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Klimakrise
Elizabeth Kolbert über die Natur der Zukunft

Der Mensch will die Natur beherrschen. Seine Eingriffe haben gravierende Folgen - Versuche diese wieder rückgängig zu machen ebenfalls. Solche Interventionskaskaden hat die Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert in ihrem Buch „Wir Klimawandler“ dokumentiert - und Schlussfolgerungen formuliert.

Von Anne-Kathrin Weber | 23.08.2021
Die Schriftstellerin Elizabeth Kolbert und das Buchcover "Wir Klimawandler"
Die US-amerikanische Journalistin Elizabeth Kolbert dokumentiert seit Jahren die Eingriffe des Menschen in die Natur (Buchcover Suhrkamp Verlag / Autorenportrait © Barry Goldstein/Suhrkamp Verlag )
Wasser ist das prägende Element für den Bundesstaat Louisiana im Süden der USA. Denn Louisiana ist weltweit bekannt für seine weitläufige Sumpflandschaft und das Mississippi-Delta. Mittlerweile allerdings ist das Wasser zum Problem für die Menschen geworden, die dort leben: Aufgrund der Klimakrise steigen Meeres- und Grundwasserspiegel, so dass immer mehr Landfläche verloren geht.
Laut der US-amerikanischen Journalistin Elizabeth Kolbert bräuchte Louisiana paradoxerweise nicht weniger, sondern mehr Wasser, um den Landverlust auszugleichen – Wassermassen, um genau zu sein, die das Land überschwemmten. Auch wenn dies nach dem jüngsten verheerenden Hochwasser im Westen Deutschlands wie blanker Hohn klingen mag – die Fluten des Mississippi könnten Millionen Tonnen Sand und Lehm anhäufen und damit eine neue Bodenschicht bilden. So jedenfalls lautet die Theorie.

Interventionskaskaden in fragilen Ökosystemen

In der Praxis jedoch hat der Mensch zum Schutz vor Überflutungen hunderttausende Deiche und Hochwasserschutzwände gebaut und Ufer befestigt, wie die Pulitzer-Preisträgerin in ihrem neuen Buch "Wir Klimawandler" moniert: "Dieses riesige System, das geschaffen wurde, um Louisiana trocken zu halten, ist der Grund, dass die Region zerfällt wie ein alter Schuh." Um die Folgen dieses Landverlusts auszugleichen, wird nun in den betroffenen Kommunen künstliches Marschland aufgehäuft, mit Kosten in Milliardenhöhe und immer im Wettlauf gegen das weitere Absinken des Landes.
Von solchen Interventionskaskaden des Menschen in fragilen Ökosystemen handelt "Wir Klimawandler". Das Paradoxe daran hat die Autorin treffend in einem Satz herausgearbeitet: "In diesem Buch geht es um Menschen, die Probleme zu lösen versuchen, die Menschen beim Versuch, Probleme zu lösen, geschaffen haben."
Den Kern der Reportagen bilden jedoch die Maßnahmen selbst, mit denen der Mensch die Natur weiter zu beherrschen versucht, wie beispielsweise elektrische Fischsperren im Chicago River, dessen Flussrichtung künstlich geändert wurde, oder das Einlagern von Kohlendioxid in Gestein – CO2 also, das der Mensch zuvor massenhaft produziert hat.

Naturbeherrschung im Kleinen wie im Großen

Manchmal offenbaren die von Kolbert porträtierten Re-Regulierungsversuche des Menschen sogar eine gewisse Komik – auch wenn einem das Lachen angesichts der Folgen wahrlich schnell wieder vergeht:
"In den fünfziger Jahren beschloss Hawaiis Department of Agriculture, die afrikanische Achatschnecke, die man zwanzig Jahre zuvor als Gartenzierde importiert hatte, in Schach zu halten, indem es Rosige Wolfsschnecken, eine räuberische Landschneckenart, importierte. Die Wolfsschnecken ließen die Riesenschnecken weitgehend in Ruhe, fraßen sich stattdessen durch Dutzende kleine Landschneckenarten, die auf Hawaii heimisch waren."
Die Autorin berichtet aber nicht nur über solche vermeintlich lokal begrenzten Eingriffe des Menschen in die Natur. Sie nimmt auch kühne Pläne zur globalen Klimamodifizierung wie das sogenannte "Solar-Geoengineering" in den Fokus. Der Grundgedanke dahinter laute: "Wenn Vulkane die Erde abkühlen lassen können, kann der Mensch das ebenfalls. Bringt man Unmengen reflektierender Partikel in die Stratosphäre, so erreicht weniger Sonnenlicht die Erde. Die Temperaturen steigen nicht weiter – oder zumindest nicht so stark –, und die Katastrophe wird abgewendet."
Der Himmel würde dadurch weiß statt blau erscheinen. Auch wenn solche Pläne berechtigte Skepsis und Unbehagen hervorriefen – Kolbert zufolge müssen wir sie durchaus andenken, um damit einen Zusammenbruch von Ökosystemen zu verhindern, die wir Menschen bereits maßgeblich verändert haben.

Viel Reportage, sparsame Analyse

Derartige Schlussfolgerungen sind im Buch oft nur in einzelnen Sätzen oder knappen Abschnitten zu finden. Der Fokus liegt ganz klar auf der Reportage, in der die Autorin häufig abrupt zwischen Personen und Settings hin- und herwechselt. Viel Konzentration ist daher vonnöten, zwischendurch den Lektürefaden nicht zu verlieren.
Trotzdem ist "Wir Klimawandler" ein eindrucksvolles Zeugnis über die vielfältigen menschlichen Interventionen im Wasser, an Land und in der Luft. Kolbert macht dabei ganz deutlich: Eine ‚reine‘, unberührte Natur wird es nicht mehr geben. Denn wir bekämpfen mit neuen Ideen und Technologien oft lediglich die Symptome, nicht aber die Ursache eines Problems. Das ist nur logisch, denn die Ursache, so wird nach der Lektüre sehr deutlich, ist der Mensch oft selbst.
Die Autorin plädiert eindrücklich dafür, dass wir endlich Verantwortung für unser Handeln auf der Erde und darüber hinaus übernehmen.
Elizabeth Kolbert: "Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft"
Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, Suhrkamp Verlag, 240 Seiten, 25 Euro.