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Kita-Tarifstreik
Verdi-Chef will frauentypische Berufe aufwerten

Vor den Verhandlungen im Tarifstreit der Erzieher und Sozialarbeiter hat Verdi-Chef Frank Bsirske ein neues Angebot der Arbeitgeber verlangt. Letztlich gehe es "um die Aufwertung eines Berufsfeldes, das durch Lohndiskriminierung von frauentypischen Berufen geprägt ist", sagte Bsirske im DLF.

Frank Bsirske im Gespräch mit Jasper Barenberg | 13.08.2015
    Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske spricht und gestikuliert während einer Pressekonferenz.
    Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Der Verdi-Vorsitzende zeigte sich bereit, auch über eine andere Verteilung der angebotenen Gehaltserhöhungen zu reden. Man werde aber "nicht umhinkommen, am Ende auch noch draufzulegen." Bei einer durchschnittlichen Erhöhung der Gehälter um 3,3 Prozent - wie von den Schlichtern vorgeschlagen - gebe es nicht viel Luft, um nur durch eine andere Verteilung innerhalb der Berufsgruppen zu einer Einigung zu kommen.
    Der Vorschlag der Schlichter war bei einer Mitgliederbefragung abgelehnt worden. Bsirske meinte, die Empfehlung der Vermittler sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Die Gewerkschaftsmitglieder hätten aber die klare Botschaft gesendet, dass ihnen dieser Schritt nicht ausreiche. Letztlich gehe es "um die Aufwertung eines Berufsfeldes, das durch Lohndiskriminierung von frauentypischen Berufen geprägt ist".
    Die Tarifparteien kommen am Vormittag in Offenbach zu einer neuen Verhandlungsrunde zusammen. Verdi schließt Arbeitsniederlegungen in kommunalen Kindertagesstätten und anderen sozialen Einrichtungen nicht aus.

    Das Interview in voller Länge
    Jasper Barenberg: Er hat sich verkalkuliert, das sagt Frank Bsirske über Frank Bsirske. Der Verdi-Vorsitzende hat hoch gepokert im Streit um die Gehälter für Erzieherinnen und Sozialpädagogen. Er hat lange gestreikt und schließlich die Empfehlungen der beiden Seiten zur Hilfe gerufen, den Schlichter gut geheißen, um dann doch erkennen zu müssen, dass die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder nicht mitziehen mag. Bei den Verhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern muss Frank Bsirske heute deshalb mehr verlangen als das, was er selbst noch vor kurzem in Ordnung fand.
    Am Telefon ist der Vorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Guten Morgen, Frank Bsirske.
    Frank Bsirske: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Als Gewerkschaftschef, Herr Bsirske, haben Sie sich erst für den Kompromiss der Schlichtungsrunde ausgesprochen, stark gemacht und sind jetzt doch dagegen. Wie wollen Sie damit die Arbeitgeberseite zu weiteren Zugeständnissen bewegen?
    Bsirske: Na ja, klar ist: Wir haben das Ergebnis für anschlussfähiger gehalten, als es das tatsächlich war. Wir wollten wissen, wie die Mitglieder zu diesem Ergebnis stehen. Das Ergebnis ist eindeutig, eindeutig für uns und eindeutig auch für die Arbeitgeber. Es ist ein Signal an die Gewerkschaft und es ist ein Signal an die Arbeitgeberseite, hier noch mal aufeinander zuzugehen und über Verbesserungen nachzudenken. Denn Verbesserungen sind notwendig, wenn die Befriedung eintreten soll in diesem Konflikt.
    Barenberg: Räumen Sie denn ein, dass Sie da in einer ziemlich unguten Position auch deshalb sind, weil Sie Ihren Gewerkschaftsmitgliedern so hohe Erwartungen geschürt haben?
    Bsirske: Na ja. Wir wollen die Aufwertung dieses Berufsfeldes, das ja historisch eher durch Lohndiskriminierung von frauentypischen Tätigkeiten geprägt ist. Wir brauchen die Aufwertung und wir wollten einen Wertausdruck für diese Aufwertung, und zwar in einer Art und Weise, wo alle sagen ja, okay, da geht es nicht um eine normale Tarifrunde, aber gleichzeitig sagen, na ja, es ist eine Forderung, die im Prinzip nicht jenseits von Gut und Böse ist. Und tatsächlich war es ja auch so, dass im April, im Mai, auch im Juni in den Medien niemand im Prinzip diese Forderung für aus der Welt befindlich angesehen hat, sondern gesagt wurde ja, das ist so, das ist ein Berufsfeld, wo es eine Aufwertung braucht, wo im Grunde nachvollzogen werden muss auf der Bezahlungsseite, was an Anforderungen gestiegen ist. Es gab sehr, sehr viel Unterstützung.
    "Für viele Sozialarbeitergruppen ist gar nichts rausgekommen"
    Barenberg: Und diese Anerkennung für die Leistung der Erzieherinnen und auch der Sozialpädagogen steht ja auch im Schlichterspruch, oder nicht?
    Bsirske: Ja! Das ist ein Schritt in Richtung Aufwertung, keine Frage, und die Mitglieder hatten zu befinden, ob ihnen dieser Schritt ausreicht. Sie haben da eine klare Botschaft gesetzt an alle, an die Gewerkschaft, an die Arbeitgeber, an die Eltern, dass ihnen dieser Schritt nicht ausreichend erscheint, und wenn man mal darüber nachdenkt, was es für Motive gewesen sind, die einem immer wieder begegnet sind, dann tauchen Stichworte auf, die Sie in Ihrer Einführung ja auch schon genannt haben: Die Laufzeit, bis ein weiterer Schritt erfolgen kann, zu lang, die Erhöhung der Gehälter für die Masse der Erzieherinnen in den Anfangsjahren des Berufes zu gering. Da haben wir Erhöhungen von 55, 60 Euro. Das sind in einer Situation, wo 62 Prozent der Arbeitsplätze im Kita-Bereich Teilzeitarbeitsplätze sind, am Ende 30 Euro mehr brutto. Das ist nicht das, was sich die Kolleginnen und Kollegen unter Aufwertung vorgestellt haben. Hinten, nach vielen Berufsjahren wird es dann mehr an Erhöhung, aber vorne ist es zu wenig. Für viele Sozialarbeitergruppen ist gar nichts rausgekommen.
    Und dann kommt hinzu, dass bei anderen Arbeitgebern im Kita-Bereich beispielsweise zurückgelegte Arbeitsjahre als Berufserfahrung nicht anerkannt werden müssen, sondern die Arbeitgeberseite für sich frei entscheiden kann, ob sie das tut oder nicht. Das wird von vielen als Ungerechtigkeit empfunden.
    Barenberg: Lassen Sie uns, Herr Bsirske, mal kurz hören, was der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, also Ihr Verhandlungspartner, hier bei uns im Deutschlandfunk genau zu diesem Punkt gesagt hat, was jetzt noch möglich ist.
    O-Ton Thomas Böhle: "Ja, es geht möglicherweise um die Verteilung etwaiger Zuwächse, dass man an diesen und jenen Stellen, bei denen das den Gewerkschaften ein besonderes Anliegen ist, umsteuert, und da mag es natürlich Sinn machen, dass man darüber redet und das werden wir am Donnerstag tun."
    Barenberg: Soweit Thomas Böhle von der Seite der kommunalen Arbeitgeberverbände. - Können Sie sich auf diese Grundlage einigen, dass man im Volumen bei dem bleibt, was die Schlichter vorschlagen, dass man aber innerhalb dieses Kompromisses ganz nach Ihren Wünschen und Vorstellungen beispielsweise dafür sorgt, dass zu Beginn der Berufsjahre, wenn es um Erzieherinnen geht, da ein bisschen draufgelegt wird? Das müssten Sie dann an anderer Stelle wieder wegnehmen.
    Bsirske: Ich denke, dass es Sinn macht, sich auch darüber zu unterhalten. Aber im Kern werden wir nicht umhin kommen, am Ende auch noch draufzulegen und es nicht nur als eine reine Umverteilungsaktion innerhalb der Beschäftigtengruppen anzugehen, weil dafür ist dann das Volumen insgesamt natürlich auch sehr, sehr dünn. Wir haben eine durchschnittliche Erhöhung der Lohnkosten um 3,3 Prozent. Da ist nicht viel Luft, um umzuverteilen. Aber okay, wir werden versuchen, das auszuloten. Ich finde, es lohnt allemal, jetzt das Ganze noch mal intensiv in den Blick zu nehmen. Wir sind dazu bereit. Am Ende wird es Verbesserungen geben müssen gegenüber der Schlichtungsempfehlung, wenn ein Streik verhindert werden soll, und ob das gelingt, das werden wir sehen.
    "Da ist nicht viel Luft, um umzuverteilen"
    Barenberg: Und ob das dann gelingt, mehr rauszuholen, wenn Sie noch mal streiken, das ist ja auch eine wichtige, eine spannende Frage, zumal Sie berücksichtigen müssen, dass Sie bisher die Unterstützung und das Verständnis vieler Eltern jedenfalls gehabt haben und jetzt erkennbar nicht mehr. Welche Rolle spielt das in Ihren Überlegungen?
    Bsirske: Nun, wir haben bei den Erzieherinnen eine Einstellung, wo viele, viele sagen, ich muss jetzt mal nicht zu allererst an andere denken, an die Eltern beispielsweise, sondern ich muss zu allererst mal an mich selbst denken. Am Ende, wenn zum Beispiel es Richtung Rente geht, dann werde ich damit rechnen müssen, im Hartz-IV-Niveau zu bleiben, und das will ich nicht. Ich will eine Anerkennung, mehr Anerkennung für meine anspruchsvolle Arbeit, und das muss sich auch materiell niederschlagen. Denn am Ende in 20 Jahren, dann sind die Eltern, mit denen ich es jetzt zu tun habe, nicht mehr da, aber ich bin noch da und ich muss mit dem, was ich dann kriege, auch vernünftig leben können, über die Runden kommen können, und dafür muss ich jetzt was tun.
    Barenberg: Das ist sicherlich ein verständlicher Standpunkt. Herr Bsirske, Sie haben aber selbst nach der Schlichtung Ende Juni gesagt, dass Sie vor weiteren Streiks warnen, und Sie warnen davor, verbrannte Erde zu hinterlassen, verbrannte Erde nämlich im Verhältnis der Mitarbeiter zu ihren Arbeitgebern und auch zu den Eltern. Das sehen Sie jetzt anders?
    Bsirske: Nein! Wir haben ja eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Diese Mitgliederbefragung hat ein klares Ergebnis gebracht und dieses Ergebnis ist für uns Handlungsauftrag. Die Mitglieder erwarten ein besseres Ergebnis. Es gibt ein paar Stellschrauben dafür und die müssen wir jetzt auch tatsächlich miteinander in Angriff nehmen, wir miteinander mit den Arbeitgebern. Und wenn das gelingt, dann, glaube ich, wird ein Streik vermeidbar sein. Wenn nicht, dann steuern wir im Grunde auf eine weitere Zuspitzung der Auseinandersetzung zu.
    "Wir haben uns viele Gedanken gemacht"
    Barenberg: Etwas anderes spielt ja auch noch eine Rolle. Wir wissen, dass Sie im September gerne als Vorsitzender von Verdi wiedergewählt werden wollen. Wie ernst nehmen Sie Ankündigungen von Mitgliedern, beispielsweise in sozialen Foren, die Gewerkschaft zu verlassen oder vor der Zentrale in Berlin zu protestieren, sollte es mehr oder weniger bei dem Schlichterspruch bleiben?
    Bsirske: Wir haben ein Ergebnis der Mitgliederbefragung, das nehmen wir absolut ernst als Handlungsauftrag, hier ein besseres Ergebnis herauszuholen, gegebenenfalls über eine Fortsetzung des Streiks. Und seien Sie mal versichert: Wir haben uns viele Gedanken gemacht. Was nicht eine einzige Sekunde dabei eine Rolle gespielt hat, ist der Bundeskongress und die Frage, mit welchem Ergebnis ich wiedergewählt werde. Es wäre absurd anzunehmen, dass 1,5 Millionen Streiktage, die wir jetzt in diesem Jahr allein bei Verdi haben, auf den Weg gebracht worden wären, um dem Vorsitzenden dieser Organisation ein besseres Ergebnis zu sichern. Das ist absoluter Blödsinn.
    Barenberg: Das Ziel, ein gutes Ergebnis bei Ihrer Wahl zu erzielen, das spielt für Sie keine Rolle?
    Bsirske: Ich bin mir relativ sicher, dass ich ein gutes Wahlergebnis kriegen werde und dass die Frage, ob wir den Streik fortsetzen oder nicht, etwas mit dem materiellen Ergebnis zu tun haben wird, aber ganz sicher nicht mit unserem Bundeskongress.
    Barenberg: ... sagt Frank Bsirske, der Vorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ich bedanke mich für das Gespräch heute Morgen.
    Bsirske: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.