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Kleine Herzen
Wie aus Zell-Ballonen Mini-Organe werden

Eines der großen Versprechen der Stammzellenforschung lautete: Organe lassen sich aus Stammzellen im Labor herstellen. Aber ein faustgroßes Herz lässt sich nicht so einfach im Glasgefäß züchten. Aber kleine, funktionstüchtige Herzen wachsen mittlerweile unter den Augen der Forscher heran. Was mittlerweile möglich ist, beschreiben US-Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature Communications.

Von Michael Lange | 15.07.2015
    Ein Forscher befüllt in einem Labor Petrischalen mit Stammzellen.
    Damit die Zellen sich weiter entwickelten, haben die US-Forscher sie mit bestimmten Hormonen und anderen Wirkstoffen stimuliert. Etwa 80 Prozent der Zellen wurden daraufhin zu einheitlichen Herzzellen. (imago/Medicimage)
    Auf den ersten Blick sind die Mini-Herzen kaum zu sehen. Ihr Durchmesser beträgt lediglich 800 Mikrometer. Das ist weniger als ein Millimeter. Aber sie haben alles, was ein Herz braucht.
    Gemeinsam mit Bio-Ingenieuren aus Berkeley hat der Mediziner und Stammzellenforscher Bruce Conklin vom Gladstone Institute der Universität von Kalifornien in San Francisco die Mini-Herzen im Labor gezüchtet.
    Er verwendete Zellen, die ursprünglich aus der menschlichen Haut stammen. Diese hat er reprogrammiert zu induzierten pluripotenten Stammzellen, die sich in unterschiedliche Zelltypen verwandeln können.
    "Damit die Zellen sich weiter entwickelten, haben wir sie mit bestimmten Hormonen und anderen Wirkstoffen stimuliert. Etwa 80 Prozent der Zellen wurden daraufhin zu einheitlichen Herzzellen."
    Enge Kästchen als 3D-Schablonen
    Das gleiche haben bereits andere Stammzellenforscher erfolgreich ausprobiert. Normalerweise ordnen sich die Herzzellen in einer Zellkultur dann zu einer Art Scheibe an. Sie zucken zwar wie ein Herz, aber es fehlt die charakteristische Herzform mit den Herzkammern im Innern. Deshalb verwendeten die Forscher um Bruce Conklin enge Kästchen als 3D-Schablonen und sperrten die Zellen darin ein. Statt eine Scheibe zu bilden, wölbten sich die Zellschichten zu einer Art Kuppel.
    "Die Zellschicht bläht sich auf, sodass Hohlräume entstehen, wie bei einem Heißluft-Ballon, der sich mit Luft füllt. Wahrscheinlich stoßen die Zellen Flüssigkeit aus, die den Innenraum ausfüllt. Eingesperrt in die enge Schablone können die Gewebeschichten nicht ausweichen und bilden deshalb diese ballonartige Struktur."
    Der Aufbau des Gewebes ähnelt tatsächlich einem Herzen. Was aber noch wichtiger ist, ist die Natur der Zellen. So fanden die Forscher verschiedene Zelltypen, die den Hohlraum umgeben - und zwar in Schichten übereinander, wie bei einer Torte.
    "Die Gewebe sind sehr unterschiedlich. Außen sitzen Fibroblasten – ein Bindegewebe, wie es bei der Wundheilung entsteht. Dann gibt es Zwischenformen, die wir noch nicht genau bestimmen konnten. Und im Innern befinden sich die Herzmuskelzellen. Sie erzeugen den Herzschlag."
    Wirkung auf den Fötus testen
    Die Mini-Herzen simulieren das Herz eines Embryos. Da sie aus menschlichen Zellen bestehen, sind sie gut geeignet, um zu überprüfen, ob bestimmte Substanzen das Herz von Föten im Mutterleib schädigen. Die Ergebnisse sind viel realistischer als bei Tierversuchen, erklärt Bruce Conklin.
    "Wir können die Zellen unterschiedlichen Substanzen aussetzen und so deren Wirkung auf den Fötus testen. So haben wir zum Beispiel eine Schädigung des Herzens durch das Medikament Thalidomid nachgewiesen."
    Der Wirkstoff Thalidomid ist bekannt als Contergan. Er war in den fünfziger und sechziger Jahren für Fehlbildungen bei Föten verantwortlich. Dazu gehört auch ein typischer Herzfehler. Die Mini-Herzen konnten die Schädigung durch Thalidomid aufzeigen, während Tierversuche nicht auf die Gefahr hinwiesen. Das nährt die Hoffnung, dass in Zukunft die Mini-Herzen im Labor rechtzeitig vor gefährlichen Substanzen warnen.