Ich bin Optimist! Ich neige zu der Annahme, dass alles, was mir nicht gefällt, ein Komplex meiner launischen Empfindungen ist! Ich begrüße begeistert jedwede Abweichung vom normal Menschlichen! Aber ich kann nicht verstehen, warum die Erhöhung vorgezogen wird, wenn oben und unten gleichgeartete Abweichungen vom allgemeinmenschlichen Niveau sind! Überdies ist Erhöhung zeitweilig! Unten zu sein ist nach dem Zeugnis der physikalischen Gesetze bedeutend dauerhafter!
Zu diesem Zeitpunkt wird der begabte Student Jerofejew gerade von der Universität relegiert. Sein Vater, auch er ein starker Trinker, verstirbt nach langjähriger Lagerhaft. Sein Bruder wird ebenfalls inhaftiert und kommt wenig später um. Es gibt in den Aufzeichnungen traumhafte Begräbnisszenen, in den sich Jerofejew seine eigene Beerdigung bei vollem Bewusstsein imaginiert. Auch Suizidgedanken kommen vor. Sie sind jedoch nicht dominant. Jerofejew zieht es vor, gegen diese Realität anzutrinken und anzuschreiben. Das ist seine Form des Widerstands.
Triiinken!
Triiiiinken!
Triiinken, ihr verdammten Urschlöcher !
Jerofejews Aufzeichnungen sind fragmentarisch. Sie kombinieren Erinnerungen und Träume mit gedachten oder vielleicht auch wirklichen Aussagen über seine Person. Sie nutzen das Material der alltäglichen Gespräche und der sich häufenden Vorladungen zu aberwitzigen Dialogen, die den Bereich der Satire mehr als nur streifen. Das ist Jerofejews Rache, seine
Genugtuung auf dem Papier. Grundiert sind diese, für einen Achtzehnjährigen erstaunlichen, Kabinettstücke mit einer tiefen Verzweiflung und dem drastischen Vokabular der Gosse, dem vertrauten Terrain des Trinkers. Jerofejew hat den Platz, den seine Gesellschaft für ihn vorgesehen hat, angenommen. Er hat das kurze Glück und das lange Elend des Rausches zu seinem Thema gemacht. Und, das ist nicht die geringste seiner Leistungen, er hat diesen Platz mit Würde ausgestattet.
Und fürchte dich nicht vor dem Gefängnis ... Das Wichtigste – fürchte dich nicht vor dem Gefängnis ... Das Gefängnis macht einen zum Tier ... Und das ist gut. Die Banditen sind grob und gefühllos, aber sie verhehlen es nicht ... sind aufrichtig ... Eure Leute von der Universität sind genauso, versuchen aber, sich sentimental zu geben ... Klug sind nur wenige,
aber sie stellen sich so... Fühlen muss man klug, nicht mit dem Kopf, aber klug ...
Wenedikt Jerofejew
Aufzeichnungen eines Psychopathen
Tropen Verlag Köln, 191 S., EUR 17,80