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Klassenkampf
Vor 150 Jahren wurde die Internationale Arbeiterassoziation gegründet

Schon im 19. Jahrhundert hatten Arbeiter es mit Arbeitgebern zu tun, die über Ländergrenzen hinweg agierten. Angesichts dieser frühen Globalisierung entstand vor 150 Jahren die "Erste Internationale", die sich den Klassenkampf ebenso auf ihre Fahnen schrieb wie den Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte.

Von Jürgen Schmidt | 28.09.2014
    Der deutsche Philosoph, Schriftsteller und Politiker Karl Marx in einer Aquatinta-Radierung von Werner Ruhner "Karl Marx in seinem Arbeitszimmer in London". Marx verfasste 1848 zusammen mit Friedrich Engels das "Kommunistische Manifest". Er ist der Begründer des modernen dialektisch-materialistischen Sozialismus, des Marxismus, aus dem heraus sich die Sozialdemokratie und der Kommunismus entwickelt haben. Marx wurde am 5. Main 1818 in Trier geboren und starb am 14. März 1883 in London.
    Karl Marx schrieb die Gründungserklärung der Arbeiterassoziation (picture alliance / dpa)
    Groupons-nous, et demain,
    L'Internationale,
    Sera le genre humain.
    Das 19. Jahrhundert gilt als Jahrhundert des Nationalismus, dessen zerstörerische Kraft sich im Ersten Weltkrieg entlud. Das gleiche Jahrhundert war aber auch geprägt durch das Bestreben, sich in internationalen Organisationen zusammenzuschließen. Die wichtigste unter ihnen war die Erste Internationale. Unter dem Namen "Internationale Arbeiter-Association" war sie am 28. September 1864 in London gegründet worden. Zum Gründungskongress in die repräsentative St. Martin's Hall hatten britische Gewerkschafter eingeladen. Der große Versammlungsraum war "dicht bis zum Ersticken besetzt, denn es geht hier jetzt offenbar ein Wiederaufleben der Arbeiterklassen vor sich", schrieb Karl Marx in einem Brief an Friedrich Engels. An die zweitausend Funktionäre, in London lebende politische Flüchtlinge aus allen Teilen Europas, Arbeiter und Intellektuelle, kamen zusammen, um sich mit der kurz zuvor blutig niedergeschlagenen polnischen Unabhängigkeitsbewegung zu solidarisieren.
    Vor allem aber sollte die neue "Assoziation" die Arbeiter über Grenzen hinweg zusammenschließen. Denn immer öfter mussten die Gewerkschaften erleben, dass sie Opfer einer Globalisierungswelle wurden, in der zum Beispiel Unternehmen Arbeitsmigranten als Streikbrecher aus dem Ausland anwarben. Um erfolgreich Streiks führen oder für den Achtstunden-Tag kämpfen zu können, mussten die Arbeiterorganisationen länderübergreifend kooperieren. In den Gründungsstatuten hieß es:
    "Die gegenwärtige Assoziation ist gegründet zur Herstellung eines Mittelpunktes [...] zwischen den in verschiedenen Ländern bestehenden Arbeitergesellschaften, welche dasselbe Ziel verfolgen, nämlich: den Schutz, den Fortschritt und die vollständige Emanzipation der Arbeiterklasse."
    Marx als Ideengeber
    Formuliert hatte dieses Ziel Karl Marx. Jürgen Herres, Mitarbeiter der Marx-Engels-Gesamtausgabe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:
    "Karl Marx gehörte nicht zu den Initiatoren der Ersten Internationale. Aber er spielte eine wichtige Rolle als geistiger Kopf und Ideengeber. Er schrieb die Gründungserklärung, in gewisser Weise ein zweites 'Kommunistisches Manifest', und er entwarf die Mehrzahl der Aufrufe und Erklärungen der Ersten Internationale, in denen er aber nicht polarisierte, sondern überzeugte durch Eloquenz und analytische Kraft."
    Die Erste Internationale war trotz Marx' Einfluss alles andere als eine kommunistisch ausgerichtete Organisation. Auch Anarchisten, Anhänger des Sozialphilosophen Pierre-Joseph Proudhon, Sozialreformer und Republikaner fanden in ihr zusammen. Gemeinsam wollten sie für die gesellschaftliche Anerkennung der Arbeiterschaft und die Durchsetzung demokratischer Werte in der Welt kämpfen.
    Ideologisch nicht festgelegt
    "Diese Internationale Assoziation anerkennt Wahrheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit als die Regel ihres Verhaltens zueinander und zu allen Menschen, ohne Rücksicht auf Farbe, Glauben oder Nationalität."
    Um diese Ziele zu erreichen, schlossen sich in rund 15 Ländern Europas und den USA Arbeiterorganisationen der "Internationale" an. Sie waren durch Kongresse, Zeitschriften, persönliche Netzwerke sowie länderübergreifende Streikunterstützung lose miteinander verknüpft. Doch die unterschiedlichen politischen Positionen führten bald zu heftigen ideologischen Kämpfen. Während den Marxisten eine zentralisierte Bewegung vorschwebte, bestanden die Anarchisten um Bakunin auf einer dezentralen Organisation - ein Konflikt, der nach einem Kongress in Den Haag 1872 zur Spaltung führte. Um die "Internationale" dem Einfluss der Anarchisten zu entziehen, verlegten die Anhänger von Marx den Sitz nach New York. Doch dort blieb sie organisatorisch so schwach, dass sie nicht einmal die Reisegelder für künftige Kongresse aufbringen konnte. 1876 erklärte daher ein in Philadelphia tagender Kongress die Auflösung. Ihren Platz in der Geschichte aber behielt die Erste Internationale, hatte sie doch erstmals auf globale Sozialkonflikte mit nationenübergreifender Solidarität reagiert.