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Klare Absage an Kohlekraftwerke

Eine bundesweite Initiative von Volkswirten hält den Neubau von Kohlekraftwerken angesichts des erfolgreichen Ausbaus erneuerbarer Energien für überflüssig. Neue Braun- und Steinkohlekraftwerke würden die Klimaziele gefährden.

Von Verena Kemna | 17.09.2009
    In ihrer Botschaft für das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft sind sich die 50 Wirtschaftswissenschaftler einig. Sie sagen ganz klar: Jedes neue Braun- und Steinkohlekraftwerk, das in Deutschland ans Netz geht, gefährdet die Klimaziele. Die globale Klimaerwärmung zu stoppen, muss Grundlage jeder ökonomischen Berechnung sein, sagt Holger Rogall von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

    "Wir wissen heute, dass die Industrieländer 80 bis 95 Prozent ihrer CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 senken müssen. 80 bis 95 Prozent heißt faktisch die Verabschiedung des fossilen Zeitalters."

    Vor allem wegen der langen Laufzeiten von über 40 Jahren seien Kohlekraftwerke volkswirtschaftlich unrentabel. Wenn etwa in Zukunft die Preise für CO2-Emissionen und Kohle steigen, sich die Investitions- und Betriebskosten eines Kohlekraftwerks nicht mehr rechnen, könnten heute gebaute Kraftwerke als Investitionsruinen enden. Auch in den Vorstandsetagen der Energiekonzerne würden solche Berechnungen diskutiert. Holger Rogall sieht positive Anzeichen für einen grundsätzlichen Wandel: weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Er nennt ein Beispiel.

    "In Berlin haben wir das exemplarisch sehen können. Über Jahre ist überlegt worden, alte Kraftwerke stillzulegen und dafür ein neues Kohlekraftwerk zu bauen - und das auch noch in der fortschrittlichsten Technik, der Kraft-Wärme-Koppelung. Das ist ja bei vielen anderen Kraftwerken gar nicht geplant. Aber selbst mit der modernsten Technik wäre es nicht verträglich. Und der Bauherr dieses Kraftwerks hat jetzt darauf verzichtet. Und wir werden jetzt hier ein Biomassekraftwerk errichten. Das zeigt, wo es hingehen muss."

    Auch die Technologie zu Abscheidung und Speicherung von CO2, Carbon Capture Storage, kurz CCS sei keine Garantie für klimafreundliche Kohleverstromung. Ob sich die Technologie überhaupt in großem Maßstab realisieren lässt, ob CCS ökologisch vertretbar und wirtschaftlich zu betreiben ist, sei völlig offen, so heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Wissenschaftler für das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Als Stellvertretender Vorsitzender des Forums hat auch Volkswirt Kai Schlegelmilch Zweifel daran, ob sich CCS als Zukunftstechnologie behaupten kann.

    "Wir haben noch keine richtige Erfahrung und schon gar keine Langfristerfahrung. Von daher muss dies erst über einen längeren Zeitraum getestet werden, um sicherzustellen, dass CCS über mehrere Jahrzehnte, Jahrhunderte das CO2 sicher in der Erde abspeichert. Wenn wir das wissen, kann man CCS sicherlich nutzen. Aber es wird, so sagen uns die Wissenschaftler, bis 2020 mindestens dauern, bis wir da halbwegs verlässlich drüber Auskunft geben können."

    Auch deshalb sollten Investitionsmittel vor allem für erneuerbare Energien bereitgestellt werden. Strom einsparen, effizient nutzen - die Wissenschaftler fordern eine grundlegende Wende in der Klimapolitik. Das ist möglich, meint Volkswirt Kai Schlegelmilch. Sein Appell an die Bundesregierung:

    "Wir wollen, dass sie möglichst schnell vernünftige Rahmenbedingungen schafft bis 2050, nicht nur bis 2020, weil ein Kohlekraftwerk 40 bis 50 Jahre läuft. Und ein Investor braucht heute Investitionssicherheit. Zum anderen soll es keine explizite oder implizite Werbung für Kohlekraftwerke mehr geben, wie das in der Vergangenheit oft der Fall gewesen ist."