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Klagen aus dem Süden

Der Jemen, ehemalige Heimat Osama bin Ladens und heute zähneknirschender Verbündeter Washingtons im Kampf gegen den Terror, steckt in der Krise. Es wird erwartet, dass sich die Bevölkerung von derzeit 22 Millionen in den nächsten 20 Jahren verdoppelt. Vor allem im Süden des Landes steigt die Unzufriedenheit: Viele sprechen von einer Besatzung durch die politische Führung im Norden.

Von Birgit Kaspar | 12.04.2008
    Trotzig gab die syrische Sängerin Asala Nasri ihr Konzert im Stadion der südjemenitischen Hafenstadt Aden - obwohl Islamisten und angeblich El-Kaida ihr massiv gedroht hatten. Ihr Auftritt sei unmoralisch und widerspreche der Sharia, hieß es zur Begründung. Die forsche, in einen westlichen Hosenanzug gekleidete Anwältin Raqiya Humeidan ist erbost:

    "Warum dürfen wir in Aden kein solches Konzert haben? Warum hatten sie Konzerte in Sanaa, in Hadramawt und in Hodeida? Nur in Aden nicht. Alles in Aden muss anders behandelt werden."

    Viele der eher liberalen Südjemeniten sehen in den Verbalangriffen auf das Konzert ein weiteres Zeichen für den sich verschärfenden Nord-Süd-Konflikt im Jemen.

    "Unsere Geduld nähert sich dem Ende. Seit 1994 wurden die Menschen im Süden von der Zentralregierung im Norden wie Untertanen behandelt nicht wie Mitbürger. Sie springen mit uns um als wären wir von ihnen besetzt. Sie haben unser Land weggenommen, unsere Jobs und unser Vermögen."

    Seit Monaten gibt es immer wieder Protestdemonstration im Süden, die teilweise von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst werden. Einige Tote und Verletzte waren die Folge. Die Menschen im Süden, die ein Fünftel der etwa 22 Millionen Jemeniten ausmachen, fühlen sich als Verlierer der Einheit. Im Kern geht es dabei um Arbeitsplätze, politischen Einfluss, Landvergabe, und die Verteilung der Öleinkünfte, denn rund 80 Prozent des Rohöls werden heute im Süden gefördert.

    Der Vertrag zur Vereinigung von 1990 sah vor, dass die öffentlichen Angestellten im vormals kommunistischen Süden ihre Jobs behalten durften. Das wurde nicht eingehalten. Abdel-Ghani al Iryani, Co-Autor einer Studie des Washingtoner Middle East Institus zur Krise im Jemen, erklärt, die Regierung sollte zudem die Landenteignungen der Kommunisten entschädigen.

    "Das ist auch nicht geschehen. Statt dessen sicherten sich Kommandeure, prominente Scheichs und Geschäftsleute aus dem Norden ungefähr die Hälfte des Landes in Aden. Dazu noch 20-30 Prozent des landwirtschaftlichen Nutzlandes in der Provinz Abiyan. Natürlich regen sich die Leute im Süden darüber auf. Wie kann man erwarten, dass sie den Mund halten?"
    Hinzu komme, dass inzwischen alle Gouverneure im Süden aus dem Norden stammen, so al Iryani.

    "Was ist die Logik? Alle hochrangigen Regierungsbeamten, die Leute, die Macht haben und die in direktem Kontakt mit der Bevölkerung stehen, kommen aus dem Norden. Weil das keiner versteht sprechen die Menschen im Süden von Besatzung."

    Einige westliche Diplomaten sehen in den Protesten im Süden sowie in dem andauernden gewaltsamen Aufstand des Houthi-Stammes im Norden ernstzunehmende Herausforderungen für das Regime von Präsident Saleh. Die prekäre Sicherheitslage, bedingt durch El-Kaida-Operationen oder Gewaltakte der Stämme, verschärfe die Situation. Der Jemen manövriere sich selbst in die Irrelevanz, falls er diese Probleme nicht in den Griff bekomme, warnt ein europäischer Diplomat. Doch in politischen Führungszirkeln zuckt man die Achseln. Präsidentenberater Abdelkareem al-Eryani:

    "Ich nehme die Unruhen im Süden nicht sehr ernst, das sind Irritationen und der Präsident hat bereits Dezentralisierungsmaßnahmen angekündigt."

    Das hat er in den vergangenen Jahren häufiger getan - ohne Konsequenzen. Der stellvertretende Finanzminister Jalal Omar Yaqoub, der selbst aus Aden stammt, wiegelt ebenfalls ab:

    "Es gibt Beschwerden, im Norden wie im Süden. Wir haben Missmanagement auf verschiedenen Regierungsebenen. Die Leute sind unglücklich wegen ihrer wirtschaftlichen Situation. Wir sind ein armer Staat."

    Im Süden werde das deutlicher, weil es politisch ausgeschlachtet werde, so Yaqoub. Der Jemen ist der ärmste arabische Staat, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Sarah Philipps, australische Wissenschaftlerin und Jemen-Expertin, warnt davor, die Beschwerden des Südens zu unterschätzen. Sollte sich die Haltung der Regierung nicht ändern, werde das zu einer Verschlechterung führen:

    "Die Regierung muss ein deutliches Zeichen setzen, die Klagen aus dem Süden ernst nehmen und entsprechend handeln. Ich sehe im Augenblick keine Anzeichen dafür."

    Nach Ansicht von Abdel-Ghani al Iryani versucht die Regierung die Symptome zu bekämpfen, für tatsächliche Lösungen fehle hingegen der politische Wille.

    "Sie geben einigen Leuten Jobs, Geld wechselt die Hände, aber das wird die Leute auf der Straße nicht beruhigen. Ich denke, wenn es keine wirklichen Lösungen gibt, dann wird die Lage im Süden eine Schwelle überschreiten, von der aus es kein zurück mehr gibt und dann wird das alles sehr schmutzig."
    Eine erneute Teilung ist für die meisten Südjemeniten die allerletzte Möglichkeit. Bashraheel Bashraheel, Geschäftsführer der führenden unabhängigen Tageszeitung al Ayyam in Aden:

    "Wir haben niemals zur Teilung aufgerufen. Aber wir wollen, dass alle gleich behandelt werden vor dem Gesetz, wir sind gegen Diskriminierung, wir wollen Gleichheit."

    Der Jemen, ehemalige Heimat Osama bin Ladens und heute zähneknirschender Verbündeter Washingtons im Kampf gegen den Terror, steckt in der Krise. Es wird erwartet, dass sich die Bevölkerung von derzeit 22 Millionen in den nächsten 20 Jahren verdoppelt. Schon heute liegt die Arbeitslosigkeit bei geschätzten 35 Prozent. Die Preise für Grundnahrungsmittel und Treibstoff steigen. Gleichzeitig muss der Staat mit weniger Einnahmen auskommen, da die Ölvorkommen langsam zur Neige gehen. Die Wasserversorgung stehe ebenfalls kurz vor dem Kollaps, warnt Ramon Scoble, Berater der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ:

    "Ich glaube es gibt kein anderes Land in der Welt, das so unmittelbar vor der Kombination einer Bevölkerungs- und Ressourcenkatastrophe steht."

    Pessimisten stufen den Jemen schon jetzt als scheiternden Staat ein, während Optimisten ihn am Scheideweg sehen: Entweder erkennt die Führung den Ernst der Lage und verhält sich entsprechend oder das Land könnte zu einem zweiten Afghanistan degradieren. Wie es im Süden weitergeht, wird dabei eine entscheidende Rolle spielen, so Abdel-Ghani al Iryani:

    "Dies ist mit Abstand die größte Bedrohung für die Stabilität und die Zukunft des Regimes. Wenn der Süden in die offene Rebellion geht, dann bricht die Wirtschaft zusammen und das Regime wird scheitern."