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Kleinster gemeinsamer Nenner mit zweifelhaftem Nutzen

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 ist das wichtigste Reformwerk der Großen Koalition unter Dach und Fach. Damit die Differenzen bei der Gesundheitsreform nicht zum Sprengstoff von Schwarz-Rot wurden, hatte Kanzlerin Angela Merkel immer den kleinsten gemeinsamen Nenner in ihrer Regierung gesucht. Auf SPD-Seite ist dagegen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt der festen Überzeugung, der neue Fonds sei auch in der Sache selbst ein Fortschritt.

Von Martin Steinhage | 07.10.2008
    Der Krankenversicherungsschutz wird deutlich teurer: 15,5 Prozent vom Einkommen sind künftig fällig. In drei Wochen wird die Bundesregierung den Einheitssatz beschließen, den Beschäftigte und Arbeitgeber, Rentner und Rentenversicherer demnächst berappen müssen. Derzeit liegt der durchschnittliche Beitragssatz der rund 210 gesetzlichen Krankenkassen bei 14,9 Prozent, einschließlich des Sonderbeitrags von 0,9 Prozent, den allein Arbeitnehmer und Ruheständler zahlen. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar, und der damit verbundenen Umstellung auf den Kassen-Einheitsbeitrag, kommen auf neun von zehn Versicherten höhere Beiträge zu.

    Für die zahlreichen Gegner des Gesundheitsfonds steht daher bereits fest: Der Fonds ist eine Fehlkonstruktion, er steht beispielhaft für die insgesamt verfehlte Gesundheitspolitik der großen Koalition:

    "Wir werden im kommenden Jahr eine noch nie dagewesenen Beitragssatzsprung erleben. Damit werden die Versicherten und ihre Arbeitgeber um jeweils drei bis fünf Milliarden Euro zusätzlich belastet,"

    wirft Birgit Bender von den Grünen dem schwarz-roten Bündnis vor.

    Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt weist diesen Vorwurf zurück: Weder der neue Fonds, noch die von ihr verantwortete Politik hätten etwas zu tun mit dem Kostensprung. Und steigende Ausgaben müssten nun einmal über höhere Einnahmen ausgeglichen werden:

    "Wir wissen, 2,7 Milliarden mehr für die niedergelassenen Ärzte, drei Milliarden mehr für die Kliniken, zwei Milliarden werden erwartete für Arzneimittelausgaben und auf der anderen Seite habe wir 1,5 Milliarden Euro mehr Steuergelder. Wir haben mehr Einnahmen durch Beschäftigung, und das was übrig bleibt muss über Beitragssatzanhebung finanziert werden."
    Das ist wohl wahr - nur: Union und SPD müssen sich schon den Vorwurf gefallen lassen, dass sie es versäumt haben, im Zuge der jüngsten Gesundheitsreform wirksamere Kostenbremsen in das System einzubauen: Und zwar nicht nur bei den Ausgaben für Arzneimittel oder im Krankenhausbereich, um nur zwei Beispiele zu nennen.

    Für die Koalition ist der Gesundheitsfonds der letzte und wohl auch wichtigste Schritt im ganzen Reformprozess. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich stets für den Fonds starkgemacht, auch gegen erhebliche Widerstände in den eigenen Reihen:

    "Der Kernpunkt der Reform ist, wir verbessern die Grundlagen für den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, denn die Unterschiede in den Beitragssätzen und in den Leistungen werden transparenter als jemals zuvor."
    Nicht weniger überzeugt vom Gesundheitsfonds ist Ulla Schmidt:

    "Er bringt Fairness. Alle zahlen die gleichen Anteile ihres Einkommens in den Fond ein, und wir verteilen das Geld so, dass dort wo kranke Menschen sind mehr Geld zu Verfügung steht, als dort wo gesunden Menschen sind."
    Ganz anders sieht das die Opposition, sehen das Experten in Wirtschaft und Wissenschaft; von den Verantwortlichen im Gesundheitssektor einmal ganz zu schweigen - ja, selbst in den Koalitionsfraktionen gibt es viel Skepsis und Ablehnung: Für die Kritiker ist der Gesundheitsfonds bestenfalls ein Placebo, das weder nutzt noch schadet; eher aber eine bittere Medizin mit gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen:

    Fonds-Gegner:

    "Der Gesundheitsfonds löst keines der Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung.

    Der Gesundheitsfonds ist nicht anderes als eine gigantische Geldumverteilungsbehörde.

    Es gibt eigentlich nichts, was wir jetzt mit dem Fonds einführen, was man ohne ihn nicht hätte mindestens genauso gut machen können."
    Was ist der Gesundheitsfonds nun wirklich?

    Zunächst einmal bleibt vieles wie gehabt: Familienmitglieder sind auch nach Einführung des Fonds beitragsfrei mitversichert. Weiterhin gibt es den 2005 eingeführten Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, den allein die Beitragszahler tragen müssen. Auch künftig gilt für Besserverdiener eine Obergrenze bei der Beitragsbemessung; sie liegt derzeit bei 3600 Euro im Monat. Die Versicherten führen im Regelfall ihren Anteil am Kassenbeitrag wie gewohnt über den Arbeitgeber oder die Rentenkasse ab. - So weit, so bekannt: Nun aber kommen die Neuerungen ins Spiel:

    Funktionsweise Fonds

    Alle Krankenkassen verlangen künftig einen einheitlichen Beitragssatz von ihren Mitgliedern. Die Kassen leiten ihre Einnahmen direkt an den Gesundheitsfonds weiter. In diesen großen Topf fließen außerdem die Gelder aus den Zuzahlungen der Patienten sowie Steuermittel. Dadurch kommen im nächsten Jahr rund 160 Milliarden Euro zusammen. Die Gesamtsumme strömt umgehend an die über 200 Krankenkassen zurück. Dabei wird das im Fonds angesammelte Geld aber nach einem speziellen Schlüssel verteilt.

    Er berücksichtigt nicht nur Alter, Geschlecht und Einkommen der jeweiligen Kassenmitglieder sondern auch deren Gesundheitszustand. Kassen mit vielen Alten und Krankenversicherten erhalten höherer Zuweisungen aus dem Fonds, als Krankenkassen mit einer überwiegend jungen und gesunden Kundschaft. Damit soll sicher gestellt werden, dass alle Kassen gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen haben. Denn wer mit den Geldern aus dem Fonds nicht auskommt, muss künftig Einsparungen vornehmen, oder aber bei seinen Mitgliedern eine Zusatzbeitrag erheben. Kassen, die hingegen Überschüsse erwirtschaften können diese in Form von Prämienzahlungen an ihre Kundschaft weitergeben. So sollen die Versicherten auf eine Blick erkennen können, ob ihre Kasse teuer ist, oder preisgünstig.
    "Das ist alles graue Theorie", sagen die Kritiker. In der Praxis werde das nicht funktionieren: Prämie oder Zusatzbeitrag seien kein Signal dafür, ob eine Kasse gut oder schlecht wirtschafte. Einen Wettbewerb im Interesse der Versicherten - so wie sich das die Politik vorstellt - werde es nicht geben. Im Gegenteil: Die Patienten zahlen die Zeche, erwartet nicht nur Claus Moldenhauer, Vorstandschef bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK):

    "Es geht nur darum, diesen Zusatzbeitrag zu verhindern, um im Wettbewerb anders dazustehen, und das bedeutet dann, wirkliche Leistungskürzung, Einschränkung, Betreuung der Versicherten. Man muss mal das Versicherungsnetz anschauen, die Geschäfte vor Ort, die Infrastruktur, die vorgehalten wird."
    Was der Gesetzgeber nicht zwingend als Kassenleistung vorschreibt, steht jetzt zur Disposition, warnen nicht nur die Krankenkassen. Andreas Köhler, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nennt konkrete Fälle, wo in Erwartung des Gesundheitsfonds bereits der Rotstift angesetzt wurde:

    "Die Krankenkassen habe in Deutschland flächendeckend die Sozialpsychiatrievereinbarung gekündigt. Und dann wird es eben eine Gefährdung der Versorgung von psychisch kranken Kindern geben. Das gleiche passiert im Moment flächendeckend in der Onkologievereinbarung weil Krankenkassen gar nicht wissen, ob sie es im Januar 2009 bezahlen können."
    Ulla Schmidt hält das alles für reine Panikmache von interessierter Seite; kein Patient müsse sich Sorgen machen:

    "Die Versicherten erhalten ein umfassendes Wechselrecht. Und sie werden die Kasse wechseln, wenn sie ganz offen vergleichen können. Aber wir haben auch den gesetzlichen Leistungskatalog festgeschrieben. Keine Kasse darf gesetzlich vorgeschriebene Leistungen verweigern."
    Darüber hinausgehende Angebote aber sehr wohl.

    Koalitionspolitiker behaupten, nur schlecht wirtschaftende Krankenkassen seien auf einen Zusatzbeitrag angewiesen. Dagegen glauben Experten, dass spätestens 2011 die Dämme brechen: Wenn nämlich den Krankenkassen keine weiteren Möglichkeiten mehr bleiben, zusätzliche Leistungskürzungen oder Einsparungen vorzunehmen. Dann werden die Kassen fast ohne Ausnahme ihren Mitgliedern einen Sonderobolus in Rechnung stellen müssen, so die allgemeine Erwartung. - Das glaubt auch Claudia Korf, Vorstandsvorsitzende des BKK-Bundesverbands Nord:

    "Die Spielräume für Vertragswettbewerb, die sinken, weil alle erst mal gucken müssen, was können sie sich zukünftig überhaupt leisten. Ich fürchte, wir werden in eine Unterfinanzierung kommen von vornherein."
    Hinzu kommt: Der Gesundheitsfonds deckt nur im Startjahr zu einhundert Prozent alle vorausberechneten Kosten. Der einheitliche Beitragssatz wird erst dann wieder angehoben, wenn der Fonds die Kassenausgaben nur noch zu 95 Prozent oder weniger auffängt. Das heißt bei einem Volumen von 160 Milliarden Euro: Schon bald werden die Kassen bis zu acht Milliarden Euro jährlich bei ihren Kunden einsammeln müssen. Denn was über steigende Einkommen der Mitglieder zusätzlich an Geldern ins System fließt, dürfte von der Inflation rasch aufgezehrt werden.

    DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach beklagt, das sei aus sozialpolitischer Sicht eine höchst fragwürdige Regelung. Wird doch auf diese Weise die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung noch weiter aufgeweicht:

    "Die Arbeitgeber sind diejenigen, die von dem Fonds profitieren, weil die entlastet werden. Also da werden die Kosten für sie gedeckelt, aber die Zusatzkosten, die haben allein die Versicherten und die Kranken zu zahlen."
    Kopfzerbrechen bereitet den Krankenkassen auch, dass auf sie allerlei Verwaltungsaufwand zukommt, wollen sie einen Zusatzbeitrag erheben: Zig Millionen Versichertenkonten müssen dann eingerichtet werden. Und damit nicht genug: Die Politik hat festgelegt, dass der Zusatzbeitrag auf acht Euro pro Monat und Beitragszahler begrenzt ist - mit einer Ausnahme:

    Überprüft eine Kasse bei jedem einzelnen Mitglied dessen finanzielle Verhältnisse, darf sie bis zu einem Prozent von den so ermittelten beitragspflichtigen Einnahmen beanspruchen:

    "Was glauben Sie was los ist in Deutschland, wenn alle Krankenkassen alle Versicherten anschrieben, sie mögen doch mal bitte Ihre letzte Steuererklärung einreichen, damit wir überprüfen können, ob die Angaben, die wir haben, aktuell und korrekt sind. Das ist Bürokratie und das kostet Geld,"

    ereifert sich Claudia Korf vom BKK-Bundesverband Nord.
    Als reichlich kleinkariert bezeichnet Gesundheitsministerin Schmidt solche Einwände.

    Der Sozialdemokratin geht es um Grundsätzliches: Ein ganz entscheidender Vorzug des Fonds sei es, dass Einkommen und Gesundheitszustand der Mitglieder keinen Einfluss mehr hätten auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der einzelnen Krankenkassen:

    "Für viele Kassen, die viele Alte und viele kranke Menschen haben, ist der Fonds ein Gewinn. Für die, die viele Gesunde und Junge haben, ist es andersherum. Aber irgendwo muss ja ausgeglichen werden."

    Diesen Ausgleich, auf den Ulla Schmidt da verweist, soll künftig der so genannte "Morbi RSA" gewährleisten. Die Abkürzung steht für "Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich". Hinter dem Begriff verbirgt sich ein hoch kompliziertes Modell, das allen Krankenkassen gleiche Wettbewerbschancen bieten soll.

    Vor allem die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die überproportional viel einkommensschwache, alte und gebrechliche Mitglieder haben, sind froh über den neuen Finanzausgleich.

    Hans-Jürgen Ahrens, der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands:

    "Wir haben jahrelang darum gerungen, dass so etwas geschieht, denn bisher war es eher so, dass es sich lohnte, junge und gesunde an sich zu binden, als Kranke zu versorgen."
    Der "Morbi RSA" funktioniert vereinfacht dargestellt so:

    Funktionsweise Morbi RSA

    Grundlage des Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs ist ein Katalog von 80 schwerwiegenden kostenintensiven chronischen Krankheiten. Dazu zählen unter anderem Diabetes mellitus, Parkinson, Herzinsuffizienz oder HIV Aids. Für jedes Kassenmitglied, dass unter einer der aufgelisteten Erkrankungen leidet, gibt es für die jeweilige Krankenkasse Zuschläge aus dem Gesundheitsfonds. Die Zuschläge gleichen aber nicht alle anfallenden Kosten aus. Sie orientieren sich vielmehr an Durchschnittswerten, die für die Versorgung vermittelt worden. Dabei spielen Alter und Geschlecht des Patienten ebenfalls eine Rolle.
    Allerdings bemängeln auch wohlwollende Kritiker, der "Morbi RSA" sei nicht zielgenau: Es werde zu wenig unterschieden zwischen leichten und schweren Krankheiten; besonders kostenintensive Erkrankungen würden nur unzureichend ausgeglichen. Die Fonds-Befürworter halten dem entgegen, dieser Finanzausgleich sei nicht statisch, er werde, falls nötig, ständig nachjustiert.

    Stefan Etgeton von der Verbraucherzentrale Bundesverband hält den "Morbi RSA" trotz einiger Schwächen für eine gute Sache:

    "Das ist ja doch ein sinnvolles Anliegen, in einer vernünftigen Wettbewerbsordnung, dass man sich nicht die Rosinen rauspickt, sondern dass man tatsächlich versorgend dort sinnvoll gestaltet, wo eben die Versorgungsbedarfe auch vor allem sind, und das eben bei den älteren chronischen Kranken der Fall."
    "Rosinenpickerei" ist das Geschäftsmodell vor allem vieler kleiner Betriebskrankenkassen. Sie ziehen, etwa über das Internet, vergleichsweise junge und gesunde Menschen an. Und damit einen Kundenkreis, der wenig Kosten verursacht, weswegen diese Kassen bislang konkurrenzlos niedrige Beitragssätze anbieten können. Das ist nun vorbei. Für viele dieser Kassen kommt der Fonds mit dem einheitlich hohen Beitragssatz sowie dem neu strukturierten Finanzausgleich einem Todesurteil gleich. Erste Kassenfusionen hat es bereits gegeben, viele weitere dürften noch folgen. Das Nachsehen haben dabei freilich die Kunden der bisherigen Billiganbieter; für diese Klientel wird es mit dem Gesundheitsfonds erheblich teurer. Wer zum Beispiel 3600 Euro Einkommen hat und bislang bei einer besonders preisgünstigen Kasse war, der zahlt mit dem Fonds etwa 100 Euro mehr im Monat.

    Gab es bisher eher einen Kampf der Krankenkassen um Gesunde, so befürchten viele Fonds-Gegner nun die Jagd nach den so genannten "schlechten Risiken", sprich einen "Run" auf die Kranken. Schließlich seien die wegen der Zuschläge über den "Morbi RSA" fortan besonders attraktiv. - Ministerin Ulla Schmidt pariert diese Erwartung mit Ironie:

    "Es wäre ja schon einmal etwas neues, wenn die Kassen sich wirklich um kranke Mitglieder auch reißen würden, und sich ganz besonders um diese kümmern würde, aber es ist Unsinn, was dort gesagt wird. Ein gutes Risiko ist für eine Kasse immer besser, als ein schlechtes Risiko."
    Andreas Köhler von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV widerspricht mit Nachdruck:

    "Sie werden einen anderen Wettbewerb finden. Nämlich um den Kranken, der eine Krankheit hat, die in dieser Liste drinsteht. Da wird es das Interesse sein, dass was ich aus dem Fonds entnehme über den Morbie RSA im Vergleich zu dem, was ich für ihn ausgebe, so zu machen, dass ich dort Einsparungen erziele."
    Angeblich sind bereits zahlreiche Krankenkassen dabei, ihre Versichertenbestände zu durchforsten mit dem Ziel, möglichst viele Mitglieder auf dem Papier krank zu machen: Wer zum Beispiel einmal unter Bluthochdruck litt, könnte der Kasse erhebliche Zuschläge einbringen, wenn seine einstige Hypertonie als anhaltend und chronisch deklariert werden würde. "Not macht erfinderisch", heißt es da bei manchen Kassenchefs hinter vorgehaltener Hand. - Die Bundesgesundheitsministerin ist empört:

    "Dies kann doch nicht im großen Stil in Deutschland passieren, dass Kassen gesunde Menschen zu chronisch kranken machen, die Menschen dass mit sich machen lassen und es überall die Ärzte gibt, die flächendeckend diesen Menschen auch eine Krankheit attestieren die sie gar nicht haben."
    Es kann also nicht sein, was nicht sein darf, halten Kritiker dieser Argumentation entgegen. - Sie sehen noch weitere Probleme: Bei den Kassen werde Prävention, also die vorbeugende Vermeidung von Krankheiten, künftig eher kleingeschrieben. Für entsprechende Programme sei demnächst kaum noch Geld da, prognostiziert Claudia Korf vom BKK-Bundesverband:

    "Das Ding ist präventionsfeindlich, dass haben alle Gutachter auch bestätigt, gleichwohl werden die Krankenkassen natürlich weiterhin Prävention machen, aber die Ansätze, die Anreize sind nicht geschaffen, in diesem Morbi RSA, dass das dann auch noch honoriert wird."
    Der Fonds werde die Krankenkassen auch an anderen Stellen zum Sparen am falschen Platz zwingen - etwa bei der Entwicklung neuer, kreativer Behandlungsmodelle, sagt KBV-Chef Köhler:

    "Können sie mir mal sagen, warum eine Kasse künftig Innovation finanzieren soll. Kassen werden das nicht mehr tun, und wir werden eine innovationsfeindliche Versorgungsstruktur haben."

    Was auf mittlere Sicht zu erheblichen Zusatzkosten führe, die wiederum nur durch höhere Beitragssätze aufzufangen seien. Oder eine noch schlechtere Versorgung.

    Andere Kritiker sehen bei der Fonds-Einführung auch eine volkswirtschaftliche Dimension: Sie erinnern daran, dass in einigen Regionen die Kassenbeitragssätze derzeit im Mittel signifikant niedriger sind als im Bundesdurchschnitt. Das gilt zum Beispiel für Sachsen und Thüringen. Dort profitieren alle Krankenkassen einerseits von der für ostdeutsche Verhältnisse relativ stabilen wirtschaftlichen Lage. Andererseits ist es dort den Verantwortlichen in der Nachwendezeit besonders gut gelungen, schlanke Strukturen aufzubauen, so etwa im besonders kostenintensiven Krankenhaussektor.

    Mit dem teuren Einheitsbeitrag des Fonds werde es bald konjunkturelle Rückschläge geben, erwartet Birgit Bender von den Grünen:

    "Wir kritisieren regionale Verwerfungen durch den einheitlichen Beitragssatz, und den Zusatzbeitrag, als da sind, ansteigen der Lohnnebenkosten, insbesondere in Ostdeutschland."

    Was zu Arbeitsplatzabbau und Kaufkraftverlusten für die Beschäftigten führen werde.

    Die Große Koalition will sich mit solchen Befürchtungen, seien sie nun begründet oder übertrieben, nicht länger aufhalten. Union und SPD sind froh, das leidige Thema Gesundheitsreform demnächst hinter sich lassen zu können. Aus der Perspektive der Koalition grenzt es ohnehin an ein kleines Wunder, dass man sich überhaupt auf eine Gesundheitsreform hat verständigen können. So völlig unterschiedlich, wie die Vorstellungen beider Seiten waren, und noch immer sind - mit dem Kopfpauschalen-Modell der Union und dem SPD-Konzept einer Bürgerversicherung.

    Damit diese ideologisch motivierten Differenzen nicht zum Sprengstoff des schwarz-roten Bündnisses wurden, hatte die Kanzlerin immer den kleinsten gemeinsamen Nenner in ihrer Regierung gesucht. Und auf der SPD-Seite hat Ulla Schmidt diese Bestrebungen stets unterstützt - sie allerdings in der festen Überzeugung, die Reform und der neue Fonds seien auch in der Sache selbst ein substantieller Fortschritt.

    Mit dieser Ansicht steht die Gesundheitsministerin indes im Koalitionslager ziemlich allein. Weder ihre Parteifreunde noch die Unionskollegen können dem Gesundheitsfonds viel abgewinnen, sagt Daniel Bahr von der FDP:

    "Man hat ja den Eindruck, wenn man die öffentlichen Äußerungen so sieht, dass den eigentlich keiner mehr will. Die Äußerung der CDU/CSU-Kolleginnen und -Kollegen lassen den Eindruck erwecken, dass die SPD Schuld an dem Fonds sei, aus der SPD hört man viele Zitate, dass Union Schuld an dem Fonds, keiner will es mehr sein. Es ist ein verwaistes Kind geworden."
    Doch der Zug in Richtung Gesundheitsfonds ist nicht mehr aufzuhalten. Und so könnten Union und SPD im Wahljahr 2009 den Schaden davontragen, wenn der Fonds einen Fehlstart hinlegen sollte. Und die frustrierten Kassenmitglieder die Regierung dafür an den Wahlurnen abstrafen. Den Spott - zumindest den Spott der Opposition - haben die Koalitionsparteien dagegen schon jetzt zu ertragen; noch einmal Birgit Bender von den Grünen:

    "Im nächsten Jahr, wird die Gesundheitsministerin, und sie alle sich noch wünschen, sie hätten das Wort Gesundheitsfonds überhaupt nie gehört und nur schlecht geträumt. Aber ich sage ihnen, dass Erwachen wird böse sein."