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Klimaklage in den Niederlande
Ein historisches Urteil

Anders als Greenpeace und Landwirte in Deutschland hatten Umweltschützer in den Niederlanden Erfolg mit der Klage gegen ihre Regierung: Die Niederlande müssen den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduzieren. Das Urteil hat Klimageschichte geschrieben. Doch noch hapert es an der Umsetzung.

Von Alexander Göbel | 01.11.2019
Urgenda director Marjan Minnesma, center right, hugs members of her legal team after the court turned down an appeal of the Dutch government against a 2015 landmark ruling ordering the government to cut the country's greenhouse gas emissions by at least 25 percent by 2020 in a climate case that activists hope will set a worldwide precedent, in The Hague, Netherlands, Tuesday, Oct. 9, 2018. The case was brought to court by Urgenda, a sustainability organization on behalf of some 900 citizens, claiming that the the government has a duty of care to protect its citizens against looming dangers.(AP Photo/Peter Dejong) |
Marjan Minnesma führt das niederländische Klagsbündnis Urgenda an (AP)
Juni 2015: Jubel und Freudentränen im Bezirksgericht in Den Haag. Niederländische Klimaschützer der Umwelt-Stiftung Urgenda haben es tatsächlich geschafft: Sie haben den Staat verklagt - der muss ab sofort mehr fürs Klima tun. David siegt spektakulär gegen Goliath. Die sechstgrößte Volkswirtschaft Europas wird verpflichtet, den CO2-Ausstoß deutlich zu senken. Und zwar bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent gegenüber dem Stand von 1990, und bis 2050 schrittweise um mehr als 90 Prozent.
Herbst 2018: Das historische Urteil der ersten Instanz wird bestätigt. Urgenda findet das Tempo der Politik zu gering, und so sieht es auch das Gericht. Dabei ist allen klar, dass gehandelt werden muss. Mit 17 Millionen Einwohnern sind die Niederlande nach dem Inselstaat Malta das am dichtesten bevölkerte Land der EU; ein Viertel der Niederlande liegt unter dem Meeresspiegel, wärmere Temperaturen könnten katastrophale Überflutungen zur Folge haben."
Die Regierung verschleppe die Klimaziele
Deshalb fordern die Umweltaktivisten: Tempolimit, Ausstieg aus der Kohleverstromung, weniger Abhängigkeit vom Erdgas, mehr Investitionen in erneuerbare Energie – die bislang erstaunlicherweise nur sechs Prozent des gesamten niederländischen Energieverbrauchs deckt.
Tatsächlich steht im Koalitionsvertrag der konservativ-liberalen Regierung viel dazu drin: Stilllegung der fünf niederländischen Kohlekraftwerke in den nächsten zehn Jahren, eine CO2-Abgabe für die Industrie, die immerhin bis zu 150 Euro pro Tonne steigen soll, außerdem: Förderung von Elektroautos, Zuschüsse für Solarenergie, mehr klimafreundliche Landwirtschaft. Doch Marjan Minnesma von der Umweltstiftung Urgenda hat große Zweifel, ob das alles reicht - sie sagt: die Regierung verschleppe die Klimaziele und ignoriere das Urteil des Gerichts.
"Es ist so, als würden sie sagen: Der Rechtsstaat, der gilt nicht für uns. Mir macht das große Sorgen, dass der Staat sich da so verhält, wo er doch gegenüber seinen Bürgern mit bestem Beispiel vorangehen sollte."
Zum Beispiel berechne die Regierung die Emissionen neu, so komme bereits eine Reduktion heraus, ohne dass man dafür etwas getan habe. Ob die 25 Prozent Minderung beim CO2-Ausstoß bis 2020 zu schaffen sind, sei mehr als fraglich, sagt Minnesma.
"Der Staat hält sein Versprechen nicht"
Nach Berechnungen der Umweltstiftung Urgenda müssten dafür im nächsten Jahr neun Millionen Tonnen CO2 zusätzlich eingespart werden. Das vorgelegte Klimapaket werde in dem Zeitraum aber nur vier Millionen Tonnen schaffen. Marjan Minnesma ist enttäuscht:
"Wenn man unter den 1,5 Grad Erderwärmung bleiben will, muss man wesentlich energischer vorgehen, sonst landen wir 2050 bei zwei Grad. Die Regierung hat viel Zeit verschwendet, um das zu erreichen, was durch das Pariser Klimaabkommen auch für uns gilt. Die Niederlande bleiben hinter ihren eigenen Zielen zurück, der Staat hält sein Versprechen nicht. Und in 30 Jahren werden wir vielleicht denken: Hätten wir damals bloß gehandelt…"
Die Klage gegen die Regierung sei trotzdem das Richtige gewesen, so Marjan Minnesma. Das Gericht habe mit seinem Urteil das Image des vermeintlichen Saubermanns entzaubert, Öffentlichkeit geschaffen und politisch Druck gemacht. Die Menschen würden nun ganz genau hinschauen. Und das eben nicht nur in den Niederlanden.