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Kleiner Mann ganz groß

Die Seeschlacht von Trafalgar, die Großbritannien zur Großmacht auf allen sieben Meeren machte, steckte Napoleon noch in den Knochen, als zwei Fürsten auf dem europäischen Kontinent eine ähnliche Entscheidung suchten. Die Rede ist von Zar Alexander I. und dem deutschen Kaiser Franz II. im so genannten dritten Koalitionskrieg. Der Fürsten-Fehler: Sie unterschätzten Napoleon. Er fügte ihnen eine vernichtende Niederlage zu und ordnete anschließend Europa nach seinen Wünschen neu.

Von Jochen R. Klicker | 02.12.2005
    Am 2. Dezember 1804 hatte der Korse Napoleon Bonaparte, kleinwüchsiger, genial begabter Schlachtenlenker und Staatsmann, ehemaliger Brigadegeneral und Erster Konsul der Republik, das Rad der Revolutionsgeschichte zurückgedreht: In der Pariser Kirche Notre Dame krönte er sich selbst zum Kaiser der Franzosen. Auf den Altarstufen drückte er sich den goldenen Lorbeer auf die Stirn. Der Papst schaute nur zu. Genau ein Jahr später sucht Napoleon I. die militärische Entscheidung über seine politische Forderung, den europäischen Kontinent unter französischer Führung neu zu gliedern und zu einen. Vor dem Waffengang schreibt er an seinen Außenminister Talleyrand, der weiter mit den Großmächten Österreich und Russland verhandeln will:

    "Morgen wird wahrscheinlich eine ziemlich ernste Schlacht mit den Russen stattfinden. Ich habe alles getan, um sie zu vermeiden, denn es ist unnütz vergossenes Blut. Ich habe mit dem Zaren einige Briefe gewechselt und daraus ersehen, dass er ein tüchtiger Mensch ist, der nur irregeleitet wird. Schreiben Sie nach Paris, aber nicht von der Schlacht, das würde meine Frau ängstigen."

    Napoleons Gegner in der so genannten Dreikaiserschlacht auf der öden Ebene von Austerlitz – dicht beim südmährischen Brünn - sind Franz II., deutscher Kaiser und Kaiser von Österreich, ein Zauderer und Bürokrat, sowie Russlands Zar Alexander I, autokratischer Herrscher von einigem Reformwillen, eine glänzende und bezaubernde Erscheinung. Beide Fürsten verstehen etwas von Tafelfreuden, Liebeshändeln und Machtspielen. Aber nur wenig von Strategie und Taktik. Ganz im Gegensatz zu dem Feldherren Napoleon. Sein Biograph Emil Ludwig vermerkt:

    "Während er auf seinen Karten jedes mährische Dorf durchrechnet, die Breite jedes Baches, den Zustand jeder Strasse, und die Kälte am Wachtfeuer seiner Garde bekämpft, entwirft er zugleich in einer halben Stunde ein neues Programm für die Verteilung von vier bis fünf Staaten, für neue Kronen, Kriegsentschädigungen und Festungen, und alles wird von einer zweimal betonten Klage über unnützes Blutvergießen bleich überlichtet, wie von der Sonne des Dezembertages, der eben heraufzieht. Ist es ein Wunder, dass solch ein Mann die Fürsten schlägt?"

    Die Augenzeugen und Chronisten berichten von der Schlacht selbst, dass sie "einfach", also unspektakulär und ohne große "Kriegskunst" verlaufen sei. Napoleons Taktik einer gewaltigen Zangenbewegung um beide feindliche Heere erwies sich als richtig, wirkungsvoll und am Ende siegreich. An seine Frau Joséphine schreibt er in der folgenden Nacht lakonisch:

    "Ich habe die russische und österreichische Armee, die von den beiden Kaisern befehligt war, geschlagen. Ich habe mich etwas müde gemacht, habe acht Tage bei recht frischen Nächten im Freien biwakiert. Jetzt verbringe ich die Nacht im Schloss des Fürsten Kaunitz, habe ein frisches Hemd angezogen, seit acht Tagen das erste und denke, zwei oder drei Stunden zu schlafen."

    Am Abend des 2. Dezember lädt Napoleon nicht so sehr zur Siegesfeier, als vielmehr zur Gratulationscour des Krönungstages. Seinen Soldaten, die ihm dazu fünfzig eroberte Fahnen und 120 erbeutete Geschütze mitbringen, ruft er zu:

    "Ihr tapferen Soldaten, ich bin mit euch zufrieden. Nennt eure Kinder nach mir, und wenn eins davon sich unsrer wert erweist, so will ich ihm mein Eigentum vermachen und es zu meinem Nachfolger erklären!"

    Lange umstritten unter den Historikern waren die Verluste der drei Mächte in der Schlacht von Austerlitz. Heute gelten folgende Zahlen als gesichert:

    "Russland und Österreich dürften über 20.000 Tote und Verwundete zu beklagen gehabt haben. Frankreichs Einbußen betrugen etwa 8.500 Köpfe, darunter überproportional viele Offiziere, da diese oft in der ersten Reihe mitgekämpft hatten."

    Napoleon ließ den französischen Staat die Waisen adoptieren und den Witwen der Gefallenen eine Rente zahlen. Sonst war der Sieger - gegen den Rat von Talleyrand - weder großmütig noch großzügig. Im Gegenteil weist er seinen Minister an:

    "Sagen Sie den Österreichern, dass der Ausgang der Schlacht alle Voraussetzungen umgestoßen hat, dass man sich, weil man alles auf eine Karte gesetzt hatte und deshalb auch alles verloren hat, auf wesentlich härtere Friedensbedingungen gefasst machen muss."