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Kleingewässer
Refugien für Pflanzen in der Stadt

Unscheinbar, oft übersehen und doch sehr wertvoll: Kleingewässer wie Rückhaltebecken oder Regentonnen bieten in Großstädten vielen Pflanzen und Insekten Lebensraum - darunter auch gefährdeten Arten. Nun haben Forscher diese Refugien in den Blick genommen.

Von Volker Mrasek | 22.10.2018
    Effeublätter schwimmen auf dem Wasser in einer Regentonne.
    Regentonnen sind "Kleinstwassersysteme" - menschengemachte Systeme in denen sich Arten ansiedeln (picture alliance / Ernst Weingartner)
    Nikola Lenzewski, die als Freilandforscherin in Hamburg unterwegs ist, manchmal mitten in der Stadt, dann fragen sich viele Leute, was die junge Frau denn da so treibt:
    "Man ist viel am Erzählen und am Erklären."

    Die Doktorandin und Botanikerin von der Universität Hamburg durchstreift oder durchwatet sogenannte Rückhaltebecken. Sie sind über die ganze Stadt verteilt. Da gibt es welche für Hochwasser:
    "Die Leute denken meistens: Das sind Parkanlagen, irgendwelche Teiche, die angelegt worden sind, und die fallen eher nicht so auf."
    Und es gibt Auffangbecken für Regenwasser. Bei Wolkenbrüchen laufen sie schon 'mal voll:
    "Sind meistens auch als solche mit einem Schild gekennzeichnet. Graslandvegetation in der Landschaft. Dort steht meistens kein Wasser während des Jahres. Beides sind Anlagen der Wasserwirtschaft und dienen dazu, Oberflächenwasser - das sind dann die Regenrückhaltebecken - oder Hochwasser - das sind dann die Hochwasserrückhaltebecken - aufzunehmen, zwischenzuspeichern und nach gegebener Zeit wieder entweder in die Kanalisation oder in das Gewässer abzugeben."
    Verblüffende Entdeckung
    Insgesamt 80 dieser Rückhalteräume hat Nikola Lenzewski genauer unter die Lupe genommen. Und dabei Verblüffendes entdeckt: Sie dienen einer enormen Anzahl von Pflanzen als Ersatz-Refugium in der Großstadt. Obwohl die Becken in ihrer Gesamtheit winzig sind und nur 0,3 Promille der Fläche Hamburgs ausmachen, trifft man dort 30 Prozent aller Arten an, die zur Flora der Hansestadt gehören.
    Die Botanikerin konnte am Ende499 verschiedene Gefäßpflanzen identifizieren, ...

    "Und davon dann auch 83 Rote-Liste-Arten, also Arten, die für Hamburg als gefährdet geführt sind. Wir haben auch Trockenrasen-Arten gefunden. Wir haben Waldarten gefunden, die als gefährdet gelten. Und das war die Überraschung: Dass das Spektrum so groß und so breit ist, das haben wir nicht erwartet."
    Orchideen im Rückhaltebecken
    Unter den bisher unbeachtet gebliebenen Regenbecken-Besiedlern ist auch eine Orchideen-Art. die keinen passenderen Namen tragen könnte: das Übersehene Knabenkraut. Für besonders bemerkenswert hält Nikola Lenzewski auch noch einen anderen Fund:
    "Die Heidenelke. Eine Trockenrasen-Art, die wir so nicht in diesen Rückhaltebecken erwartet haben. Darüber hinaus eine Rote-Liste-Art, die in Hamburg als ausgestorben gilt. Das ist die Pfirsichblättrige Glockenheide. Wobei wir hier vermuten, dass diese aus Gärten in die Landschaft ausgewandert ist."
    Die gefährdeten Trockenrasen-Arten kommen in den Regen-Becken vor. Dort entwickeln sich nämlich mit der Zeit Graslandschafen. Seltene Wasserpflanzen dagegen gedeihen in den Stauräumen für Hochwasser, die man nie ganz trockenfallen lässt. Sie ähneln kleinen Teichen oder Seen und sind auch deshalb so schwer als Überlaufflächen erkennbar.
    Wie Nikola Lenzewski interessiert sich auch Jana Petermann für vernachlässigte Habitate in Städten. Hamburg kennt die Ökologin von der Universität Salzburg durchaus. Die vielen Rückhaltebecken sind ihr aber noch nicht aufgefallen:
    "Nicht ein einziges! Ich hab' da nie drauf geachtet."
    Übersehene Ökosysteme
    Jana Petermann selbst untersucht Lebensräume, die erst recht übersehen werden. Sie spricht von "Kleinstwasser-Systemen": Regentonnen zum Beispiel oder Blumenvasen auf Friedhöfen:
    "Menschengemachte Systeme, in denen sich aber Arten ansiedeln. Und die bilden kleine Ökosysteme. Insektenlarven. Mückenlarven. Verschiedene Käferlarven, die sich da ansiedeln können und die bisher von der Wissenschaft sehr wenig beachtet werden. Wenn, dann schauen sich die Leute große Flüsse an oder vielleicht große Seen. Aber manche Systeme bleiben völlig unbeachtet."
    So wie die Regen-Rückhaltebecken in Hamburg! Nikola Lenzewskis Daten zeigen, dass dort Dutzende gefährdete Pflanzenarten vorkommen. Die spannende Frage ist nun: Wie lassen sich Heidenelke und Übersehenes Knabenkraut am besten schützen?
    "Die Datenauswertung der Studie ist noch nicht abgeschlossen. Wir sammeln noch Daten vor allem zum Management und auch zum Alter der Becken, und auch wie oft diese Becken eingestaut sind. Und wir erhoffen uns dadurch, Rückschlüsse auf gewisse Rote-Liste-Arten ziehen zu können. Also, dass wir sagen können: Bei dem und dem Management ist es günstig für die und die Rote-Liste-Art, und bei dem nicht. Das ist das Ziel, wo wir irgendwann 'mal hinwollen."