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Klimapolitiker: USA und China zunächst außen vor lassen

Ziel des UN-Klimagipfels in Durban müsse ein Vertrag sein, bei dem die USA und China "nicht unbedingt von Anfang an mit dabei sind", sagt Hermann Ott. Der Grünenpolitiker forderte die Europäische Union auf, den Klimaschutz federführend voranzutreiben.

Hermann Ott im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.11.2011
    Tobias Armbrüster: Im südafrikanischen Durban beginnt heute der UN-Klimagipfel. Es ist die insgesamt 17. Konferenz dieser Art und wie bereits in den Vorjahren ist das Hauptziel der Delegierten, ein Nachfolgeabkommen auf den Weg zu bringen, ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll, das im kommenden Jahr ausläuft. Die Voraussetzungen dafür sind allerdings denkbar schlecht: Die USA und China sträuben sich nach wie vor beim Thema Klimaschutz und der Ausstoß von Treibhausemissionen hat im vergangenen Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. 11.000 Teilnehmer werden nun also in den kommenden Tagen in Durban erwartet. Mit dabei ist der Grünenpolitiker Hermann Ott. Er ist Sprecher seiner Partei für internationale Klimapolitik und er wird Ende der Woche zum Gipfel nach Südafrika reisen. Schönen guten Morgen, Herr Ott.

    Hermann Ott: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Ott, mit was für einem Gefühl fahren Sie zu dieser Klimakonferenz?

    Ott: Gespalten - muss ich sagen.

    Armbrüster: Gespannt?

    Ott: Es wird keinen großen Durchbruch geben. Das verkünden ja allenthalben schon wieder die Gazetten. Aber ich fahre doch mit einer großen Erwartung, dass es gelingen wird, dieses Element zu beseitigen, was schon seit 17 Jahren – Sie haben es angesprochen – den Fortschritt verhindert, dass nämlich immer darauf gewartet wird, dass die USA mitmachen. Und sehr, sehr viele der Teilnehmer, die jetzt auch schon länger dabei sind, können sich das nicht mehr mit anschauen. Wir haben damals auf Al Gore gewartet in Kyoto; er kam dann, hat mehr Flexibilität von seiner Delegation gefordert. Dann kam das Kyoto-Protokoll auch zustande, aber im nächsten Moment hat der Kongress wieder reingegrätscht und eine Ratifizierung verhindert, und seitdem ging das immer so weiter, unter jedem Präsidenten war es dasselbe.

    Armbrüster: Herr Ott, wie wollen Sie jetzt an den USA vorbei kommen?

    Ott: Wir nennen das die Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, aus der Erkenntnis heraus, dass vielleicht alle im selben Boot sitzen müssen irgendwann, aber dass nicht alle zur gleichen Zeit in das Boot einsteigen müssen. Aber irgendjemand muss doch das Boot mal zimmern und klar Schiff machen, und das kann nur die Europäische Union sein - Achim Steiner, der Chef des Umweltprogramms der UNO, hat ja auch noch mal darauf hingewiesen -, und das ist die Zeit für die Europäer, voranzugehen mit anderen Staaten. Das sind ja 150 Staaten, manchmal ärmere, die sehr stark getroffen werden vom Klimawandel. Andere, die Schwellenländer sind und sich jetzt industrialisieren, die wären alle mit im Boot, um hier voranzugehen und einen Vertrag auszuhandeln, dem dann irgendwann die USA oder auch China beitreten können.

    Armbrüster: Aber, Herr Ott, genau das macht die Europäische Union doch bereits, das Vorpreschen. Die Europäische Union hat sich ja bereits freiwillig festgelegt auf eine Reduktion der Treibhausgase bis 2020 um 20 Prozent. Kann man wirklich mehr verlangen?

    Ott: Ja. Der Unterschied ist der Perspektivenwechsel. Außerhalb dieses Klimaregimes, also der Klimakonvention und des Kyoto-Protokolls, gibt es so etwas tatsächlich, obwohl auch das gerade hakt. Die Europäische Union weigert sich ja – und da ist Deutschland kein Ruhmesblatt -, die Verpflichtung auf 30 Prozent anzuheben. Die 20 Prozent haben wir ja schon fast erreicht, wir versprechen da eigentlich gar nichts mehr. Die andere Perspektive ist aber die der Klimaverhandlungen selber, dass man einen Vertrag aushandelt, in dem die USA nicht unbedingt von Anfang an mit dabei sind. Das war bisher für sehr, sehr viele völlig undenkbar, aber gerade das ist doch erforderlich, denn man gibt den USA ein ungeheueres Verhinderungspotenzial, wenn man sie unbedingt mit im Boot haben muss.

    Armbrüster: Gilt das gleiche auch für China? Auch die Chinesen sträuben sich ja bei so einem Protokoll.

    Ott: Ja wir haben da zwei Elefanten, die miteinander kämpfen. Es gibt ja ein afrikanisches Sprichwort: wenn die Elefanten Liebe machen oder kämpfen, immer wird das Gras zertrampelt, die kleineren müssen darunter leiden. Das ist hier auch der Fall. Allerdings ist die Europäische Union ja kein ganz kleiner. Und bei China habe ich übrigens auch mehr Hoffnung eigentlich noch als bei den USA, denn dort in der Führung und in breiten Schichten der Bevölkerung ist sehr, sehr wohl angekommen, was der Klimawandel für ein Problem darstellen könnte, und deshalb tut die Führung da auch alles, um die Energiepolitik zu diversifizieren. Da werden die Erneuerbaren ausgebaut, Effizienz wird erhöht. Also China ist im Grunde sehr viel weiter als die USA.

    Armbrüster: Aber Sie haben es bereits angesprochen: beide Staaten, beide Mächte beäugen sich sehr kritisch beim Thema Klimaschutz, niemand will sozusagen den ersten Zug machen. Welche Hoffnung kann man dann überhaupt mit einem Abkommen verbinden, wenn die Situation derart verfahren ist?

    Ott: Ja. Im Moment ist das wie beim Mikado. Die denken, der erste, der sich bewegt, hat verloren. Aber Klimapolitik ist kein Mikadospiel und unsere Überzeugung ist, dass wer sich zuerst bewegt sogar gewinnt, und zwar gewinnt deshalb, weil er ein Problem schon vorwegnimmt. Es ist ja beim Klimawandel so, dass wir die schlimmsten Auswirkungen erst in 20, 30 Jahren spüren werden. Aber wer sich jetzt bewegt, wer seine Industriepolitik ändert, wenn die Unternehmen sich darauf einstellen, die Produkte herstellen, die dann erforderlich sein werden – und in den nächsten Jahren wird das sehr, sehr stark der Fall sein; wir haben das ja mit den Erneuerbaren schon bewiesen -, der setzt sich vorne ran und wird auch die Vorteile auf den Weltmärkten haben.

    Armbrüster: Herr Ott, das Kyoto-Protokoll, wir haben es angesprochen, endet im kommenden Jahr, es läuft aus, und es ist doch sehr wahrscheinlich, dass es kein Nachfolgeabkommen geben wird bis Ende kommenden Jahres. Wie geht es dann weiter, ohne ein international gültiges Klimaprotokoll? Fallen wir da in ein Vakuum?

    Ott: Ja das Schlimme ist, dass diese Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls ja auf fünf Jahre begrenzt worden sind. Ich habe das übrigens damals auch gar nicht als eigentliches Problem erkannt. Aber Tatsache ist, wenn diese Verpflichtungen im nächsten Jahr, Ende nächsten Jahres auslaufen, dann ist der Himmel sozusagen wieder offen. Deshalb muss die Europäische Union auch hier sagen, wir werden diese Verpflichtungen weiter erfüllen, wir erkennen sie für uns an, obwohl das in rechtlicher Sicht nicht der Fall ist, und möglichst viele, also auch Japan und andere, dazu bewegen, das mitzumachen.

    Armbrüster: Haben Sie denn den Eindruck, dass daran in der Europäischen Union jemand rütteln will?

    Ott: Die Europäische Union ist im Moment, wie man ja auch in der Finanzkrise sieht, schwer gebeutelt und hier zeigt sich eben, wird die Europäische Union als Idee verfolgt, dann muss man in Richtung immer stärkerer Integration gehen, oder zerfällt das Ganze wieder in seine nationalen Einzelteile, und ähnlich haben wir das auch im Bereich der Klimapolitik. Wenn man wirklich gemeinsam vorangehen will, dann müssen zum Beispiel starke Mitglieder wie Deutschland und andere dafür sorgen, dass Polen und Tschechien ihre Energiepolitik oder ihre Energieversorgung auch umstellen können, weg von der Kohle. In Polen werden 96 Prozent des Stroms mit Kohle erzeugt. Natürlich haben die Angst, und da müssten aber jetzt die Angebote kommen von Deutschland, wir helfen euch, wir legen Leitungen, damit ihr keinen Blackout fürchten müsst, und wir helfen euch bei dem Aufbau eines erneuerbaren dezentralen Systems. Das kommt aber nicht, und dann ist das immer sehr billig, sich dann zu verstecken und zu sagen, wir wollen ja eigentlich mehr, aber tut mir leid, die anderen, Polen und Tschechien, haben uns nicht gelassen. So darf das nicht weitergehen.

    Armbrüster: Herr Ott, die letzten Zahlen, die wir vom UN-Klimarat bekommen haben, die waren ernüchternd. Im letzten Jahr, heißt es, ist der Ausstoß von Treibhausgasen so stark angestiegen wie nie zuvor. Außerdem müssen wir uns auf eine Erderwärmung von sage und schreibe sechs Grad einstellen. Was wird sich ändern in unserem Alltag in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten, wenn so was wirklich wahr wird?

    Ott: Alles! Die Stabilität des Klimas ist sozusagen Grundbedingung dafür gewesen, dass in den letzten 10.000 Jahren sich unsere Zivilisation entwickeln konnte, denn nur, wenn das Wetter vorhersehbar ist, wenn man weiß, dass man im nächsten Frühjahr auch genug ernten kann, dann sät man doch. Und diese Stabilität, die in den letzten 10.000 Jahren geherrscht hat, die bringen wir in Gefahr. Die Schwedische Akademie der Wissenschaften nennt unser Zeitalter ja gar nicht mehr Holozän wie bei Max Frisch, sondern das Anthropozän. Das heißt, der Mensch ist zu einem bestimmenden Faktor der Erdsysteme geworden, eigentlich unvorstellbar, aber es ist so, weil bei diesen Spurengasen wie Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen genügen geringste Veränderungen, um massive Veränderungen im Klimasystem zu bewirken. Das heißt, es ist nicht nur so daher gesagt, wenn hochrangige Politiker und vor allen Dingen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen, das ist das größte Problem, vor dem die Menschheit steht, denn das ist die Grundlage unserer Existenz nicht unbedingt als Spezies – es werden immer Menschen überleben -, aber doch als Zivilisation und Kulturspezies.

    Armbrüster: In Durban in Südafrika beginnt heute der 17. UN-Klimagipfel. Wir sprachen darüber mit Hermann Ott, dem Sprecher der Grünen für internationale Klimapolitik. Vielen Dank, Herr Ott, für das Gespräch heute Morgen.

    Ott: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.