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Kirill Serebrennikow
Kremlkritischer Leiter des Gogol-Theaters in Haft

Der Theaterregisseur Kirill Serebrennikow ist in Russland während Dreharbeiten zu einem neuen Film festgenommen worden. Die russische Justiz beschuldigt ihn des Betruges in einem besonders schweren Fall. Die russische Kulturszene ist empört.

Von Thielko Gries | 22.08.2017
    Kirill Serebrennikov, artistic director of the Gogol Center Theater, attends a book presentation at the Gogol Center in Moscow, 27 February 2013. Photo: Vladimir Astapkovich/RIA Novosti |
    Kirill Serebrennikow (RIA Nowosti)
    Kirill Serebrennikow hat sich in Sankt Petersburg aufgehalten. Der Regisseur war dort wegen der Dreharbeiten zu "Leto", zu Deutsch "Sommer" – ein Film über den russischen Rockmusiker Wiktor Zoi und dessen Leben in den 70er-Jahren zur Zeit der Sowjetunion. Es habe bislang keine Zwischenfälle gegeben, sagte Drehbuchautor Michail Idow dem Sender Doschd.
    "Kirill Semjonowitsch war in wunderbarer Stimmung, die Dreharbeiten liefen – und sie werden fortgesetzt werden, davon bin ich überzeugt. Ich kann nur sehen, was ich vor mir habe: Es sieht aus wie eine Hetzjagd. Das ist das, was ich von meinem begrenzten Standpunkt aus sagen kann, Hetzjagd auf ein Talent."
    Das Ermittlungskomitee hat Kirill Serebrennikow gestern Abend festgenommen und bereits nach Moskau bringen lassen, um ihn zu vernehmen. Sprecherin Swetlana Petrenko sagte am Nachmittag:
    "Er wird verdächtigt, die Unterschlagung von nicht weniger als 68 Millionen Rubel, umgerechnet rund eine Million Euro, organisiert zu haben, die in den Jahren 2011 bis 2014 geflossen sind, um das Theaterprojekt 'Plattform' zu realisieren."
    Serebrennikow streitet die Vorwürfe ab. Sein Anwalt Dmitrij Charitonow erklärte:
    "Es ist nicht notwendig so zu handeln, wie es heute geschehen ist. Wir wären auch so gekommen, wenn wir einfach angerufen worden wären."
    Situation für Kirill Serebrennikow hat sich verschärft
    Ein Ergebnis des Theaterprojekts "Plattform" war eine Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum. Diese Inszenierung, behaupten nun aber die Ermittler, habe es nicht gegeben – das Geld sei also veruntreut worden. Serebrennikow hatte diese Situation auf seiner Facebook-Seite als absurd und schizophren bezeichnet und Zuschauer schriftlich aufgerufen, unter Beweis zu stellen, dass sie das Stück gesehen haben.
    "Vielleicht werden Ihre Zeugnisse, Erinnerungen und Eindrücke des Theaterprojekts 'Plattform' als Beweise dafür dienen, wem ich und andere drei Jahre unseres Lebens gewidmet haben. Besonders wichtig ist es, sich an die Inszenierung des 'Sommernachtstraums' zu erinnern, den wir mehr als 15 Mal gespielt haben. Danach haben wir ihn in Paris und beim Festival 'Baltisches Haus' gespielt."
    Unter dem Hashtag #былнаплатфoрме – "Ich war bei der Plattform" – haben Hunderte Menschen geantwortet, sie hätten das Stück gesehen. Der Aufruf erfolgte vor gut zwei Monaten. Mit dem heutigen Tag hat sich die Situation für Kirill Serebrennikow allerdings verschärft: Er wird in diesem Verfahren nicht länger als Zeuge betrachtet, sondern als Beschuldigter. Außerdem wird bereits seit Längerem gegen drei seiner Mitarbeiter ermittelt. Eine von ihnen, eine Buchhalterin, hat die Vorwürfe der Unterschlagung bestätigt. Die Ermittlungen haben längst höchste Kreise in Russland erreicht. Mitte Juni äußerte sich der russische Präsident Wladimir Putin über einen Vorfall Ende Mai. Damals war in Moskau das Theater Gogol-Zentrum, dessen künstlerischer Leiter Serebrennikow ist, durchsucht worden. Der Regisseur wurde abgeführt und befragt, Schauspieler stundenlang im Gebäude festgehalten.
    "Die Durchsuchung, die Beschlagnahme von Dokumenten wurde mit Hilfe von Sicherheitskräften durchgeführt. Ich sehe darin nichts Kluges, weil es nicht notwendig ist, in ein Theater, in eine Buchhaltung mit Hilfe von Sicherheitskräften zu kommen. Das ist einfach unsinnig. [...] Wissen Sie, Offiziere befolgen jeden Befehl. Das ist unsinnig. Und hier war es auch unsinnig."
    Diesen Kommentar Putins hatten manche Beobachter als Hinweis gewertet, die Staatsführung wolle die Justiz anhalten, Serebrennikow eher mild als hart zu behandeln. Der heutige Tag passt nicht zu dieser Interpretation.