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Kitaausbau: "Wir brauchen viel flexiblere Lösungen"

Nach den Erkenntnissen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes wird es Gebiete und Städte geben, in denen zahlreiche Eltern den Rechtsanspruch eines Kitaplatzes geltend machen werden, sagt Gerd Landberg. Dabei sei nicht nur die Finanzierung ein Probelm, sondern auch der Mangel an Erzieherinnen.

Gerd Landberg im Gespräch mit Manfred Götzke | 06.11.2012
    Manfred Götzke: Die Lücke ist also nach wie vor riesig beim Kitaausbau, ja und bei den Kommunen wächst deshalb die Angst vor einer Klagewelle der Eltern, die trotz Gesetz keinen Kitaplatz bekommen. Und darüber möchte ich jetzt mit Gerd Landsberg sprechen, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Hallo, Herr Landsberg!

    Gerd Landsberg: Hallo, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Landsberg, haben Sie diese neuen Zahlen überrascht?

    Landsberg: Die haben mich nicht überrascht. Ich muss Sie etwas revidieren. Das Bundesamt für Statistik hat ja den Stichtag erster März, und bekanntlich haben wir jetzt November, das heißt, in der Zwischenzeit sind natürlich weitere Plätze geschaffen worden. Wir gehen davon aus, dass es im Moment, also jetzt im November, tatsächlich etwa 620.000 Plätze gibt. Trotzdem ist das natürlich noch eine Riesenmenge, um auf diese 780.000 tatsächlich zu kommen.

    Götzke: Ja, da fehlen immer noch eine Menge. Nun ist Ihr Vorschlag, den gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz erst mal aufzuweichen und zunächst auf die zweijährigen Kinder zu beschränken, bei der Politik nicht gut angekommen, wir haben es gerade gehört. Ministerin Schröder sagt, die Kommunen können das stemmen. Was entgegnen Sie?

    Landsberg: Also ich wusste natürlich, dass dieser Vorschlag nicht auf Zustimmung stößt. Wir haben Wahl, wir haben Bundestagswahl, wir haben Landtagswahlen. Mir ist schon klar, dass das politisch wahrscheinlich nicht umzusetzen ist. Trotzdem haben wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund schon sehr früh gesagt, dieser uneingeschränkte Rechtsanspruch, denn die Zahl, 39 Prozent der Eltern wollen Betreuung, ist ja auch nur geschätzt. Sie haben das ja richtig anmoderiert. Das sind übrigens nicht nur die Großstädte. Es sind auch kleinere Städte. Und nach unseren Erkenntnissen teilweise 50, 60 sogar über 60 Prozent der Eltern diesen Rechtsanspruch geltend machen wollen. Und das ist dann auf keinen Fall zu stemmen. Deswegen muss man die politische Diskussion jetzt führen. Und wenn die Politik sagt, wir halten an dem Rechtsanspruch fest, dann müssen wir viel mehr Geld bekommen. Wir brauchen viel flexiblere Lösungen, und ich sag es auch ganz deutlich: Das ist nicht nur eine kommunale Aufgabe, sondern auch eine Aufgabe der Wirtschaft. Die Wirtschaft sagt ja immer, die junge Frau muss in den Beruf zurück, möglichst schnell. Die Frauen wollen das auch, weil sie Karriere machen wollen. Und deswegen gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass Unternehmen sich zusammentun, eine Tagesmutter fest anstellen. Das ist eine Möglichkeit, wo wir vielleicht noch etwas erreichen können. Ich glaube auch nicht, dass es flächendeckend zu Klagewellen kommt. Aber es wird Gebiete und Städte geben, wo wir große Probleme bekommen. Und da sagen wir, hier sind Bund und Länder gefordert. Denn auch, was Sie im Vorbericht dargestellt haben – es ist ja nicht so, dass die Kommunen damals gesagt haben: Prima, das machen wir! Im Gegenteil. Das Gesetz haben Bund und Länder gemacht, und wir haben von Anfang an gesagt, wenn ihr das wollt, ist das richtig, aber ihr tragt auch die finanzielle Verantwortung.

    Götzke: Sie sagen aber jetzt, wenn es genug Geld gibt, dann können Sie das schaffen?

    Landsberg: Ich weiß nicht, ob ich es schaffen kann. Das ist Spekulation. Genau genommen kann man Ihnen das am 1. März sagen, denn ein halbes Jahr vorher müssen Sie das Kind anmelden. Ich sage nur, wir müssen alles tun, damit es möglichst in vielen Bereichen klappt. Wir haben ja auch schon viel geschafft. Es wird ja so getan, als hätten die Kommunen nichts erreicht. Um nur mal eine Zahl zu nennen: Innerhalb von drei Jahren, also seit 2006, ein paar Jahre mehr, sind 270.000 Plätze geschaffen worden. Wenn Ihnen das jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, hätte man gesagt, das geht gar nicht. Und wir haben halt nicht nur ein Geldproblem, wir haben auch ein Problem mit Erzieherinnen: Es gibt gar nicht so viele Erzieherinnen. Und selbst, wenn Sie sich jetzt hinstellen und sagen, ich mache die große Ausbildungsoffensive, dann reicht das nicht, weil die Zeit zu kurz ist. Also brauchen wir mehr Tagesmütter, wir müssen zum Beispiel auch darüber reden, kann man nicht so eine Art Platz-Sharing machen? Wir haben hier sehr viele auch Ganztagsplätze, und viele Eltern wollen gerade bei diesen ganz kleinen Kindern häufig nur einen halben Tag. Dann kann man natürlich die Betreuung anders organisieren. Ein weiteres Beispiel: Ein Großteil unserer Erzieherinnen und Erzieher machen eine halbe Stelle. Natürlich kann man versuchen, die zu bewegen, jedenfalls für eine Übergangsfrist zu sagen, ich gehe auf eine Dreiviertelstelle oder ich gehe auf eine ganze Stelle. Auch das würde die Sache deutlich entlasten. Last, not least, dafür bin ich kritisiert worden, aber ich bleibe trotzdem dabei: Natürlich könnte man überlegen, wenn man entsprechende zusätzliche Hilfskräfte engagiert, zum Beispiel über den Bundesfreiwilligendienst, dass man die Gruppen vorübergehend etwas vergrößert. Wenn die Erzieherin dann ein, zwei Hilfskräfte hat, glaube ich, kann das funktionieren.

    Götzke: Da sprechen aber die Experten aber schon von einer Gefährdung des Kindeswohls. Wollen Sie das hinnehmen?

    Landsberg: Also ich glaube nicht, dass das Kindeswohl gefährdet ist, wenn in einer Gruppe ein, zwei Kinder mehr sind und dafür eine oder zwei Hilfskräfte der Erzieherin helfen. Also ich glaube, da wird auch viel nach Politik natürlich gemacht. Und ich habe selber drei Kinder. Wenn Sie Eltern fragen: Möchtest du lieber, dass das Kind überhaupt betreut wird in einer vielleicht etwas größeren Gruppe, oder gar nicht? Da kann ich mir die Antwort ziemlich gut vorstellen.

    Götzke: Nun hat die Koalition die Einführung des Betreuungsgeldes endgültig beschlossen am Wochenende. Könnte das die für Sie ja bedrohliche Klagewelle enttäuschter Eltern verhindern? Immerhin bekommen die Eltern ohne Kitaplatz für ihre Kleinen dann 100 Euro im Monat.

    Landsberg: Das glaube ich nicht. Man muss sich mal anschauen, wer will denn das Kind möglichst schnell betreuen. Das sind in der Regel Mütter oder auch Väter, die einen Beruf haben, die im Beruf Erfolg haben wollen – die werden nicht wegen 100 oder 150 Euro darauf verzichten wollen. Und sie werden, ich habe es ja gesagt, natürlich auch vom Arbeitgeber gedrängt, kommt schnell zurück. Also der Effekt, dass man glaubt, das Betreuungsgeld kommt und dann bleiben die Eltern oder die Mutter oder der Vater – können ja beide machen – zu Hause, das ist mit 100 Euro ganz sicherlich nicht zu bewerkstelligen.

    Götzke: Sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Vielen Dank für das Gespräch!

    Landsberg: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.