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"Klartext reden müssen"

"Am Ende des Tages werden alle Probleme nur zu lösen sein, wenn man im Dialog bleibt", sagt Jürgen Trittin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Er lobt den neuen Kurs von US-Präsident Barack Obama - und weist auf einen schwierigen Spagat hin.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk Müller | 22.06.2009
    Dirk Müller: Die ersten Reaktionen aus Paris, Berlin, London und selbst Washington fielen eher moderat aus: verhaltene diplomatische Kritik am Vorgehen der iranischen Führung in Teheran. Doch nun, nachdem der Sicherheitsapparat mit voller Härte gegen die Demonstranten vorgegangen ist, verschärft vor allem das Weiße Haus den Ton, aber für die Republikaner ist dies zu wenig. Der Wächterrat hat inzwischen eingeräumt, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gekommen ist.
    Der Westen und der Iran, darüber sprechen wollen wir nun mit dem Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen.

    Müller: Herr Trittin, können Republikaner auch einmal Recht haben?

    Trittin: Ich glaube, die Republikaner haben uns einen Teil des Problems eingebrockt. Insofern rufen sie jetzt: "Haltet den Dieb". Man hat über Jahre hinweg die iranische Außenpolitik ausschließlich oder die Politik gegenüber dem Iran nicht als ein Dialogangebot an die iranische Zivilgesellschaft verstanden, sondern als eine Politik der Isolierung, und das hat die Opposition im Iran immer wieder zu einem nationalen Schulterschluss mit Ahmadinedschad gezwungen. Dieses ist aufgebrochen. Dass dieses aufgebrochen ist, hat auch zu tun mit der geänderten Politik der USA durch Barack Obama gegenüber dem Iran. Das Signal, dass die Menschen des Iran Bestandteil einer solchen Welt sind, hat sicherlich vielen Demonstranten Mut gemacht und mit zu diesem Aufbruch beigetragen, den wir gerade dieser Tage erleben.

    Müller: Nun könnten aber auch die Republikaner aus ihren Fehlern gelernt haben?

    Trittin: Das schließen wir grundsätzlich nicht aus. Nichtsdestotrotz: wir müssen tatsächlich eine sehr schwierige Politik hier machen. Wir müssen nämlich Sorge dafür tragen, dass Menschenrechtsverletzungen in dieser Form in keiner Weise zu dulden sind, und wir müssen gleichzeitig genau den Fehler vermeiden, den die alte Iran-Politik der USA gehabt hat, nämlich indem sie Demokratie, Menschenrechte, das Recht auf Glaubensfreiheit schlicht und ergreifend als etwas darstellen, was sozusagen Bestandteil einer Einkreisungs- und Angriffsstrategie auf den Iran ist. Diesen Fehler nicht zu wiederholen, das ist sicherlich nicht einfach, aber umso notwendiger gerade in diesen Tagen, wo ja die Bewegung im Iran, die demokratische Bewegung ihre ersten Erfolge erzielt. Nichts anderes ist das Eingeständnis des Wächterrates, dass es offensichtlich in 50 Städten mehr Stimmzettel gegeben hat als Wahlberechtigte da sind. Hier zeigt sich, dass der Aufstand erste Wirkung zeigt.

    Müller: Nun geht es in unserem Gespräch oder soll es gehen, Herr Trittin, ja um die Frage, wie deutlich, wie klar darf der Westen gegenüber Teheran formulieren. Wie deutlich darf er denn sein?

    Trittin: Er darf ganz deutlich sagen, das geht nicht, man kann auf Demonstranten nicht schießen, man darf keine Wahl fälschen, all dieses ist nicht akzeptabel. Aber er darf an dieser Stelle eines nicht tun: Er darf nicht die Opposition sozusagen als eine von außen gesteuerte erscheinen lassen. Tatsächlich neigt gerade das Regime von Ahmadinedschad dazu, Widerstand gegen seine herausbildenden autoritären diktatorischen Elemente zu denunzieren als vom Westen initiiert und Ähnliches. Dort demonstriert nicht der Westen, dort demonstrieren unter anderem gläubige Muslime, Mullahs unter Berufung auf Allah für Wahrheit und Gerechtigkeit.

    Müller: Aber wenn deutliche Worte gefunden werden - Barack Obama hat das ja jedenfalls in Teilen jetzt versucht, im Gegensatz zu den europäischen Hauptstädten -, besteht dann nicht die Gefahr, dass die Opposition zusätzlich verfolgt wird?

    Trittin: Nein. Ich glaube, dass wir an der Stelle ganz Klartext reden müssen, und Klartext heißt, das ist nicht zu akzeptieren. Hier gibt es wie bei jeder Menschenrechtsauseinandersetzung auch keinen Grund, irgendwelche Zurückhaltung an der Stelle zu üben. Das ist aber etwas anderes als das, was über Jahre hinweg von den Republikanern praktiziert worden ist. Die Berufung auf moralische Werte mag John McCain zu Recht für sich beanspruchen; für die US-Außenpolitik gegenüber dem Iran, die ja über Jahre hinweg nicht nur mit Worten gehandelt hat, sondern im Lande, im Iran selber sogar terroristische militärische Aktivitäten unterstützt und finanziert hat, wäre ich da etwas zurückhaltender.

    Müller: Der neue Präsident hat ja einen Schritt nach vorne gemacht, einen Schritt auf die arabischen Staaten zu, aber auch eben einen Schritt auf den Iran zu. Droht jetzt nicht die Gefahr, wenn man zu deutlich wird - wir reden ja jetzt ein bisschen im diplomatischen Kontext -, dass der Gesprächsfaden, den man gerade versucht zu knüpfen, dann doch wieder konterkariert wird?

    Trittin: Nein. Gerade wenn man deutliche Worte spricht, muss man dieses verbinden mit einer Strategie des Dialogs. Selbstverständlich hat in den USA Sam Nunn und andere völlig Recht. Am Ende des Tages werden alle Probleme nur zu lösen sein, wenn man im Dialog bleibt, auch mit dem Iran bleibt, wahrscheinlich, wenn es so weitergeht, auch noch eine Weile mit den dort Herrschenden sich auseinandersetzen muss. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass hier tatsächlich ein Weg aufgemacht worden ist von der iranischen Zivilgesellschaft, die uns rausbringt aus einer Wahrnehmung des Iran, die wir eigentlich alle viel zu leicht reduziert haben auf Atom und Ahmadinedschad. Es geht um eine sehr komplexe Gesellschaft, um eine sehr vielfältige Gesellschaft, und die Vielfalt dieser Gesellschaft erfordert auch ein vielfältiges Politikangebot. Deswegen fand ich die deutlichen Worte von Barack Obama wie das Dialogangebot an den Iran, an die Muslime der Welt, so wertvoll.

    Müller: Wie kann denn die iranische Opposition vom Westen produktiv unterstützt werden?

    Trittin: Ich glaube, das Hauptelement, was hier ist, ist tatsächlich dafür zu sorgen, dass der Versuch, diese Opposition mundtot zu machen, sie zu verschweigen, sie also nicht nur zusammenzuknüppeln, sondern in Vergessenheit zu bringen, aktiv mit durchbrochen wird, indem Öffentlichkeit hergestellt wird, indem auf dieses Land verwiesen wird, indem klar gemacht wird, ihr seid an dieser Stelle nicht allein, sondern die Welt schaut auf den Iran und sie schaut nicht nur neutral anteilslos dort, sondern mit der Anteilnahme für diejenigen, die für Recht und Freiheit streiten.

    Müller: Aber nach diesen doch recht deutlichen Worten von Barack Obama, Herr Trittin, hat Ahmadinedschad gleich reagiert und gesagt, da sind sie wieder, die Imperialisten. Das ist ein Dilemma.

    Trittin: Das ist die übliche Reaktion. Mich würde das auch an dieser Stelle nicht wundern. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage, ob dieser Mechanismus noch funktioniert in dem Moment, wo sich ein amerikanischer Präsident auf die Seite der iranischen Bevölkerung stellt, zu behaupten, die iranische Bevölkerung sei eine vom Westen gesteuerte.

    Müller: Würden Sie, Jürgen Trittin, als Außenminister vorsichtiger sein?

    Trittin: Nein. Ich halte diese jetzige Art und Weise, wie hier auch und gerade vom US-Präsidenten agiert wird, für völlig richtig: Dialogangebot, Gesprächsfähigkeiten nach Teheran aufrecht zu erhalten, aber bei dem Gespräch die klaren Worte nicht zu unterlassen.

    Müller: Reden wir über die Kanzlerin. Die hat in einer ersten Reaktion gesagt, sie ist eher enttäuscht. Reicht so etwas?

    Trittin: Ich finde "eher enttäuscht" ist milde gesagt. Hier ist offenkundig Wahl gefälscht worden und es ist als Menschen, die sich dagegen aufgestanden haben… Man darf übrigens auch gegen Wahlergebnisse, wenn sie nicht gefälscht sind, in einer Demokratie demonstrieren. Das muss man mal in Richtung Khamenei sagen. Demonstrationsfreiheit ist eine unbeschränkte. Die hängt nicht an der Frage der Wahlfälschung. Aber an dieser Stelle Klartext zu reden und zu sagen, jawohl, hier sind offensichtlich Wahlen gefälscht worden, und es ist notwendig, dass es eine Überprüfung dieser Wahlen gibt und diese Überprüfung tatsächlich auch international nachvollziehbar geschieht, das ist, glaube ich, Standard und der Standard sollte auch im Amt so geäußert werden.

    Müller: Wenn die Opposition jetzt weitermacht - eine Fortsetzung der Proteste ist ja zumindest angekündigt -, droht dann eine Eskalation der Gewalt?

    Trittin: Das kann Ihnen zurzeit niemand seriös sagen. Ich bin mit dem Signal, das aus dem Wächterrat kommt… Zurzeit sehe ich erst einmal ein Eingeständnis des Regimes. Das bringt allerdings den religiösen Führer, der sich am Freitag ja sehr ostentativ hinter Ahmadinedschad gestellt hat, in eine schwierige Situation. Wenn er sagt, es hat einen überwältigenden Wahlsieg gegeben, und nun der Wächterrat feststellt, dass offensichtlich in 50 Städten manipuliert worden ist, das führt in eine sehr, sehr spannende Auseinandersetzung, von der, glaube ich, zurzeit niemand weiß, wie sie am Ende des Tages ausgehen wird. Wir können alle nur hoffen, dass es dort zu einer friedlichen, nicht zu einer gewalttätigen Entwicklung kommt und dass diese Entwicklung am Ende darin endet, wenn festgestellt wird, dass Wahlen so massiv gefälscht worden sind, dass sie am Ende dann wiederholt werden müssen.

    Müller: Der außenpolitische Sprecher der Grünen bei uns im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank, Jürgen Trittin.

    Trittin: Ich danke Ihnen!