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Kirchennutzung
Zukunft mit Grauschleier

Viele Gotteshäuser, wenige Gottesdienstbesucher - also können nicht alle Kirchen bleiben, was sie sind. Die Debatte über die Zukunft der Gebäude hat auch die architektonisch bedeutenden Werke von Gottfried Böhm erfasst. Was wird aus Böhms Beton? Ein Besuch in Köln, Neviges und Düsseldorf.

Von Klaus Englert | 07.10.2019
St. Gertrud Köln, "Fluch und Segen ", Kirchen der Moderne, Eine Ausstellung des M:AI NRW,
Die Ausstellung "Fluch und Segen" in der Kölner Kirche St. Gertrud fragt nach der Zukunft von Kirchen, die nicht mehr für Gottesdienste genutzt werden. (Michael Rasche)
Künstler können den Kirchen in der Dauerkrise einen neuen Sinn verleihen. Davon ist Pastoralreferent Peter Otten überzeugt:
"Dass sie aus dem Ort des Heils etwas Heilsames weiterführen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende"
Peter Otten betreut in Köln die katholische Kirche St. Gertrud, die niemals irgendein Gotteshaus war. Errichtet wurde sie in den 1960er Jahren inmitten einer dichten Wohnbebauung im Agnesviertel, unmittelbar an den Bahngleisen. Der nach außen recht unscheinbare Sakralbau geht auf einen Entwurf des vielleicht berühmtesten Kirchenbaumeisters der Nachkriegszeit zurück – des Kölner Architekten Gottfried Böhm. Trotz ihrer Bekanntheit verkleinerte sich die Kirchengemeinde in den letzten Jahren dramatisch, weshalb sie schließlich mit der St. Agnes-Gemeinde zusammengeschlossen wurde. Seither gibt es in St. Gertrud kaum noch Messen, und die verbliebenen Gemeindemitglieder fragten sich:
"Was machen wir jetzt hieraus? Verkaufen wir das? Machen wir Wohnungen daraus? Machen wir eine Bibliothek?" Erzählt Otten.
"Kultur als Pfeiler der Seelsorge"
In Köln entschieden sich die Gemeindemitglieder gegen diese Optionen. Man wollte nicht den Weg anderer Pfarreien gehen, die nach der Profanierung der Kirche einer weiteren kommerziellen Nutzung stillschweigend zustimmten. Nein, ein Restaurant sollte hier nicht entstehen. Stattdessen besannen sich Otten und die Gemeinde auf eine typisch kölsche Tradition.
Seit mehreren Jahren betreut der Seelsorger und Beuys-Anhänger Friedhelm Mennekes die gotische Kirche St. Peter und machte aus ihr die "Kunststation Sankt Peter". Und der Kölner Galerist Rafael Jablonka kaufte 2010 die kreisrunde, mit einem Kuppeldach versehene Böhm-Kapelle "St. Ursula" im nahen Hürth-Kalscheuren und machte daraus eine Galerie für zeitgenössische Kunst.
Peter Otten meint, im Kölner Agnesviertel habe man sich an die großartige Sakralkunst erinnert, die einst in den gotischen Kathedralen entstand. Diese Tradition, Kunst und Sakralarchitektur zusammenzubringen, wollte man in St. Gertrud weiterführen. Schließlich gründete Gemeindemitglied Birgitt Caspers "kirche + kultur", um den Kirchenraum für Kunstausstellungen, aber auch für Musikveranstaltungen zu öffnen. Sie sagt:
"Im Viertel haben wir keine Probleme und auch in der Gemeinde haben wir absolut keine Probleme damit, dass wir das machen. Da haben wir in der Gemeinde eine lange Tradition darin, dass Kultur als Pfeiler der Seelsorge agiert."
Peter Otten macht deutlich:
"Dieser Ort ist nach wie vor eine Kirche, es gibt ein Tabernakel, da brennt nach wie vor eine Kerze, und es ist nach wie vor eine Hostie im Tabernakel. Und das finden die Künstlerinnen und Künstler wichtig."
"Dieser Raum ist ein einziger Widerspruch"
Der Architekt Gottfried Böhm hatte in den sechziger Jahren den Sakralbau gegen Verkehrsstraße und Eisenbahngleise so gut wie möglich abgeschirmt, ihn wie eine in sich gekehrte Trutzburg gestaltet. Hier konnten die Gläubigen die Unbilden des Alltags außen vor lassen. Peter Otten meint, das Gebäude könne tatsächlich als Höhle oder schützendes Zelt empfunden werden – je nach Gefühlslage:
"Die Architektur dieser Kirche ist passend für das, was Menschen heute erleben. Wir leben in Ambivalenzen, in Widersprüchen – und dieser Raum ist ein einziger Widerspruch. Das macht unser Leben, unsere Existenz und unsere Gottesfrage aus. Die Frage nach Gott ist nicht eindeutig mit Ja oder Nein zu beantworten. Da kümmern wir uns gemeinsam drum, die Menschen vom Kunstkreis St. Gertrud kirche + kultur und die Künstler. Es ist immer das Beste, wenn etwas Heilsames dabei herauskommt."
St. Gertrud ist nicht die einzige Böhm-Kirche im Wandel. Auch Gottfried Böhms weltbekannte Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges ist davon betroffen. Aber nicht allein der Schwund der Gläubigen wirkt sich auf den Mariendom aus, der sich wie eine gotische Stadtkrone über das kleine Neviges im Bergischen Land erhebt. Erst kürzlich wurde der Ort von der Nachricht erschüttert, die wenigen verbliebenen Franziskaner, die seit dem späten 17. Jahrhundert die Marienwallfahrt organisierten, würden Anfang 2020 Neviges verlassen. Dann würde der Mariendom erst einmal verwaist sein, wenn nicht zuvor die Erzdiözese Köln die Nachfolge geregelt haben sollte.
Ansicht der Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens", einer Kirche aus Beton.
Blick auf die Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" von Gottfried Böhm in Velbert-Neviges (Deutschlandradio - Andreas Lemke)
Doch in Neviges hat man derzeit größere Sorgen: Die Renovierung der komplizierten Dachkonstruktion will kein Ende finden. Bereits vor einigen Jahren hat Gottfried Böhms Sohn Peter mit den Renovierungsarbeiten begonnen – im Auftrag der Erzdiözese. Ihn erstaunt noch immer, dass der Kirchenraum in den letzten Jahrzehnten viel dunkler geworden ist:
"Der Raumeindruck war früher sehr viel heller", erzählt er. "Die Wände sind sehr schwarz geworden, ähnlich wie beim Kölner Dom durch die Kerzen, und dadurch hat sich der Raum sehr stark verändert. Es wäre schön, wenn der wieder gereinigt werden könnte. Das ist natürlich mit Kosten verbunden. Die Kosten stehen momentan nicht im Raum. Wichtig ist erst einmal, dass draußen das Dach gedichtet wird."
Beton mit Bewehrungseisen
Tatsächlich erwies sich die mehrfach gefaltete Dachkonstruktion als größte Problemzone im gesamten Sakralbau. Gottfried Böhm verbaute Mitte der sechziger Jahre 7500 Tonnen Beton und 510 Tonnen Bewehrungseisen. Er ließ ein imposantes Zeltdach für die Pilgerströme entstehen, die damals erwartet wurden. Und die Diözese wünschte einen Mariendom, der über die gesamte Region ausstrahlen sollte. Doch das Betonfaltwerk ohne äußere Abdichtung und Dacheindeckung war von Beginn an, wie Peter Böhm eingesteht, eine Herausforderung. Bereits nach wenigen Jahren entstanden erste Feuchtigkeitsschäden, verursacht durch Risse im Stahlbetondach. Durch sie drang Wasser ins Innere der Klosterkirche. "Das ist kritisch, weil der Beton verträgt eigentlich nicht Feuchtigkeit. Es rostet Eisen, da können schon schwerwiegende Schäden entstehen. Man muss da etwas tun."
Der Sohn des Architekten Gottfried Böhm, Peter Böhm
Der Sohn des Architekten Gottfried Böhm, Peter Böhm (dpa / lby / Tobias Hase)
Doch der Abschluss der Renovierungsarbeiten ist ungewiss:
"Es ist eine weitere Bauphase gerade im Gang, aber für den letzten Bauabschnitt wird noch die Finanzierung gesucht", so Peter Böhm.
Momentan widmet sich Böhm einem anderen Sakralensemble seines Vaters, das der Wallfahrtskirche in Neviges keineswegs nachsteht: St. Matthäus in Düsseldorf-Garath. Die noch immer wenig bekannte Kirche errichtete Gottfried Böhm Ende der sechziger Jahre, kurz nach Fertigstellung des Mariendoms. Böhm baute sie an den Südrand des neu entstandenen Stadtviertels Garath, als Teil einer kleinen, in sich geschlossenen Siedlung: Die expressionistische St. Matthäus-Kirche und angrenzend das Altenheim St. Hildegardis mit Hospiz und Kapelle. Zusammen mit der Kirche bilden sie ein geschlossenes Karree.
Radikal mutig: Mariendom-Architekt Gottfried Böhm
Der Architekt Gottfried Böhm (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
Jetzt engagiert sich Peter Böhm für die Zukunft des St. Hildegardis-Heims, eines denkmalgeschützten Ensembles aus leuchtend rotem Klinker. Böhm befürchtet: Der Fortbestand des Heims steht auf dem Spiel, weil es den geltenden gesetzlichen Bestimmungen für die Unterbringung von Senioren nicht mehr entspricht.
Deswegen sah sich die Düsseldorfer Caritas – die Eigentümerin des Altenheims - gezwungen zu handeln. Caritas-Sprecher Ulrich Brzosa bedauert, dass die Einrichtung nach der Jahreswende schließen muss und die weitere Nutzung noch ziemlich ungewiss ist:
"Dieses Haus wird einer neuen Nutzung zugeführt. Wir wissen noch nicht, in welcher Form. Aber von außen betrachtet, bleibt das Ensemble in seiner Form, wie es schon seit 50 Jahren hier steht, erhalten."
St. Hildegardis ist von hoher baulicher Qualität, erkennbar an Foyer und Treppenhaus, an dem Siedlungscharakter und der aufgelockerten Bauweise. Aber Thomas Salmen, stellvertretender Leiter der Düsseldorfer Caritas, muss eingestehen, dass die heute erforderliche 80-prozentige Einzelzimmerquote mit angegliedertem Bad nicht einlösbar ist. Notwendige Umbauten wären viel zu aufwendig und teuer. Die Caritas hat sich für einen benachbarten Neubau entschieden und Peter Böhm gebeten, nach einem geeigneten Investor Ausschau zu halten, einem Investor, der möglichst behutsam mit dem Bauerbe umgeht.
Die Zukunft der Böhm-Kirchen
Thomas Salmen fragt sich, wie die Zukunft des Baudenkmals aussehen kann:
"Man muss mit den Institutionen und Personen eine Lösung suchen, wie das Haus genutzt werden kann. Eine sinnvolle Nutzung kann in einer Wohnraumnutzung liegen, und zwar in größeren und kleineren Einheiten, so wie es das Haus hergibt."
Tatsächlich erweist sich die Umwandlung in möglichst variable Wohneinheiten als die beste Lösung. Und damit sind Peter und Gottfried Böhm wieder im Spiel:
Thomas Salmen: "Mein Ansprechpartner ist Prof. Peter Böhm. Ich weiß von unseren Gesprächen, dass er seinen Vater in all diese Gedankenspiele mit einbezieht und auch Gottfried Böhm selbst an den Plänen gezeichnet hat. Also er nimmt aktiv an diesem Projekt noch teil." Andere hervorragende Sakralbauten im Rheinland hatten weniger Glück: Sie wurden zu Kletterhallen oder "Eventkirchen" degradiert.