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Klassenzimmer
In der ersten Reihe lernt man besser

Eine Tübinger Studie bestätigt, was viele längst vermutet hatten: In der ersten Reihe lernt man besser. Dort würden Schüler weniger abgelenkt, sagte Studienleiterin Friederike Blume im Dlf. Aber auch Lehrer könnten etwas dafür tun, dass sie die Kinder im Unterricht besser erreichen.

Friederike Blume im Gespräch mit Sandra Pfister | 25.01.2019
    Kinder sitzen im Klassenzimmer
    Je weiter hinten die Schüler*innen in der Klasse sitzen, desto eher werden sie vom Geschehen im Raum abgelenkt. (dpa/ picture alliance/ Bernd Wüstneck)
    Sandra Pfister: Bitte denken Sie sich mal kurz in Ihre Schulzeit zurück. Wo saßen Sie am liebsten – eher hinten, wo man besser Zettel schreiben kann und vielleicht ein bisschen geistig abwesend sein kann, oder gehörten Sie zu den Strebern, die immer in der ersten Reihe saßen, ein bisschen uncool, aber irgendwie auch sehr clever, denn eine Studie der Uni Tübingen beweist: In der ersten Reihe kriegt man wirklich mehr mit. Untersucht hat das Friederike Blume. Guten Tag, Frau Blume!
    Friederike Blume: Guten Tag!
    Pfister: Frau Blume, wo saßen Sie denn in der Schule?
    Blume: Ich saß meistens in der zweiten Reihe in der Mitte.
    Pfister: Ach, guter Kompromiss, oder?
    Blume: Genau, genau!
    Ob unaufmerksame Kinder von der ersten Reihe profitieren, ist unklar
    Pfister: Sie haben rausgefunden, vorne kriegt man mehr mit, vorne lernt man mehr. Wussten Lehrer das nicht eigentlich immer schon? Die haben doch die Störenfriede immer schon ganz vorne gesetzt. Was ist die neue Erkenntnis?
    Blume: Da haben Sie recht, dass Lehrkräfte das schon häufig oder schon immer vermutet haben. Bislang wusste man es aber nicht genau, und das ist auch so ein bisschen schwierig herauszufinden, was passiert da wirklich. Denn häufig ist in der Schule einfach die Situation, Schüler dürfen sich ihre Sitzplätze selbst aussuchen. Teilweise sagen Lehrkräfte aber sogar, sie setzen Störenfriede lieber nach hinten.
    Was uns auch ganz im Speziellen interessiert hat, ist, dass es eine Strategie ist vor allem, um Schülerinnen und Schüler mit Selbstregulationsschwierigkeiten zu unterstützen beim Lernen. Und da ist es völlig unklar, ob das wirklich eine hilfreiche Strategie ist, ob Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten mit dem Verhalten der Aufmerksamkeit haben, tatsächlich vorne besser lernen.
    Pfister: Also ADHS meinen Sie.
    Blume: Nicht unbedingt ADHS. Wir können schon von ADHS-Symptomen sprechen, aber wir haben gezielt nicht Kinder mit einer ADHS-Diagnose untersucht, die natürlich sehr große Schwierigkeiten haben, aber man muss einfach davon ausgehen, wir zeigen alle ADHS-Symptome, und wir haben alle ab und an Schwierigkeiten, uns zu konzentrieren.
    Pfister: Kriegt man in der ersten Reihe einfach besser mit, was der Lehrer sagt, oder kann man sich nicht so gut ablenken, weil man ständig unter Beobachtung steht?
    Blume: Dazu kann unsere Studie leider noch keine Erkenntnisse liefern. Dazu planen wir weitere Studien. Die Vermutung geht durchaus dahin, dass man vorne weniger abgelenkt ist. Da passiert einfach weniger vor einem. Wenn man in der letzten Reihe sitzt, wie Sie vorher sagten, da sind viele Schüler vor einem, neben einem, die Zettelchen schreiben die Quatsch machen, und vorne passiert da einfach nicht so viel.
    Pfister: Das hängt natürlich auch davon ab, wer neben einem sitzt.
    Blume: Wahrscheinlich, ja.
    Pfister: Man kann auch in der ersten Reihe sitzen und die ganze Zeit mit seiner Freundin quasseln.
    Blume: Ja.
    Schulbänke in U-Form verbessern die Unterrichtssituation
    Pfister: Ich hatte einen Lehrer, der ist ständig in der Klasse hin und her gewandert, von vorne nach hinten und von vorne nach hinten. Ist das denn eine gute Taktik, wenn man nicht ständig Leute in die erste Bank setzen will?
    Blume: Wir würden vermuten ja, und das ist auch tatsächlich das, was Lehrkräften immer beigebracht wird, dass sie – man nennt das auch management by walking around –, dass sie sich viel im Klassenzimmer bewegen und seine allgemeine Präsenz zeigen an möglichst vielen Orten. Man sagt zum Beispiel auch, man sollte Tische so anordnen, dass man innerhalb von wenigen Sekunden überall im Klassenraum sein kann. Bedeutet, die klassische Reihenanordnung, da sollte immer ein Durchgang nach hinten möglich sein.
    Wir haben das häufig zum Beispiel an der Universität in Seminarräumen, dass man in der Mitte überhaupt nicht durchgehen kann, und das ist auch als Dozentin oder als Dozent sehr unangenehm, weil man überhaupt keinen Kontakt zu den Studierenden, die dann hinten in der Mitte sitzen, aufnehmen kann, weil man da einfach einen extrem weiten Weg gehen müsste.
    Pfister: Was macht man in der Klasse, wo die Bänke in U-Form stehen? Das ist doch sehr beliebt. Wo ist denn da der Platz, wo man am besten lernt?
    Blume: Also wir hatten ja die Tische in unserem virtuellen Klassenzimmer in U-Form angeordnet, weil das tatsächlich eine der am häufigsten eingesetzten Varianten ist, und da haben wir einfach gefunden, dass die Schülerinnen und Schüler, die vorne saßen besser gelernt haben als welche, die hinten saßen. Tatsächlich ist es aber so, dass man mit der U-Form vermuten würde, dass gerade dieses Herumlaufen und überall gleichermaßen präsent sein und auch an Punkten, wo Unruhe entsteht, schnell sein kann, dass das da am besten gelingt.
    Von der Sitzplatzrotation profitieren nicht alle Schüler
    Pfister: Wenn Sie jetzt Lehrern was raten sollen – das fragen sie natürlich alle, was rät man Lehrern –, fahren die gut damit, immer abwechselnd Leute nach vorne zu setzen?
    Blume: Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß oder ich vermute, dass das viele Lehrerinnen und Lehrer tun, dass sie auch regelmäßig die Sitzplätze rotieren. Ich würde vermuten, dass das für Schülerinnen und Schüler mit wenig ausgeprägten Selbstregulationsschwierigkeiten, also geringe ADHS-Symptomatik, auch kein Problem ist, sich da immer wieder auf diese neue Situation einzustellen.
    Allerdings geht die Literatur davon aus, dass es für Schülerinnen und Schüler mit ADHS-Diagnose, also mit wirklich sehr stark ausgeprägten Selbstregulationsproblemen, sehr schwierig sein kann, sich ständig neu anpassen zu müssen. Das heißt, man würde empfehlen, Sitzplatzrotation ja, aber vielleicht nicht für alle Schülerinnen und Schüler, sondern diejenigen, die Schwierigkeiten haben, sich dann darauf immer einzustellen auf diese neue Situation und diesem neuen Sitzplatz, die vielleicht einfach vorne zu belassen.
    Pfister: Das heißt, da müssen Sie in einer neuen Studie einfach noch mal nachhaken, –
    Blume: Genau.
    Pfister: – wie man das praktisch so lösen könnte, dass da alle irgendwie auf ihre Kosten kommen.
    Blume: Genau, richtig.
    Pfister: Friederike Blume war das von der Uni Tübingen vom Arbeitsbereich Schulpsychologie dazu, warum Schüler in der ersten Reihe besser lernen und was das vielleicht für praktische Konsequenzen haben könnte. Danke, Frau Blume!
    Blume: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.