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Klatschkultur früher und heute

Christian Schuldt hat ein Phänomen untersucht, das es in allen Kulturen gibt: den Klatsch. Herausgefunden hat er, dass Klatschwissen wertvoll sein kann, weil es einem Informationsvorsprünge liefert.

Von Beate Berger | 22.03.2010
    Dass sich Christian Schuldt so gut auskennt mit dem Wesen des Klatschs, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er selbst fünf Jahre lang in einem Hauptquartier der Boulvardpresse tätig gewesen ist – in der Onlineredaktion der Zeitschrift Bunte. Als er vor einigen Jahren vom nüchternen Nachrichtenjournalismus dorthin wechselte, war er überrascht:

    "Vor allem weil ich da entdecken konnte, dass eben der vermeintlich seriöse Journalismus und der vermeintlich unseriöse Klatschjournalismus mit exakt den gleichen Mitteln letztlich arbeiten. Also es geht immer darum wie bei allen Medienformaten, Aufmerksamkeit zu erregen, Neugier zu wecken. Weil es eben immer darum geht, Geschichten zu erzählen."

    Ob auf dem harten Pflaster des Boulevards zwangsläufig auch gute Geschichtenerzähler gedeihen, sei dahingestellt. Christian Schuldt jedenfalls versteht viel vom Handwerk des populärwissenschaftlichen Schreibens. Seine Kulturgeschichte des Klatschs ist ebenso unterhaltsam wie informativ aufbereitet. Unangestrengt und ohne moralisierenden Beigeschmack beleuchtet er das Phänomen in all seinen negativen wie positiven Facetten.

    "Man kann mit Klatsch Bündnisse schmieden, man kann Große kleinklatschen, man kann den eigenen Status erhöhen. Es geht immer um Geheimnisse, um den Unterschied zwischen dem Bild, das jemand öffentlich von sich präsentieren will und der eigentlichen ungeschminkten Klatschwahrheit sozusagen, die dahinter steckt und diesen Unterschied enthüllt der Klatsch dann – man kann fast schon sagen auf eine detektivische Art und Weise."

    Wer etwas unter vorgehaltener Hand weitergibt, begeht zwar eigentlich eine moralisch fragwürdige Indiskretion, aber Christian Schuldt weiß zu erklären, wieso sich der Mensch als Gesellschaftswesen dieser sittlichen Sollbruchstelle kaum entziehen kann.

    "Die Sprache ist letztendlich entstanden, weil wir klatschen wollen, weil es wichtig ist, Informationen zu verbreiten, Informationsvorsprünge zu erlangen und die ganze menschliche Evolution ist ja eine kulturelle Evolution, die darauf basiert, dass wir in Form von Sprache und Symbolen Wissen weitergeben und weiterentwickeln und insofern ist Klatsch ein Grundantrieb der menschlichen Evolution."

    Apropos Evolution. Wer verstehen möchte, warum sehr viele Menschen bereit sind, ihr schwer verdientes Geld zu opfern, um das Leben der oberen Zehntausend auf Hochglanz betrachten zu können, kommt gar nicht umhin, die Ergebnisse der Evolutionsforscher zur Kenntnis zu nehmen:

    "Affen mögen Fruchtsaft sehr gerne und um Fruchtsaft abzugeben, muss man ihnen etwas bieten. Es hat sich in diesen Versuchen herausgestellt, dass Affen eben bereit sind, den leckeren Fruchtsaft abzugeben, dafür, dass man ihnen anbietet, ranghöhere Affen beobachten zu können. Genauso wie sie dafür Fruchtsaft verlangen, wenn sie niedriger gestellte Affen beobachten müssen. Genau dieses Verhalten lässt sich beim Menschen mitunter beobachten."

    Christian Schuldt legt allerdings nicht nur die evolutionären Grundlagen unserer Klatschkultur frei, er geht auch der Frage nach, wieso der Klatsch im Medienzeitalter mächtiger ist denn je.

    "Wir leben ja nicht mehr in einem Dorf, wo man sich alle Neuigkeiten von Kopf zu Kopf erzählt, sondern wir gucken Fernsehen, lesen Zeitungen und so bringen uns die Massenmedien auf einen gemeinsamen Informationsnenner und schaffen eben auch eine wichtig soziale Orientierung. Allerdings richten sich die Medien dabei selbst weniger nach dem, was faktisch passiert, sondern vielmehr eigentlich nach den Bedürfnissen des Publikums und diese Bedürfnisse sind eben nicht zuletzt Empörungsbedürfnisse – genauso wie Klatsch im Privaten auch. Das heißt, die Medien kreieren und verkünden zum Teil auch gerne Skandale, Katastrophen, Täter-Opfer-Schemata. Das heißt: Simple Formeln, mit denen die immer unüberschaubarer werdende Welt in ihrer Komplexität reduziert wird."

    Der historische Bogen des Buchs reicht von der Klatschkultur der Antike bis hin zum Siegeszug des digitalen Gezwitschers im Internet. Dass Klatsch auch heute noch als Domäne der Frauen gilt, ist das Resultat patriarchalischer Traditionen. Da die Frauen über Jahrhunderte hinweg aus dem politischen Leben ausgeschlossen waren, gab es für sie im Grunde nur den indirekten, das heißt den klatschhaften Weg der Einflussnahme.

    "Deswegen ist Klatsch ja auch traditionell verbunden mit dem Waschen von schmutziger Wäsche, weil eben auf den mittelalterlichen Waschplätzen die Waschweiber die nasse Wäsche auf den Steinen klatschten und sich bei diesem Waschvorgang ein machtvolles Geheimwissen aneigneten, in sie die Flecken der Wäsche, also der Männerwäsche analysierten, was sie ja auch tun mussten, um die Wäsche überhaupt zu reinigen. Das Weiterklatschen dieser brisanten Informationen war natürlich ein Graus für die Männerwelt, die dann entsprechend strenge Klatschverbote gegen die Frauen verhängte – von Pranger bis zu Schandmasken."
    Doch um Missverständnissen vorzubeugen: Auch Männer klatschen gerne, nur eben anders als Frauen.

    "Männer klatschen hauptsächlich über sich selbst, Frauen über andere."

    Um sich selbst in Szene zu setzen, greift der moderne Mann am liebsten zu indirekten Klatschkanälen, also zum Handy oder zur Email. Nicht zuletzt sind es also die Neuen Medien, die dafür sorgen, dass sich die Männer in Sachen Klatsch emanzipieren. Doch dies ist eigentlich nur die Spitze des medialen Eisbergs. Christian Schuldt beschreibt das Internet als den größten Klatschkatalysator, den es je gegeben hat. Dieser schrankenlose virtuelle Raum bringt viele neue Risiken mit sich, aber gleichzeitig bietet er auch die Chance, altbewährte Verständigungsformen wiederzubeleben: Das Internet ist sozusagen der Dorfbrunnen der Moderne, denn im Grunde kann dort jeder mit jedem klatschen.

    "Zugleich hat das Internet eine neue Selbstdarstellungskultur ins Leben gerufen. Vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Myspace. Und auch Youtube hat ja letztlich das Internet zu einer globalen Casting-Show gemacht, in der jeder Aufmerksamkeit erregen kann. Und auch zum Teil negative Aufmerksamkeit auf andere lenken kann. Das heißt, es sind neue Grenzen zwischen privat und öffentlich entstanden und im Grunde auch zugleich ein Zurück zu so einer Art von dörflichen Oralität fast schon jetzt im Global Village."

    Christian Schuldt: "Klatsch! Vom Geschwätz im Dorf zum Gezwitscher im Netz". Insel Verlag. 198 Seiten. EUR 18.00