Dienstag, 19. März 2024

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Klimaklage von Umweltgruppen
"Dass der Klimawandel Grundrechte betrifft, wird man schon sagen können"

Die von Umweltgruppen eingereichte Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht sei kein PR-Gag, sagte der Rechtswissenschaftler Claudio Franzius im Dlf. Ob sie zugelassen werde, sei noch unklar. Es könne aber auch darum gehen, dass der Klimawandel überhaupt vor Gericht anerkannt werde.

Claudio Franzius im Gespräch mit Stephanie Rohde | 18.01.2020
Karlsruhe: Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe soll sich mit einer Klimaklage beschäftigen. Ob sie angenommen wird, ist noch unklar (Uli Deck / dpa)
Mehrere Aktivisten sowie die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace und Germanwatch haben in dieser Woche Klagen an das Bundesverfassungsgericht geschickt und wollen die Bundesregierung damit zu mehr Klimaschutz zwingen. Noch ist nicht klar, ob die Richter die Klagen überhaupt annehmen. Eine Einschätzung von Claudio Franzius, Leiter der Forschungsstelle für europäisches Umweltrecht an der Uni Bremen.
Stephanie Rohde: Sind diese Klimaklagen einfach nur ein PR-Gag?
Claudio Franzius: Ja, das hört man. Ich würde das aber nicht so sehen. Dass das ein Problem ist, das haben wir ja nun inzwischen alle verstanden, und es ist auch ein grundrechtliches Problem. Also man muss sich ja dann auf Grundrechte berufen können, wenn man vor dem Bundesverfassungsgericht Gehör finden möchte, und dass der Klimawandel inzwischen die Grundrechte betrifft, das wird man wohl schon sagen können. Dennoch haben wir ein Problem, denn die grundrechtlichen Beeinträchtigungen, die drohen ja erst. Es ist ja möglicherweise noch nicht so, dass Grundrechte tatsächlich betroffen sind. Sie werden irgendwann einmal verletzt werden, und dann gibt es einige Hürden, die man da erst einmal nehmen muss, damit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist.
"Ein Unterlassen des Staates wird angegriffen"
Das andere Problem, was ich sehe, und das zeigt auch ein bisschen die Zurückhaltung in der Politik, es ist ja nicht so, dass hier Grundrechte als Abwehrrechte betroffen wären, es ist ja nicht so, dass ein aktives Handeln des Staates abgewehrt werden soll vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern dass ein Unterlassen, ein Zu-wenig-Tun angegriffen wird, und das ist schon immer ein Problem gewesen. Das hatten wir auch beim Waldsterben. Wenn ein Unterlassen angegriffen werden soll, dann muss eine Schutzpflicht, eine grundrechtliche Schutzpflicht betroffen sein, und da stellt sich dann auch die Frage – und das scheint mir dann auch in der Politik so ein bisschen das Problem zu sein –, warum eigentlich das Bundesverfassungsgericht? Ist das nicht ein Übergriff in die Domäne der Gesetzgebung, der Legislative.
Rohde: Dazu kommen wir gleich noch. Ich wollte noch mal ganz kurz nachhaken. Also Sie sagen, es ist schon ein bisschen mehr als ein PR-Gag, da könnte was dahinterstecken.
Franzius: Ja, weil wir uns auch schwertun mit dem, was in den USA strategische Prozessführung genannt wird. Es ist ja nicht so, dass es darum gehen kann, tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt Erfolg zu haben, wie das etwa im Fall der Urgenda-Klage in den Niederlanden der Fall gewesen ist, wo tatsächlich das Gericht den Staat verpflichtet, doch erheblich mehr für den Klimaschutz zu tun. Es kann auch darum gehen, dass der Klimawandel überhaupt vor Gericht anerkannt wird, dass das Gericht beispielsweise dann, selbst wenn es die Klage am Ende nicht für erfolgsversprechend hält, schon auch der Bundesregierung sagt, dass das ein ernstes Problem ist und dass das Bundesverfassungsgericht die Augen drauf hält.
"Ganz aus der Luft gegriffen ist die gegenwärtige Betroffenheit nicht"
Rohde: Aber was ist mit zum Beispiel der Argumentation von körperlicher Unversehrtheit? Die gibt es ja. Also da wird gesagt, mein Leben ist vom Klimawandel bedroht. Das überzeugt Sie als Jurist nicht, weil Sie sagen, das passiert erst in der Zukunft.
Franzius: Also eine Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn die Beschwerdeführer gegenwärtig betroffen sind. Diese gegenwärtige Betroffenheit, daran könnte man zweifeln. Das Problem, was aber auch das Gericht wird sehen müssen, ist, die Klimawissenschaft spricht von sogenannte Kipppunkten. Wenn jetzt nicht etwas getan wird, dann kann ein Kipppunkt überschritten sein, und dann haben wir Grundrechtsbeeinträchtigungen, die unumkehrbar sind. Also wenn der Deich erst mal gebrochen ist oder wenn der Meeresspiegel so weit gestiegen ist, dass das Haus unter Wasser steht, im wahrsten Sinne des Wortes unter Wasser steht, dann kann gar niemand mehr helfen. Deshalb meine ich schon, dass auch das Bundesverfassungsgericht sagen wird, na ja, also so ganz aus der Luft gegriffen ist die gegenwärtige Betroffenheit in der körperlichen Unversehrtheit, also Gesundheit, Leben, offenbar dann doch nicht. Das betrifft nicht nur die Küste, sondern das betrifft auch die extremen Dürreperioden. Wenn ein Biobauer nicht mehr sein Land anbauen kann und wegen Schäden seinen Betrieb einstellen muss, dann ist das eine Grundrechtsbeeinträchtigung.
Rohde: Die Aktivisten würden sagen, wir sind jetzt schon betroffen, aber es gibt ja auch den Schutz zukünftiger Generationen. Der ist festgeschrieben in Artikel 20a. Würde das dann nicht greifen?
Franzius: Na ja, der Artikel 20a ist ja eine Staatszielbestimmung und kein Grundrecht. Aber das Problem, das kennen wir jetzt schon seit längerer Zeit, dass die künftigen Generationen eben nicht so gut geschützt sind im politischen System und auch im Rechtssystem, dass man da an etwas … Da muss man etwas tun. Die Kritiker der Klagen vor Gericht sagen, wir müssen im politischen System einen Rat, einen Nachhaltigkeitsrat oder ein Rat künftiger Generationen einschalten, der möglicherweise auch Kompetenzen hat im Bereich der Gesetzgebung, der also ein bisschen stören kann den laufenden Betrieb. Das wäre dann eine Einrichtung im politischen Betrieb. Ob das dann demokratietheoretisch überzeugender ist als jetzt eine Klage vor Gericht, das möchte ich dann auch noch mal bezweifeln. Also der Schutz künftiger Generationen ist im System nur schwach ausgeprägt. Das ist ein Grund, warum man vor Gericht klagt.
"Es geht darum, das Rechtssystem innovativ zu ändern"
Rohde: Ich würde gerne noch auf ein anderes Recht gucken, nämlich der Schutz des Eigentums. Es gibt Kläger aus Bangladesch, und die sagen, der Klimawandel hat jetzt schon dazu geführt, dass mein Haus vernichtet ist, dass meine Lebensgrundlage, mein Acker vernichtet wird. Können diese sich als Ausländer auf das Grundrecht beziehen?
Franzius: Na ja, also das Grundgesetz, das unterscheidet ja zwischen den sogenannten deutschen Grundrechten – also die Versammlungsfreiheit ist im deutschen Grundrecht, darauf können sich tatsächlich nur Deutsche berufen –, und Grundrechte wie Eigentum, aber auch die körperliche Unversehrtheit, die nicht nur für die Deutschen gelten, im Prinzip können sich auch Ausländer darauf berufen. Das sehen wir aber auch bei anderen Klimaklagen. Dogmatisch ist das natürlich ein Problem. Die Eigentumsfreiheit allerdings ist natürlich auch in Deutschland betroffen, und ob dann tatsächlich das Gericht mitmacht, eine Verfassungsbeschwerde anzunehmen, die aus Bangladesch kommt, da würde ich auch ein Fragezeichen hinter setzen. Aber darum noch mal: Das ist der Punkt nicht. Es geht darum, auch ein bisschen das Rechtssystem innovativ zu ändern, das Gericht anzustoßen, darüber nachzudenken, dass es möglicherweise auch ein Problem ist, wenn man es nicht zulässt, Ausländern vor Gericht mit dieser Argumentation Gehört zu verschaffen.
Rohde: Das heißt, wenn die Klagen nicht erfolgreich sind, dann kann man immerhin einen politischen Prozess anstoßen.
Franzius: Ja, das würde ich eben sagen. Also ich würde schon meinen, da ist was dran an der Kritik. Wir haben gelernt und mithilfe des Bundesverfassungsgerichts gelernt, dass wir auch ein bisschen vertrauen müssen in den demokratischen Prozess. Dort aber, wo der demokratische Prozess an Grenzen stößt, etwa beim Minderheitenschutz – Grundrechtschutz ist immer auch Minderheitenschutz gewesen – oder wo die Interessen nicht hinreichend repräsentiert sind im demokratischen Prozess, da müssen diese Funktionsgrenzen der Demokratie in irgendeiner Weise korrigiert werden, irgendwo aufgefangen werden, und dafür ist das Bundesverfassungsgericht da. Also da, wo die Steuerungskapazitäten des demokratischen Prozesses nicht gegeben sind, muss diese Nachjustierung durch das Gericht möglich sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.