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Kläranlage im Rucksack

Nach Erdbeben oder Überschwemmungen wie in Pakistan ist die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser eines der dringendsten Probleme, sonst drohen Krankheiten und Seuchen. Hilfskonvois erreichen meistens nur einen Teil der Bevölkerung. Um auch abgelegene Gebiete zu versorgen, haben Wissenschaftler in Kassel eine transportable Wasseraufbereitung entwickelt.

Von Remko Kragt | 01.09.2010
    Franz-Bernd Frechen schüttet eimerweise Wasser aus einem See in einen großen Behälter. Eine braune Brühe, die sich zum Trinken wirklich nicht eignet. Die Größe des Behälters erinnert an einen Wanderrucksack. Er hat sogar Halterungen für Tragegurte auf einer Seite. Am unteren Ende ragt ein Wasserhahn heraus. Und aus dem fließt nach kaum einer Minute klares, trinkbares Wasser. So funktioniert die kleine, tragbare Wasseraufbereitungsanlage des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft der Universität Kassel, das Franz-Bernd Frechen leitet. Er will mit der Anlage eine Lücke in der Versorgung der Menschen in Katastrophengebieten schließen.

    "Was man im Fernsehen nie sieht, sind die Leute, die wegen der zerstörten Infrastruktur überhaupt nicht mehr die Chance haben irgendwo hinzukommen, die also im Hinterland abgeschnitten sind. Das sind meistens kleine Dörfer, kleine Menschengruppen und um die wollten wir uns kümmern."

    In diesen Tagen werden mehrere Prototypen nach Pakistan geflogen, wo immer noch rund 800.000 Menschen von Seuchen und Vergiftungen bedroht sind, weil sie kein sauberes Trinkwasser bekommen. Weitere Versuchsanlagen stehen in Chile und in Kürze auch im Sudan. Speziell für den Einsatz in solchen Gebieten haben die Forscher besondere Anforderungen für das Gerät zusammengestellt.

    "Es darf keine Energie brauchen, es darf keine Chemikalien - Chlortabletten oder Ähnliches - gebrauchen. Weil das von den Menschen selbst bedient werden muss, muss es absolut robust sein, es muss absolut einfach zu bedienen sein, es darf keine beweglichen Teile enthalten."

    Darüber hinaus muss die Anlage schnell in großen Zahlen transportierbar sein - zum Beispiel durch Hubschrauber - und es darf mit Rücksicht auf die vielen Analphabeten in den Katastrophengebieten keine geschriebene Gebrauchsanleitung geben. Lediglich vier Piktogramme auf der Seite der Anlage erläutern ihre Funktion.

    Im Inneren des Behälters ist ein Block mit Membranfolien eingebaut, die das eingefüllte Schmutzwasser durch kleinste Löcher filtern.

    "Dafür braucht es einen gewissen Druck. Der Druck aber ist nicht sehr hoch."

    Nur 80 Zentimeter Wassersäule reichen. Das ist der Grund für die Höhe des Behälters. Die Anlage funktioniert dadurch allein mit der Schwerkraft. Die Löcher in den zusammen etwa 10 Quadratmeter großen Membranen sind so klein, dass sie Schwebstoffe und vor allem die gefürchteten, krankheitserregenden Bakterien zurückhalten. Diese setzen sich zwar auf der Membran ab, lassen den Durchfluss jedoch nicht versiegen. Im Gegenteil, sagt Franz-Bernd Frechen, die kleinen Lebewesen sorgen mit ihren Bewegungen sogar dafür, dass der Filter gerade nicht verstopft. Eine Reinigung der Membrane entfällt.

    "Wir haben festgestellt in mehrmonatigen Versuchsreihen, dass wir immer noch aus einem solchen Gerät deutlich über einen Kubikmeter Wasser pro Tag filtriert heraus bekommen. Wir sagen mal: 800 Flaschen, so anderthalb Liter Wasserflaschen. Und mit 800 anderthalb Literflaschen kann man ohne Weiteres 200 Menschen mit dem lebensnotwendigen Wasser versorgen."

    Trinkwasserqualität erreicht die Filteranlage allerdings nicht. Viren etwa sind so klein, dass sie selbst durch die maximal ein zehntausendstel Millimeter großen Filterdurchlässe hindurchschlüpfen können. Das Ergebnis der Filterung habe etwa die Qualität von Badewasser, von dem die meisten gefahrlos trinken könnten.

    "Hier geht es darum, dass wir ein qualitativ um Potenzen besseres Wasser in einfachster Form herstellen, als es im Fluss zu kriegen ist."

    Schon vor mehr als vier Jahren wurden erste Prototypen vorgestellt. Seitdem versuchte Frechen, staatliche Stellen und Hilfsorganisationen für das Projekt zu begeistern. Aber vielleicht, meint Frechen, bedurfte es erst einer Katstrophe wie der in Pakistan, die alles bisher erlebte in den Schatten stellt, um den Sinn der Entwicklung zu verdeutlichen.

    Für die Zukunft haben die Forscher weitere Überlegungen. Sie wollen eine noch feinere Filterung entwickeln, die dann allerdings nicht mehr nur mit der Schwerkraft funktionieren würde, und dem Wasser nachträglich Chlor zusetzen. Dann könnten sogar kleine, dezentrale Wasserwerke daraus werden.