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Kleiner Engländer, großer Komiker

Seinen vierten Herzinfarkt hat Peter Sellers nicht überlebt. Das war heute vor fünfundzwanzig Jahren. Er war erst vierundfünfzig Jahre alt. Keiner beherrschte so perfekt wie Sellers die ganze Bandbreite englischer Dialekte vom Londoner Cockney bis zum indischen Singsang. Keiner verstand es wie er, das Schreckliche und das Groteske in einem komischen Einfall zu bündeln. Der kleine Engländer – er war wie Charlie Chaplin knapp 1.60 Meter groß – war ein Komiker des exzentrischen Typs, der sich in vielen Identitäten versteckte und bis heute modern geblieben ist.

Von Marli Feldvoß | 24.07.2005
    Fünf Mal in fünfzehn Jahren jagte Peter Sellers in der Rolle des völlig inkompetenten schnauzbärtigen Chefinspektors Jacques Clouseau dem stets flüchtigen rosaroten Panther hinterher. Heute ist "The Pink Panther" eine Kultserie und Peter Sellers der Guru einer weltweiten Fangemeinde. Der viel zu früh verstorbene Variété-Komiker und Stimmenimitator war eben immer mehr als nur ein Virtuose der leichten Unterhaltung. Der Mann der tausend Stimmen und der tausend Masken war ein Clown, in dem sich ein Hamlet versteckt hielt, der ein Leben lang darum kämpfte, an die Oberfläche zu kommen. Kein Verwandlungskünstler hat wie Sellers sein wahres, sein eigenes Ich aufs Spiel gesetzt. Das fing schon in den fünfziger Jahren an, als er zum Trio der legendären Radioshow "The Goons" ("Die Trottel") gehörte.

    Die "Goons" hatten nicht nur ein Herz für die "schweren Jungs" aus Dartmoor, denen sie ihren Urlaub gönnten, sondern wetterten mit anarchisch-trotteligem Grundton und surrealem Weitblick gegen den Wahnsinn des Alltags, gegen die Absurditäten der Englishness. Sie waren die angry young men, die Wegbereiter des späteren Satire Booms, der dem zuvor zahmen englischen Humor einen gänzlich neuen hysterisch-schrillen Unterton verpasste. Für den am 8. September 1925 in Southsea geborenen Peter Richard Henry Sellers, der schon mit fünf Jahren in Revuen auftrat, im Zweiten Weltkrieg die Truppen unterhielt, Jacques Tati nacheiferte, war das Radio die Einstiegsdroge eines Verwandlungsgenies, das – bei ungerührter Mimik - mit seiner Sprachakrobatik wucherte. Sellers Spezialität war der indische Akzent – wie in George Bernard Shaws Filmversion von "The Millionairess" als Leibarzt von Sophia Loren.
    Sellers spielte Unterschichtstypen, harmlose Mittelschichtler, verrückte Offiziere, verkommenen Adel, politische Außenseiter, schwachsinnige Liberale. Seine Ausdruckspalette: Herzlosigkeit, eisige Wut, hochgradige Verwirrung, bestenfalls gekrönt von blindäugiger Halsstarrigkeit. Der eigentliche künstlerische Durchbruch auf der Leinwand gelang ihm 1963 mit der Dreifachrolle als englischer Offizier, amerikanischer Präsident und deutscher Wissenschaftler in Stanley Kubricks "Dr. Strangelove: Or How I learned to Stop Worrying and Love the Bomb". Kubrick hatte mindestens drei Kameras im Einsatz, um keine Improvisation seines Stars zu verpassen. Alle Figuren hatte der Schauspieler selbst erfunden. Sellers gegen Sellers über die Gefahren der Atombombe:


    Mr. President: "Dann wäre es möglich, so eine Maschine zu konstruieren?"

    Dr. Strangelove: "Mr. President, über die technische Voraussetzung verfügt heute die kleinste Atommacht. Es erfordert nur den Willen, es zu tun."

    Mr. President: "Aber wie kann es denn sein, dass der Auslöser automatisch geht und die Annulllierung unmöglich ist?"

    Dr. Strangelove: "Mr. President, das ist nicht nur möglich, sondern wesentlich. Das ist ja der ganze Sinn dieser Maschine. Die Kunst der Abschreckung bedeutet, im Hirn des Feindes Furcht vor dem Angriff zu erzeugen. "
    Sein Geheimnis nahm Peter Sellers, der zweiundfünfzig Filme hinterließ und heute als größter Komiker nach Charlie Chaplin rangiert, nicht mit ins Grab. Der Herzkranke erlag seinem vierten Infarkt am 24. Juli 1980 in London. Seine vorletzte Rolle in "Being There" war der Beginn einer neuen Karriere und ein Vermächtnis. Sein Gärtner Mr. Chance, ein tumber Tor, der seine ganze Bildung aus dem Fernsehen bezog, machte Karriere bis in die höchsten Spitzen von Wirtschaft und Politik. Er war der Mann, den es nicht gab, eine Figur ohne Kern, ohne Charakter, ergo: ein Mann der Zukunft. Er war so einer wie Sellers selbst, der, wie er einmal behauptete, sein Ich hat wegoperieren lassen, weil es ihn beim Spielen störte.