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Kleine Gangsterrevue über den Al Capone Berlins

Werner Gladow, geboren 1931, wollte ein Berliner Al Capone sein. Er starb in Ostberlin mit erst 19 Jahren unter dem Fallbeil. Jetzt hat auch Armin Petras ein Gladow-Stück geschrieben, dessen zentrale Figur ein Zeitzeuge ist.

Von Michael Laages | 16.03.2013
    Sohni nämlich lebt noch – der war ein Teen in der Zonenfrontstadt Berlin, vor allem wohl ein recht begabter Boxer, im gleichen Club ausgebildet wie Gustav Bubi Scholz. Dann aber auch mal für kleinere Gaunereien im Knast. Dort hat er einen jungen Schwarzmarktdealer kennengelernt – und, sobald sie beide wieder draußen waren, mit ihm eine Bande gegründet. "Gladow-Bande", das Stück von Armin Petras, basiert auf vielerlei Recherchen, vor allem aber auf der Erinnerung des heute 83-jährigen Boxers Papke – Milan Peschel spielt ihn.

    Freundschaft, vielleicht, ja, Liebe auf den ersten Blick muss das gewesen sein am Beginn der Familiengeschichte zwischen Boxer-"Sohni" und diesem gleichaltrigen Jungen, der auf Fotos von damals seinerseits wie ein Bubi aussieht. Ein hübscher Kerl, freches Grinsen im Gesicht - als Hitlerjunge gehörte er noch zum letzten Aufgebot, konnte also schießen. Und hatte sich auf dem Schwarzmarkt zum "Kippenkönig vom Alexanderplatz" empor schlawinert. Werner Gladow, der mitten im Trümmerfeld bei den Eltern lebt in der Schreinerstraße im zerbombten Friedrichshain.

    In Erinnerung blieb die Geschichte einer jugendlichen Gangsterbande weniger der Fakten, als vielmehr der Atmosphäre wegen – "in den Ruinen von Berlin", wie Marlene Dietrich mit Friedrich Holländer singt, bricht knapp zwei Jahre lang das Gladow-Fieber los. Die Jungs überfallen Leute und Läden, tragen bald weiße Krawatten und müssen die nur vorzeigen, damit der Geschäftsinhaber die Kasse für sie leert. Gladow selber hat ein großes, gefährliches Vorbild: den Ober-Mafioso Al Capone. Berlin soll sein, Gladows, Chicago werden.

    Die Bande, für die Bühne jetzt fünf Köpfe stark, in Wirklichkeit mindestens doppelt so groß, nutzt aber auch das polizeilich-politische Durcheinander in der Vier-Zonen-Stadt. Waffen besorgen Gladow, Sohni und Co. sich vorzugsweise bei den Polizisten, die an den Zonenübergängen Wache schieben. Und sogar ein Volkspolizist mischt mit; im Original, nicht bei Petras.

    Und hinter allem wühlt eine wirklich abstruse Figur – Gustav Voelpel, der Henker von Berlin, der maschinell im Westen und mit dem Handbeil im Osten hinrichtet. Aber die Jobs nehmen ab, schon soll in der Sowjetunion demnächst niemand mehr exekutiert werden. Voelpel ahnt, dass sein Verdienst sich bald in Luft auflösen wird, verdingt sich als kleiner Angestellter bei der Polizei – und versorgt Gladows Bande mit Tipps.

    Petras macht diesen Voelpel gar zum Gewinner der Geschichte – denn während alle - bis auf eben Sohni, der mit 15 Jahren davon kommt - Höchststrafen erhalten - und der Henker dreimal ansetzen muss, bis Gladows Kopf fällt -, wird der Henker bei Petras Show-Impresario für die italienische Freundin des Gladow-Kumpels Gäbler eine Sängerin.

    Tatsächlich ist das nun wirklich ganz frei erfunden. Auch Voelpel landet real im Knast und stirbt 1957 völlig verarmt. Die wirkliche Geschichte haben die Berliner Autoren Annett Gröschner und Grischa Meyer vor über zehn Jahren in einem Sonderheft von "Theater der Zeit" dokumentiert. Zu Ehren von Heiner Müller und im Vorfeld eines Gladow-Stücks mit dem Obdachlosentheater "Ratten 07" und dem Knast-Theaterprojekt "AufBruch". All das war weit interessanter als die Petras-Revue jetzt.

    Denn mehr als eine kleine Gangster-Revue ist jetzt nicht zustande gekommen. Das mag auch daran liegen, dass Petras die Inszenierung dem Hausregisseur Jan Bosse überließ. Und der zaubert zwar eine gehörige Menge von Theatertricks aus dem Hut - und fordert damit alle Abteilungen des kleinen Gorki-Hauses mächtig heraus. Der sucht auch beharrlich, wenn auch häufig erfolglos, nach sinnfälligen Momenten und Details in den Geschichten der Banden-Mitglieder. Der kann sich bei all dem vor allem auf das extrem spielfreudige Ensemble um den wirklich mitreißenden Entertainer Milan Peschel verlassen.

    Aber ob er wirklich auf eine Art Kriminalreportage aus war oder doch nur auf eine 50er-Jahre- und Berlin-Version der dänischen Olsen-Bande, das wird niemand wirklich sagen können.

    Aber Sohni bleibt im Gedächtnis. Und seine auch 64 Jahre danach noch lebendige Freundschaft mit einem Toten.