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Kirchenmusik
Orgel sucht Obdach

Viele Kirchen schließen in Deutschland. Die Gebäude lassen sich umgestalten, aber was passiert mit den riesigen Orgeln? Andreas Ladach aus Wuppertal baut sie ab und in seiner ausrangierten Kirche wieder auf. Aus der ganzen Welt kommen Interessenten zu ihm ins Bergische Land, um die klangstarken Instrumente zu kaufen.

Von Leila Knüppel | 14.08.2015
    Die Orgelpfeifen einer Kirchenorgel aufgenommen am 30.11.2012 in einer Kirche in Stadtbergen (Bayern).
    Bei Ladach in Wuppertal findet man jede Menge Gebrauchtorgeln aus deutschen Kirchen (dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Bunt gefärbtes Licht scheint durch die meterhohen Fenster Kirche der Trinitatis-Kirche in Wuppertal, malt Muster auf Holzornamente und Pfeifen unterschiedlichster Orgeln. Über 100 Jahre wurden in dem neogotischen Kirchenbau Gottesdienste gefeiert, aber damit es endgültig vorbei. Wo früher die Gemeinde betete, stehen heute meterhohe Pfeifenorgeln. Mehr als fünfzig, dicht an dicht.
    Auf der Empore hat eine schlichte, unverzierte Orgel aus der Schweiz ihren Platz gefunden. Auf dem Altar streckt eine alte englische Orgel ihre riesigen Pfeifen in die Luft. Dazwischen werkelt Andreas Ladach und einer seiner Mitarbeiter an einer der kleineren Orgeln, für den Hausgebrauch. Ladach bestätigt:
    "Ja, es ist voll geworden hier. Wenn Kirchen geschlossen werden, dann vergessen die Kirchengemeinden plötzlich, dass sie eine Orgel haben. Oh, wir haben noch eine Orgel drin! Da fahren wir hin und holen die Orgel raus."
    Obdach für Orgeln in Wuppertal
    Die heimatlosen Orgeln. In der zum Ausstellungsraum umfunktionierten Kirche von Andreas Ladach finden sie Obdach. Oder der Gebrauchtorgelhändler vermittelt sie gleich direkt an einen neuen Käufer – quasi von Kirche zu Kirche.
    In weißem Hemd und Pollunder beugt sich Ladach über das Instrument - und zeigt seinem Mitarbeiter, was zu tun ist. So richtig kommen die beiden mit der Reparatur allerdings nicht voran. Denn ständig klingelt das Telefon.
    "Andreas Ladach. Soll ich auf Deutsch oder Italienisch sprechen?"
    Kunden aus ganz Europa, Mexiko, Indien oder Afrika rufen an. Kein Problem: Ladach spricht fünf Sprachen fließend:
    "Wir verkaufen Orgeln in alle Erdteile. Der einzige Kontinent, der mir noch fehlt, ist Australien, aber da haben wir auch schon konkrete Anfragen."
    Heute schaut außerdem noch Kundschaft einer Kirchengemeinde aus Krefeld vorbei. Der Kirchenvorstand, ein Mitglied aus dem Leitungsteam, der Priester und der Kantor, zu viert sind sie angereist, um eines der Instrumente Probe zu spielen.
    Ladach führt den kleinen Besuchertrupp den Mittelgang entlang. Nirgendwo sonst auf der Welt stehen so viele der Instrumente aufgebaut und spielbereit nebeneinander. Die Besucher aus Krefeld interessieren sich für eine schlichte Orgel aus hellem Holz. Andreas Ladach erklärt:
    "Die kommt aus den Niederlanden."
    Kaufpreis ist kleinster Anteil
    Etwa 40.000 Euro soll sie kosten. Der Orgelmakler weist darauf hin, dass der Kaufpreis bei einer gebrauchten Orgel die geringste Summe ausmacht. Dazu kämen Abbau, Transport, Wiederaufbau, eventuelle Reparaturen, die klangliche Anpassung an den neuen Raum. Der Kaufpreis der Orgel mache in den meisten Fällen nur ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtinvestition aus.
    Kirchenmusiker Christoph Scholz setzt sich an das Instrument und legt los. In seiner Gemeinde spielt er bisher noch auf einer provisorischen Orgel. Scholz erklärt:
    "Das optimale Instrument für einen Raum würde man immer neu bauen. Aber das ist in einer finanziellen Größenordnung."
    Der Kirchenvorstand zustimmt zu, ja genau, man müsse auch Kompromisse eingehen können.
    Seit viele Gemeinden sparen müssen, schauen sie sich auch gerne mal im Ausstellungsraum von Andreas Ladach um.
    Aber: Ein passendes, gebrauchtes Instrument zu finden, ist gar nicht so einfach, sagt Kirchenmusiker Scholz. Mehre Jahre dauert es meist, eh sich Organist und Orgel gefunden haben. Schließlich ist jede Orgel ein Unikat – speziell für die Akustik, Größe und Architektur ihrer Heimatkirche angefertigt. Scholz holt aus:
    "Eine alte englische Orgel ist stilistisch natürlich was ganz anderes als eine Verschueren-Orgel aus den 1970ern. Das ist, wie wenn man ein Barockensemble mit einem romantischen Orchester vergleicht."
    Nicht nur die Instrumente. Auch die Organisten, Gemeindevorsteher und Priester haben so ihre Eigenarten, meint Ladach. Wer da vermitteln möchte, muss sich mit den Strukturen einer Kirchengemeinde genauso gut auskennen, wie zwischen Pfeifen, Ventilen und Abstrakten im Inneren der Orgel. Beides Spezialgebiete, zu denen der Mittvierziger eher durch Zufall kam, wie Ladach erzählt. Elektrotechnik habe er studiert und als Hobby Orgel gespielt:
    "Ich saß irgendwann bei uns an der Orgel und da kam unser Kirchenarchitekt rein und sagt, ach, Herr Ladach, wir haben da eine kleine gebrauchte Orgel, Sie haben doch so viel Kontakte nach Polen, fragen Sie doch mal, ob die jemand in Polen gebrauchen kann. So hat das angefangen."
    Mittlerweile hat Ladach zwei Angestellte und verkauft über 70 Instrumente pro Jahr. Der Umsatz sei knapp siebenstellig, erzählt der Orgel-Händler, während seine Kunden sich noch über den Kauf beraten. Dafür müsse er aber auch so gut wie ständig auf Achse sein. Allein der Tachostand an seinem Auto wächst jährlich schon um 40.000 Kilometer. Ladachs ökonomische Bilanz:
    "Es ist halt so, dass ich meine Familie davon ernähren kann, aber wir werden alle nicht reich davon."
    Bei der Gemeinde aus Krefeld scheinen sich Orgel und Organist gefunden zu haben. Fast ein kleines Wunder, meint Kirchenmusiker Scholz. Auch wenn es sich nur um ein kleines Instrument handele. Aber schließlich:
    "Es handelt sich weniger um etwas, das einem Zweck dient, als mehr
    einen Sinn. Es ist nicht zum Nutzen da, sondern um den Himmel auf Erden zu holen."