum, die christliche Kultur, das geht den Bach runter. Und schuld sind irgendwelche Muslime, sind aber auch die bürokratisierten Kirchen. Das ist interessant, dass sie damit so einen Ton gefunden haben, der ankommt.
    Florin: Kann man sagen: Das sind Kulturchristen, also es ist so ein kulturchristlicher Mainstream, den die AfD formuliert? Man glaubt nicht unbedingt selbst, findet es aber doch gut, dass es so etwas wie das Christliche gibt.
    Resing: Genau wie in der Gesellschaft gibt es in den Kirchen eine Atomisierung. Das Milieu ist nicht mehr so geschlossen. Natürlich ist es nicht Mainstream, in den Kirchen so zu denken. Aber es gibt einen untergründigen "Bauch" in der Kirche von relativ vielen Leuten, die ein ungutes Gefühl haben, wie es mit der Gesellschaft oder mit den Kirchen geht und die vielleicht nicht sonntags in die Kirche gehen wollen, aber eigentlich es gerne hätten, dass das christliche Bindemittel der Klebstoff der Gesellschaft bleibe. Dass das nicht funktioniert, liegt auf der Hand, aber die AfD verspricht es eben.
    Ich glaube in der Tat, dass es in der Kirche durchaus viele gibt, die es nicht schreckt, wenn der Bischof das Licht ausmacht. Sondern dann sagen sie: "Mit dem Bischof haben wir eh nichts mehr zu tun, hören wir dann trotzdem der AfD mal zu." Es ist, glaube ich, naiv zu meinen, dass die Bischöfe dann in diesem Fall bei der AfD noch alle hören. Sonst kommt man nicht auf 15 Prozent.
    "Keiner gibt sich öffentlich als AfD-Befürworter aus"
    Florin: Ihr Buch versammelt ganz unterschiedliche Autoren und unterschiedliche Professionen - Politikwissenschaftler, Theologen, ein Priester ist dabei, ein Erzbischof. Aber keiner von denen sagt, die AfD finde ich gut. Da gibt es ja durchaus sich christlich nennende Publizisten, die die AfD loben. Haben Sie die nicht gewollt oder wollten die sich nicht in diesem Zusammenhang äußern?
    Resing: Zunächst mal versammelt dieses Buch ja nicht Leute, die sagen, die AfD ist schlecht, sondern sie versuchen das Phänomen zu erklären.
    Florin: Aber sie warnen ja weitgehend.
    Resing: Sie warnen, ja. Aber es gibt auch durchaus Leute, die sagen, schaut mal hin. Das nützt gar nichts die AfD in die Ecke zu stellen und zu bekämpfen. Es muss ein Verständnis dafür geben, warum sie Zulauf hat. Dieses Verständnis erlangt man nur, wenn man guckt, welches die Mechanismen sind, die dort angewandt werden.
    In der Tat ist es interessant zu fragen, warum in der öffentlichen Diskussion keiner sich direkt als AfD-Befürworter ausgibt. Ich glaube, das liegt daran, dass die AfD in letzter Zeit stark gezeigt hat, dass sie so ins Rechte abdriftet, dass sie kaum diskursfähig ist. Nur das darf einen nicht trösten, denn man kommt nicht auf 15 Prozent, wenn man allein aus der rechten Ecke fischt.
    Florin: Der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes hat sich häufiger mit der AfD angelegt. Er schreibt in seinem Beitrag, diese Partei habe vor allem Streit und Hass in die Gesellschaft getragen und er wolle dazu nicht schweigen. Es sei geradezu der kirchliche Auftrag, dazu nicht mehr zu schweigen. Halten Sie das für den richtigen oder den besten Weg zu sagen, das ist unchristlich, wir wehren uns dagegen, mahnen, warnen? Reicht das?
    "Mit kirchlichen Äußerungen werden die erreicht, die sowieso zustimmen"
    Resing: Auf jeden Fall ist es richtig, sich auseinanderzusetzen. Und das tut Christian Hermes. Er stellt sich der Diskussion. Das muss jeder so tun, wie er es dann auch selber kann und wie er es selber mit seinem Weltbild vereinbaren kann. Insofern ist es richtig, was er tut. Ich warne nur davor, dass man bei kirchlichen Äußerungen auch nur noch die erreicht, die einem sowieso zustimmen. Es gibt sicherlich viele Kirchenmitglieder, die sich von Bischofsworten und Stadtdekan-Worten nicht mehr erreicht fühlen. Die fühlen sich zwar noch als irgendwie Kirchenmitglieder, aber sie fühlen sich nicht mehr gebunden. Bei denen ist dann der Schritt, die AfD zu wählen nicht mehr so weit.
    Florin: Nun haben Sie gerade die Wirkung von Bischofsworten relativiert. Aber das letzte Wort in Ihrem Buch hat der Erzbischof von Köln Rainer Maria Woelki. Und er schreibt: "Die Kirche lehnt die politische Programmatik des Rechtspopulismus ab." Das klingt ja sehr entschieden. Aber welche Autorität hat ein Bischof in politischen Debatten, erst recht ein katholischer nach diversen katholischen Skandalen?
    Resing: Der Kardinal von Köln hat schon eine gewisse Autorität in der Öffentlichkeit. Seine Maßnahmen (in der Flüchtlingspolitik) haben eine hohe Resonanz hervorgerufen. Das hat für die politische Debatte seinen Zweck erfüllt. Da darf es allerdings nicht bei stehen bleiben, das ist ganz klar.
    Die Bischöfe müssen sich klar werden, dass sie nicht mehr in der Weise wie vor 50 Jahren ihre Herde durchdringen, wenn sie sich politische äußern. Das weiß der Kölner Kardinal aber auch sehr wohl. Deswegen ist sein Engagement ja nicht falsch.
    "Das Christentum ist kein Pizza-Service"
    Florin: Rechtspopulisten versprechen, die vertraute Welt zu erhalten. Heimat, Identität sind wichtige Begriffe. Haben die Kirchen diese Begriffe vernachlässigt, haben sie die nicht mit Leben gefüllt?
    Resing: Der Politologe Werner Patzelt hat in Dresden so schön gesagt: Politik, Demokratie ist kein Pizza-Service, ich bestelle und die Politiker liefern.
    Florin: Bei der Präsentation des Buches.
    Resing: Bei der Präsentation des Buches. Das muss man sagen, das gilt für das Christentum auch. Auch kein Pizza-Service, ich bestelle und die Kirche liefert. Das hätte man gerne, das wäre schön: Die Kirche sorgt dafür, dass eine christliche Kultur in Deutschland weiterhin Bindemittel bleibt, ohne dass es allzu weh tut und ich auch nicht so viel in die Kirche gehen muss. Das funktioniert nicht. Das Christentum braucht die Gläubigen, das braucht die Gemeinschaft der Gläubigen, es braucht das Engagement der Kirchenmitglieder. Nur dann kann es seine Wirkung entfalten. Jetzt haben wir es mit einer dramatischen Entkirchlichung zu tun. Überall stehen die Kirchen herum und wir wissen nicht mehr, was wir damit anfangen sollen.
    Aus diesem Frust merken die Leute, dass da was wirklich Wichtiges verloren geht, suchen sie nach Schuldigen. Die Schuldigen kann dann der Islam sein oder die blöden Bischöfe. So wird man es nicht bekämpft bekommen – das ist klar. Umgekehrt haben natürlich die Kirchen auch eine Verantwortung und sie dürfen dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Sie haben Mittel und Kräfte genug, um was zu tun. Und tatsächlich muss Kirche auch Heimat bieten. Und tatsächlich ist vielleicht das Identitätsstiftende von christlicher Gemeinschaft auch manchmal zu wenig beachtet worden.
    Florin: Vielen Dank, Herr Resing.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Volker Resing, Stefan Orth (Hrsg.):
    "AfD, Pegida und Co. Angriff auf die Religion?"
    Herder, Freiburg, 208 Seiten, 16,99 Euro.