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Klimaforscher Schellnhuber
"Wir müssen unsere Zivilisation neu erfinden"

Nach 26 Jahren an der Spitze des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung geht Hans Joachim Schellnhuber in den Ruhestand. Es gäbe die Möglichkeit, komplett aus der CO2-Emission auszusteigen, sagte der Klimaforscher im Dlf. Fraglich sei, ob dies schnell genug geschehe, um den Klimawandel noch zu stoppen.

Hans Joachim Schellnhuber im Gespräch mit Stefan Römermann | 26.09.2018
    Der deutsche Klimaforscher und Direktor des 1992 gegründeten Institutes für Klimafolgenforschung in Potsdam, Hans Joachim Schellnhuber, sitzt an einem Schreibtisch voller Bücher
    Ein Leben für den Klimaschutz: Hans-Joachim Schellnhuber (dpa-Zentralbild)
    Stefan Römermann: Hans Joachim Schellnhuber ist langjähriger Direktor vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und geht in diesen Tagen in den Ruhestand. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Hallo, Herr Schellnhuber. - Ist Ihr Schreibtisch schon abgeräumt, oder wie sieht es da aus? Ich kann mir vorstellen, so ein Ruhestand macht auch viel Arbeit.
    Hans Joachim Schellnhuber: Na ja. Erstens: Als Wissenschaftler geht man eigentlich nie in Rente in diesem Sinn. Man kann ja nicht von einem Tag zum anderen das Denken einstellen. Ich habe immer noch viele Ideen und Projekte, Forschungsprogramme und dergleichen. Ebenso ist auch mein Büro noch nicht vollständig ausgeräumt, sondern auch dafür braucht es eine Übergangszeit, weil es hat sich so enorm viel angesammelt. Und es ist ja das Büro, in dem die Einsteinschen Feldgleichungen zum ersten Mal gelöst wurden. Das muss man mit großer Ehrfurcht behandeln.
    Römermann: Das kann ich verstehen. Ihr Institut haben Sie, ich glaube, 1992 gegründet. Wie war es damals, das Thema Klimaforschung, Klimawandel in die Medien und auch in die Politik zu bekommen?
    Klimawandel war "wie ein Sonntagskrimi im Fernsehen"
    Schellnhuber: Ja, es war relativ leicht damals. Aber das lag daran, weil der Klimawandel, der menschengemachte Klimawandel und die möglichen Folgen damals ein Thema war, das irgendwo ganz am fernen Horizont auftauchte und das man noch mit einem wohligen Gruseln betrachten konnte - so wie den Sonntagskrimi im Fernsehen.
    Römermann: Man konnte schön darüber reden, aber …
    Schellnhuber: Aber es ging einem nicht an die eigene Haut. Deswegen hat man es auch als interessantes Forschungsthema, was es ja auch war, wahrgenommen und hat auch beschlossen, ein Institut dafür einzurichten. Aber im Sinne eines Frühwarnsystems oder eines Fernwarnsystems für etwas, was doch eigentlich vermutlich niemals Realität werden würde. Jetzt ist es genau umgekehrt. Jetzt rückt uns der Klimawandel wirklich auf den Pelz, wenn wir sehen, was wir im Sommer 2018 erlebt haben und wie wir im letzten Jahr beobachten konnten die Monsterstürme in der Karibik. Und jetzt ist eigentlich der Wille, sich politisch mit dem Thema zu befassen, geringer als damals vor 26 Jahren.
    Römermann: Woran liegt das? Eigentlich liegen diese Erkenntnisse ja schon seit Ende der 70er-Jahre auf dem Tisch, …
    Schellnhuber: Noch länger! 1896 hat Svante Arrhenius, Nobelpreisträger, schon ausgerechnet, wie sich die Erdtemperatur verändern würde, wenn wir CO2 in der Atmosphäre verdoppeln, und seine Berechnung von damals ist immer noch richtig.
    "Es ist möglich, unsere Zivilisation CO2-frei zu stellen"
    Römermann: Warum ist seither so wenig passiert? Der CO2-Gehalt ist ja seit den 90ern noch mal kräftig angestiegen.
    Schellnhuber: Es gibt zwei Erklärungen dafür. Das eine ist in der Tat das, was ich schon angedeutet habe. Die Politik, auch wenn es ehrliche ernsthafte Politik ist, versucht, kleine Probleme zu identifizieren, die man relativ schnell lösen kann, wofür man dann auch den Kredit bekommt in Form von Wählerstimmen und dergleichen. Richtig große systemische Probleme, die geht man sehr ungern an. Weil wenn man sie überhaupt hilft, zu lösen, dann bekommen die Kredite dafür, das Lob, nur die Nachfolger und man nicht selber in diesem Fall.
    Das ist das eine und es ist ganz selten so, dass Politik bereit ist, Jahrhundertprobleme wirklich anzugehen, und das ist zweifellos ein Jahrhundertproblem. Das andere ist aber das, dass natürlich unser gesamter heutiger Wohlstand gegründet ist auf der industriellen Revolution, die durch die Kohleverbrennung in Gang kam. Und wir müssen im Grunde genommen unsere Zivilisation neu erfinden, wenn wir aus der CO2-Emission aussteigen wollen. Das ist heute möglich.
    Römermann: Das Ziel ist ja, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dann könnte es gerade so noch gut gehen mit der Welt, sage ich jetzt mal vereinfacht. Ist das denn tatsächlich realistisch noch zu schaffen?
    Schellnhuber: Zunächst mal ist es so, dass das, was ich nannte, gewissermaßen die Moderne neu zu erfinden, unsere Zivilisation CO2-frei zu stellen, tatsächlich möglich ist. Das ist sogar der einzige Weg vorwärts, wenn wir weiterhin im Wohlstand leben wollen, und es ist technisch absolut möglich. Wir werden natürlich fossile Brennstoffe durch Erneuerbare ersetzen. Wir werden zur Kreislaufwirtschaft kommen. Wir werden Böden nicht mehr hemmungslos ausbeuten und Massentierhaltung betreiben, sondern ins Gleichgewicht mit natürlichen Kreisläufen kommen. Da habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass unsere Zivilisation in der Richtung sich bewegt. Aber die Frage ist, schaffen wir das schnell genug.
    Römermann: Das wird spannend. Ich fürchte nur, unsere Zeit rennt uns jetzt tatsächlich weg.
    Schellnhuber: Sehen Sie, wir haben auch ein Zeitproblem. Sonst hätte ich Ihnen erklärt, wie wir die Welt retten können.
    Römermann: Das wäre schön gewesen. Über den Plan können wir vielleicht doch dann in Ihrem Unruhestand noch mal sprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.