Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kirchenmusik
Neue Töne

Es fällt den Kirchen schon jetzt schwer, alle Stellen für Organisten und Chorleiter zu besetzen. Das Problem wird in den nächsten Jahren noch größer werden, denn dann gehen viele Kirchenmusiker in Rente. Ungewöhnliche Konzertformen sollen den Beruf für Jugendliche attraktiv machen.

Von Dagmar Penzlin | 25.10.2018
    Schnitger Orgel der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg.
    Schnitger Orgel der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg. (Imago / Imagebroker)
    Orgelunterricht im Schweriner Dom: Carl Rinke, 14 Jahre jung, und Domkantor Jan Ernst sitzen nebeneinander auf der Orgelbank. Es geht um den feineren Anschlag der Tasten. Carl Rinke gehört zu den großen Talenten unter den Orgelschülern des Domkantors: Er hat bereits Preise beim Wettbewerb "Jugend musiziert" auf Landes- und Bundesebene gewonnen. Dabei spielt er noch gar nicht lange Orgel - Jan Ernst findet das "sensationell".
    "Carl ist ein außergewöhnliches Beispiel. Er hat zuvor ja nicht mal Klavier gespielt. Und hat es in zwei Jahren geschafft, schwere Orgelstücke zu spielen. Das ist unglaublich!"
    Carl Rinke erinnert sich noch gut an frühe Kirchenbesuche.
    "Immer wenn ich die Orgel gehört habe, dann war ich so ein bisschen erfüllt, sagen wir mal."
    Heute begleitet Carl Rinke schon selbst Gottesdienste und Mittagsgebete. Ihn fasziniert:
    "Die Vielfalt des Instruments. Die Vielfalt der Register und auch die Möglichkeit, ein Orchester nachzuahmen mit Bass, Tenor und Sopran, dass man sehr viele Stimmen spielen kann: sehr tiefe und sehr hohe Töne."
    Der Nachwuchs wird knapp
    Jan Ernst unterrichtet seit mehr als 15 Jahren Orgelschüler – mit Erfolg: Der Blick auf seine einstigen Schützlinge freut den Schweriner Domkantor.
    Er erzählt: "Aus dieser Zeit sind sogar ein paar Kirchenmusiker entstanden. Aktuell sind allein vier im Kirchenmusik-Studium."
    So wie Jan Ernst unterrichten rund ein Dutzend evangelischer Kirchenmusiker unter dem Dach der Nordkirche in Mecklenburg-Vorpommern. Und zwar mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche so früh wie möglich an die Kirchenmusik heranzuführen. Denn der Nachwuchsmangel wird bald groß sein. Bundesweit. Das betrifft sowohl die hauptamtlichen als auch die nebenamtlichen Stellen. Dabei kommen aus der nebenamtlichen Arbeit nicht selten später hauptberufliche Kräfte, erklärt der Präsident des Verbandes der Evangelischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, Christoph Bogon.
    "Gegenwärtig sind wir 2000 evangelische Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im Hauptberuf. Wir werden in den nächsten Jahren eine relativ große Verrentungswelle haben, weil die geburtenstarken Jahrgänge zunehmend in Ruhestand gehen. Das heißt, uns erwarten in den Jahren 2020 bis 2025 jährlich etwa 90 bis 100 Verrentungen. Das mag jetzt erstmal nicht nach viel klingen, aber wir sind eine kleine Berufsgruppe. Und wenn man bedenkt, dass momentan an den staatlichen wie kirchlichen Hochschulen jährlich rund 50 Absolventinnen und Absolventen ihre Ausbildung abschließen, dann klafft da einfach eine Lücke, die wir schließen müssen."
    Auch die katholische Kirchenmusik-Szene sieht sich mit Nachwuchsmangel konfrontiert. So Wolfgang Bretschneider, der Präsident des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes, also des Dachverbandes der katholischen Kirchenmusik.
    "Die Situation ist ungefähr ähnlich wie bei den evangelischen. Bei uns haben wir gesagt, wir wollen alle Stellen halten, also das heißt, wir wollen sie besetzen können. Das Problem, wir können nicht mehr alle Stellen besetzen. Wir müssen oft drei bis vier Mal ausschreiben, um einen zu finden. In jüngster Zeit ist allerdings festzustellen: Die Kurve geht wieder etwas nach oben - auch was die Zahl der Studierenden an den Hochschulen angeht."
    Neue Wege gehen
    Neue Wege zur Kirchenmusik zu bahnen – das versucht auch seit 2014 Vision Kirchenmusik, ein bundesweit einmaliges Modellprojekt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Inspiration liefert die weltliche Klassik-Szene, die schon seit gut zwei Jahrzehnten dank Musikvermittlung mehr Menschen erreicht. Hier kann die Kirchenmusik-Szene anknüpfen, sagt Ulf Pankoke, einer der beiden Leiter von Vision Kirchenmusik.
    "Dieses Feld 'Musikvermittlung' muss in Kirche auch eine stärkere Rolle spielen, wir wollen es stark machen. Wie machen die anderen das? Für den Kontext Kirchenmusik spielen wir das noch mal neu durch. Viele Kolleginnen und Kollegen machen schon so was. Aber dass wir das mit dem Begriff besetzen, dass wir ein Netzwerk schaffen zwischen den verschiedenen Leuten, die das machen, und so weiter – das ist im kirchlichen Kontext noch neu."
    Neue Wege – das heißt zum Beispiel, dass Jugendliche Bilder gemalt haben zu Krzysztof Pendereckis Lukas-Passion oder wie die Konzertreihe "Ein Fest für Martin Luther" im vergangenen Jahr Profis und Laien zusammenbrachte: An 13 Orten in Niedersachsen traten verschiedene Kirchenchöre und das Renaissance-Ensemble Capella de la Torre auf. Ein Publikumsmagnet.
    Vision Kirchenmusik liefert bei diesen und anderen Projekten nicht Patentrezepte, um das passende Format fürs jeweilige Vorhaben zu finden, erzählt Ulf Pankoke.
    "Wir werden angefragt, und dann geht es von verschiedenen Ausgangspunkten aus. Manchmal heißt es: 'Wir haben ein großes Werk vor und wollen vermittlerisch tätig sein, um eine neue Zielgruppe zu gewinnen.' Oder wir sollen Kirchenmusik in einem Dorf noch fruchtbarer zu machen und noch mehr Leute dafür interessieren, gemeinsamer Prozess. Idee kann sein, in Schulen zu gehen und Videoproduktionen zu machen und dazu zu malen. Oder eine eigene Einführungsveranstaltung zu konzipieren."
    So maßgeschneidert die Angebote von Vision Kirchenmusik sich vor Ort gestalten – überall kann das kleine Team nicht anpacken: Auch deshalb sind schon gelungene Vorhaben online in einer Ideen-Datenbank abrufbar für alle Interessierten - mit praktischen Hinweisen zur Zielgruppe, zum Zeitrahmen und möglichen Beteiligten. Entwicklungshilfe für mehr Resonanz in puncto Kirchenmusik.