Donnerstag, 18. April 2024

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Klimapolitik
"Es geht um die Zukunft der jungen Generation"

Für die "Fridays for Future"-Bewegung gehen viele Schüler lieber auf die Straße als in den Unterricht. Zu Recht, sagt Carl-Friedrich Schleussner von der Denkfabrik Climate Analytics im Dlf. Die Politik müsse in Klimafragen viel stärker die Interessen der jungen Generation berücksichtigen.

Carl-Friedrich Schleussner im Gespräch mit Georg Ehring | 15.03.2019
Tausende Schüler, einige halten Plakate mit Aufschriften wie "Make earth cool again".
Bahn fahren, Müll reduzieren, auf Plastik verzichten: Jeder kann zum Klimaschutz beitragen. Vor allem aber muss die Politik gesellschaftliche Weichen stellen - wie bei den "Friday for Future"-Protesten gefordert (dpa/Carsten Koall)
Georg Ehring: Klimaschutz als Generationenfrage – in vielen Ländern gehen heute Schülerinnen und Schüler auf die Straße und eines ihrer Argumente ist: "Wir müssen ausbaden, was die Älteren uns eingebrockt haben, beziehungsweise noch einbrocken." Und in der Tat: Das Klima verändert sich allmählich. In den vergangenen Jahrzehnten wurde es pro Dekade um knapp 0,2 Grad wärmer, im globalen Durchschnitt gerechnet. Carl-Friedrich Schleussner befasst sich für die Denkfabrik Climate Analytics unter anderem mit dem Thema Generationengerechtigkeit. Ich habe mit ihm gesprochen und ihn unter anderem gefragt, wann die 1,5 Grad denn bei der derzeitigen Klimapolitik voraussichtlich überschritten werden.
Carl-Friedrich Schleussner: Die Klimapolitik in dem Pariser Abkommen beruht auf den Beiträgen einzelner Staaten und diese Beiträge einzelner Staaten werden auch regelmäßig überarbeitet. Die Frage, wo wir mit Paris hinsteuern, ist zum Glück, müsste man sagen, noch nicht geklärt.
Jedes Zehntelgrad macht einen Unterschied
Auf dem aktuellen Pfad, auf dem wir uns befinden, steuern wir aber, wie Sie richtig gesagt haben, auf ein Überschießen dieser Ziele zu, auf eine Welt von ungefähr drei Grad oder mehr. Wenn wir auf einem solchen Pfad wären, würden wir das 1,5-Grad-Ziel in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre ungefähr überschreiten und dann um das Jahr 2050 herum das Zwei-Grad-Ziel. Das heißt natürlich, wenn man das auf generationale Fragen überträgt, dass heutige junge Menschen eine Welt über 1,5 Grad und eine Welt über zwei Grad sehr wohl erleben werden. Zum Beispiel haben wir uns das einfach demographisch ein bisschen angeschaut und ein heute 16-Jähriger würde ganz sicher mehr als die Hälfte seines Lebens im Mittel über anderthalb Grad leben, fast sogar die Hälfte seines Lebens über zwei. Und damit wären die Klimafolgen, die für heute ältere Generationen noch als hypothetische Zukunftsfragen gesehen werden, für junge Menschen heute schon sehr konkret und werden lebensbestimmend sein.
Ehring: Was erlebt denn dann die jüngere Generation, was den heutigen Entscheidungsträgern persönlich nicht mehr so bevorsteht?
Schleussner: Wir hatten im Herbst einen neuen Sonderbericht des Weltklimarats, des IPCC, zu den Klimafolgen bei 1,5 Grad und auch insbesondere verglichen zu zwei Grad. Und der Sonderbericht hat gezeigt, dass in einer ganzen Reihe von sehr wichtigen Klimafolgen – seien es Extremereignisse wie extreme Hitze, Starkniederschläge oder auch Dürren in einigen Weltregionen, in Fragen der Klimaveränderungen regionaler Natur und insbesondere auch der Klimafolgen auf Biodiversität wie zum Beispiel Korallenriffe oder andere sensible Ökosysteme – bereits sehr große Unterschiede zwischen 1,5 und zwei Grad und natürlich noch weiter darüber hinaus für höhere Erwärmungslevel existieren.
Armut im globalen Süden könnte weiter zunehmen
Ehring: Was heißt das ganz konkret? Können Sie da mal ein Beispiel nennen?
Schleussner: Ganz konkret heißt das, dass heute 16-Jährige vielleicht noch mit etwas Glück noch ein intaktes tropisches Korallenriff sehen werden; ihre Kinder nicht mehr. Die werden aussterben. Sie werden Sommer erleben oder September erleben, wo die Arktis fast eisfrei ist. Wir werden Hitzeextreme erleben wie letzten Sommer, nicht wie im Moment vielleicht alle vier, fünf Jahre, sondern jedes zweite Jahr oder noch öfter, und wir werden Hitzeextreme erleben, die wir so noch gar nicht hatten. Wir werden Klimafolgen erleben, die insbesondere in den Ländern des globalen Südens noch viel stärker zutreffen als bei uns, und das wird diese Länder und die Möglichkeiten ihres Entwicklungspotenzials noch stärker in Mitleidenschaft ziehen, als das vielleicht jetzt schon der Fall ist. Und damit werden natürlich auch andere gesellschaftliche Fragen, mit denen wir ja jetzt schon zu kämpfen haben, auch verstärken.
Ehring: Was heißt das denn für die Klimapolitik, wenn die junge Generation ein ganz anderes Interesse eigentlich am Klimaschutz hat?
Schleussner: Es heißt, dass wir diese Interessen vielleicht endlich ernst nehmen sollen. Sie haben ein sehr berechtigtes Anliegen. Es geht um ihre Zukunft. Und sie sehen, dass ihre Zukunft im Moment nicht einbezogen wird. Es wird viel darum gefragt und auch gerechterweise, wie kann man eine Gesellschaft transformieren, welche Ziele können wir erreichen und wie können wir sie auch richtigerweise implementieren. Aber diese Fragen werden mit einer sehr starken Perspektive auf der Jetzt-Zeit geführt und nicht so sehr aus der Zukunft, währenddessen wir die Zukunft unserer jetzt schon Kinder und ganz sicher deren Kindeskinder durch diese Verhaltensweise sehr stark festschreiben.
Die Hauptverantwortung trägt die Politik - nicht Individuen
Um ein konkretes Beispiel zu nehmen: Das ist ein bisschen noch mal eine andere Frage, aber Fragen des Meeresspiegelanstiegs sind auch direkt mit heutiger Klimaaktion verbunden, und wir haben in der Publikation zeigen können, dass jede fünf Jahre Verzögerung im Erreichen des Scheitelpunkts der globalen CO2-Emission auf längere Sicht zu einem Meeresspiegelanstieg von ungefähr zusätzlich 20 Zentimetern führt. Das ist nicht mehr aufzuholen. Wir haben also ein Vermächtnis, das wir dieser Generation und den zukünftigen Generationen hinterlassen, das wirklich ganz außerordentlich ist. Und junge Leute heute sehen und verstehen das und sind damit vielleicht dem Rest von uns weit voraus.
Ehring: Muss sich die junge Generation nicht vorwerfen lassen, dass die den Lebensstil und auch den CO2-Ausstoß der Älteren auf persönlicher Ebene fortsetzt? Auf Flugreisen wollen die jungen Leute ja zum Beispiel meist nicht verzichten.
Schleussner: Ich denke, das ist eine wichtige Frage in der Frage, welches gesellschaftliche Umfeld man kreiert und in welcher Art und Weise junge Menschen dort ihren Platz finden. Ich finde, wenn man sich Verhaltensmuster und auch Umweltbewusstsein anguckt, sieht man ja an einem großen Teil, dass junge Menschen da vielleicht auch schon andere Ansätze haben. Es gibt eine sehr schmale Studienlage dazu, aber es gibt einige Studien, die sich Fragen von zum Beispiel Pro-Kopf-Emissionen altersverteilt anschauen, zumindest im Falle der USA, und da ist es so, dass man sieht, dass die Emissionen – und das ist auch wenig überraschend eigentlich – mit dem Vermögen, mit dem Einkommen steigen und damit auch ältere Generationen höhere Pro-Kopf-Emissionen haben als jüngere Generationen.
Das heißt, auch schon im Jetzt tragen ältere Menschen einen höheren Anteil zum Klimawandel bei als junge. Dann geht es aber auch vor allen Dingen bei der Transformation hin zu den Pariser Zielen nicht nur um individuelle Verhaltensweisen, die natürlich darin wichtig sind, aber vor allen Dingen um die grundlegende Veränderung einer gesellschaftlichen Organisation, in der Menschen dann auch sich selbst und ihre Ziele verwirklichen können. Das heißt, ohne diese gesellschaftliche Transformation ist es mit individuellen Handlungsoptionen auch schwer gemacht, einen wirklichen Beitrag oder einen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.