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Klima
Die Mär von der eisfreien Kälte

Die Temperaturen in der Arktis steigen, das Meereis geht zurück. Seit vielen Jahren untersuchen Forscher, wie sich diese Veränderungen auf andere Weltregionen auswirken, speziell auf das Wetter in Europa und den USA. Denn dort haben sich in den vergangenen Jahren ungewöhnlich kalte Winter gehäuft. Der Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen ist allerdings weniger simpel als bislang angenommen.

Von Monika Seynsche | 30.04.2015
    Eisschollen schwimmen auf dem Meer
    Der Eisverlust in der Arktis ist wahrscheinlich an den kalten Wintern in Nordamerika beteiligt. Die Hauptursache ist er aber nicht. (dpa / picture-alliance / Jim Yungel)
    John Walsh und seine Kollegen haben sich durch Dutzende von Studien gewühlt, immer auf der Suche nach Zusammenhängen. Der Chefwissenschaftler des Internationalen Arktisforschungszentrums an der Universität von Alaska in Fairbanks war den Auswirkungen des Meereisschwundes im Arktischen Ozean auf der Spur. Und er hat sie gefunden.
    "Es gibt eine Region nördlich von Europa und dem Ural: die Barentssee und die Karasee. Diese beiden Randmeere des Arktischen Ozeans haben sehr viel Eis verloren. Und eine ganze Reihe von Studien konnte zeigen, dass dieser Meereisverlust das Starkwindband in dieser Region, den Jetstream, verändert. Über den beiden Randmeeren wird das Wetter dadurch wärmer und weiter stromabwärts wird es kälter. Da der Jetstream in Schlangenlinien von West nach Ost bläst, bedeutet stromabwärts in diesem Fall China, Korea und Japan. Dieser Zusammenhang zwischen dem Eisverlust in der Barents- und Karasee und den kalten Wintern in Ostasien zeigt sich sowohl in statistischen Analysen der Wetterdaten als auch in Klimamodellen. Es ist also ein sehr robuster Zusammenhang, den die überwiegende Mehrheit der Studien zu diesem Thema untermauert."
    Ostasien wird durch sich erwärmende Arktis am stärksten beeinflusst
    Je stärker das Meereis schwindet, desto kältere Winter in Ostasien, erwartet John Walsh daher für die Zukunft. Auch an anderen Stellen des Arktischen Ozeans zieht sich das Meereis zurück. Sowohl die Fläche als auch die Dicke des sommerlichen Eises haben seit 1980 um etwa 50 Prozent abgenommen. Trotzdem beeinflusse die wärmer werdende Arktis keine andere Weltregion so stark wie Ostasien, sagt John Walsh. Auch in den USA sind die Winter in den vergangenen Jahren kälter geworden. Da aber sei die Sache nicht so eindeutig.
    "Wir nennen das eine Verbindung mittlerer Sicherheit. Man kann argumentieren, dass der Eisverlust in der Arktis zu schlangenförmigen Ausbuchtungen des Jetstreams führt. Dadurch gelangt warme Luft nach Grönland und kalte Luft nach Nordamerika. Aber diese Bewegungen des Jetstreams werden nicht nur von der Arktis sondern auch von den Wassertemperaturen im Nordpazifik beeinflusst. Und sogar das Phänomen El Niño spielt eine Rolle. Der Eisverlust in der Arktis ist also wahrscheinlich an den kalten Wintern in Nordamerika beteiligt, aber er ist definitiv nicht die wichtigste Ursache."
    Noch zweifelhafter wird die Sache, wenn man sich die kalten Winter in Europa anschaut. John Walshs Analysen zufolge haben die nichts mit dem Verlust des Arktischen Meereises zu tun.
    "Hin und wieder kommt es in Europa zu kalten Wintern, wenn gerade besonders wenig Meereis in der Arktis ist. Aber dieser Zusammenhang ist statistisch nicht robust. So hat der Deutsche Wetterdienst untersucht, wie kalt die Winter der vergangenen 100 Jahre waren. Und da zeigt sich, dass die Kälteperioden des vergangenen Jahrzehnts wesentlich milder und kürzer waren als solche der Winter vor 50 oder 100 Jahren. Das hat mich selbst auch ein bisschen überrascht."
    Das Meereis im Arktischen Ozean schwindet seit Jahrzehnten kontinuierlich. Gäbe es einen Zusammenhang zum Winterwetter in Europa, müssten die Kälteperioden immer heftiger werden. Genau das Gegenteil aber ist der Fall.