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Klimaschutz in Deutschland
Neue Gesetze, alte Streitereien

CO2-Preis, Kohleausstieg, Windkraftausbau: Die deutsche Politik streitet über den richtigen Weg beim Klimaschutz. Die Fronten sind verhärtet, doch die Zeit drängt. Denn die Folgen der Erderwärmung werden immer deutlicher. Kurz vor der UN-Klimakonferenz machen Initiativen und Verbände Druck.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 26.11.2019
Kohlekraftwerk Niederaußem mit Windpark
Die Windkraft soll Kohlestrom ersetzen, doch der Ausbau kommt nicht mehr voran (Imago / CHROMORANGE)
"Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, null. Und jetzt kräftig pusten – alles geben!"
Zwanzig Vorschulkinder blasen die Backen auf – es ist das Startzeichen für den neuen Arkona-Windpark zwischen Rügen und Bornholm. Wie die Fünfjährigen, die vor ihr stehen, hält auch Angela Merkel ein regenbogenfarbenes Windrädchen in der Hand. Aber ausgerechnet in diesem Moment, bei der Festveranstaltung in Sassnitz, hat die Kanzlerin Pech: Ihr Windrad klemmt…
Es ist der 16. April 2019 – die Große Koalition in Berlin schwächelt, die Grünen erleben einen Höhenflug in den Umfragen, und die Fridays-for-Future-Jugend trommelt Woche für Woche für mehr Klimaschutz. In dieser Situation will auch die Kanzlerin ein Zeichen setzen, noch dazu in ihrem Wahlkreis auf Rügen:
"Wir haben große Mühe, unsere sehr ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Deshalb hat sich die Bundesregierung vorgenommen, jetzt verbindlich bis 2030 die dann avisierten Ziele für alle Sektoren auch wirklich umzusetzen."
Gelingen soll das unter anderem mit dem massiven Ausbau der Windkraft. Arkona ist ein Prestigeprojekt, deutsche und norwegische Unternehmen haben im Seegebiet zwischen Rügen und Bornholm über eine Milliarde Euro investiert, dafür gibt es reichlich PR. Dem neuen Windpark wurde sogar eigens ein Popsong gewidmet.
"Denn es ist an der Zeit, die Flügel zu bewegen, neue Wege zu gehen, und an den Rädern zu drehen."
Windräder stehen im dichten Nebel auf einer Wiese in Brandenburg. 
Energiewende - Der schwierige Weg zu neuen Windrädern
Protest der Bürger und lange Verfahren zur Genehmigung – der Windkraftausbau kommt in Deutschland nicht mehr voran. Neue Lösungsansätze sind gefragt, wenn die Energiewende gelingen soll.
Angela Merkel lässt in ihrer Festrede keinen Zweifel daran, dass dieser Termin politisch bedeutsam ist:
"Gerade angesichts neuester Wahlergebnisse aus Skandinavien, wenn ich an Finnland denke…"
Die rechtspopulistische Partei "Die Finnen" ist dort zweitstärkste Kraft geworden, bei der Parlamentswahl im Frühjahr:
"…müssen wir es schaffen, und das ist ganz, ganz wichtig, die wirtschaftliche Bedeutung, die klimapolitische Notwendigkeit der Erneuerbaren Energien genauso mit Wohlstand und Arbeitsplätzen zu verbinden, dass nicht der Eindruck entsteht, hier passiert eine Spaltung der Gesellschaft."
Es geht um Grundsatzfragen
Längst hat die Kanzlerin die gesellschaftspolitische Sprengkraft der Klimapolitik erkannt. Aktuell streitet die schwarz-rote Koalition um den Ausbau der Windkraft, doch es geht um mehr. Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD ringen beim Klima um Grundsatzfragen, um eine Haltung, um ihr Profil, und um zukünftige Wähler. Von der internationalen Wahrnehmung ganz zu schweigen, sagt Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, kurz bevor kommende Woche in Madrid die UN-Klimakonferenz beginnt:
"Man erwartet innerhalb Europas eigentlich, dass Deutschland aufhört zu blockieren und am liebsten in die Vorreiterrolle zurückkommt, in der sie unter Helmut Kohl wie unter Gerhard Schröder gewesen ist. Die waren ambitionierter, beide."
Meint ausgerechnet ein Grüner. Trittin erinnert bewusst an Kohl und Schröder. Es ist ein Appell an die amtierende Bundesregierung, mehr zu tun.
Heute herrsche Rückschritt bei den Erneuerbaren und Stillstand beim Klimaschutz, urteilt Trittin. Andere Experten und Politiker warnen hingegen: Alle in der Bevölkerung müssten die Energiewende akzeptieren. Bedenkenträger und Interessengruppen heizen die Klimadebatte an.
Durch einen Klick gelangen Sie zum Dossier zur Klimakrise
Im Dlf-Dossier finden Sie aktuelle Zahlen, Interviews und Hintergründe zur Klimakrise (Sean Gallup / Getty Images)
Besonders herablassend tritt der Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion im Bundestag auf: Nur hier werde auch marktwirtschaftlich gedacht, wird behauptet – ein Affront gegen den eigenen Wirtschaftsminister. "Inzwischen" mache Peter Altmaier aber einen guten Job, findet der schwäbische CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Freiherr von Stetten:
"Inzwischen bin ich sehr zufrieden mit ihm. Er findet den richtigen Ausgleich zwischen Ökologie und auch Ökonomie. Denn was wir nicht machen dürfen, ist, dass wir durch einen übertriebenen Umweltschutz die Arbeitsplätze in Deutschland abbauen, und am Ende des Tages haben die Leute zwar viel Umweltschutz, aber keine Arbeitsplätze mehr."
Lange Zeit spielten auch die Sozialdemokraten den Umwelt- und Klimaschutz gegen den Schutz der Arbeitsplätze aus. Erst langsam sind die Traditionalisten leiser geworden. Die Parteispitze – soweit vorhanden – wirbt für mehr Klimaschutz, wenn auch oft ohne Leidenschaft. Lange Zeit kursierte in der SPD zuvor die Ansicht, das Thema Klimaschutz könne man ruhig den Grünen überlassen. Die jahrelange Ignoranz rächt sich jetzt. Bundesumweltministerin Svenja Schulze – ebenfalls Sozialdemokratin – platzte deshalb schon der Kragen:
"Ich will, dass jetzt endlich über Maßnahmen geredet wird, und dass dieses abstrakte über Klimaschutz Reden aufhört."
Schulze wird scheinbar ausgerechnet in Bayern erhört. Mit Markus Söder an der Spitze will die CSU grüner werden. Das hat vor allem wahltaktische Gründe, hat Parteichef Söder die Grünen doch zum Hauptgegner ernannt. Anders als der Bayer taucht die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer beim Thema Klimaschutz die meiste Zeit ab. Ihr parteiinterner Kontrahent Friedrich Merz feuert dafür aus allen Rohren:
"Wir werden doch unseren Kindern die Frage beantworten müssen, wovon sollen sie denn in zehn oder in zwanzig Jahren in diesem Land noch leben?"
Erneuerbare Energie als Standortvorteil
Matthias Zelinger, Energieexperte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, hält das Job-Argument für Unfug. Beispiel Elektromobilität.
Der Umstieg aufs E-Auto werde zwar mindestens zehntausend Arbeitsplätze kosten. Aber zugleich könnte der Ausbau der Erneuerbaren Energien zum Jobmotor werden. Die Industrie sei jedenfalls viel weiter als die Politik, meint der Maschinenbau-Lobbyist:
"Das ist unser Eindruck, ganz, ganz stark. Auf der einen Seite sehen wir natürlich längst, dass es einen Weltmarkt gibt, das heißt, wir sind da sehr stark am Exportieren. Das ist das eine, und das Zweite ist, dass seit einiger Zeit ganz klar die Unternehmen hier sagen: Wir werden in der Zukunft klimaneutral produzieren müssen, und wir haben es ja gerade gesehen, als Tesla seine Investition hier angekündigt hat. Einer der Punkte, warum die kommen, ist tatsächlich die Erneuerbare Energie, die wir vor Ort haben."
Selbst ein jahrzehntelang großer Atom- und Kohlekonzern wie RWE kündigt jetzt an, bis zum Jahr 2040 klimaneutral wirtschaften zu wollen. Der Industrieverband BDI fordert Planungssicherheit und drängt die Bundesregierung schon lange, endlich zu handeln.
Doch erst der Erfolg der Grünen bei der Europawahl im vergangenen Mai schreckt die Koalition auf. Union und SPD geraten unter Zugzwang, und Christdemokrat Friedrich Merz zeigt Nerven:
"Alle neunzig Sekunden verliebt sich ein deutscher Journalist in Robert Habeck. Aber alle anderen kriegen den Vorhalt gemacht, auch in den Medien, Ihr seid nicht auf der Höhe der Zeit, Ihr gebt die Antworten nicht, Ihr bleibt sie schuldig."
180-Seiten Klimapaket
Nach Monaten des harten Ringens einigen sich die Koalitionspartner Ende September schließlich auf das so genannte Klimapaket. Ein über 180 Seiten langes Konglomerat aus ordnungs- und finanzpolitischen Maßnahmen. Die Bundesregierung führt erstmals einen nationalen CO2-Preis und ein Bundesklimaschutzgesetz ein.
Finanzminister Olaf Scholz, der dringend einen Erfolg für seine Kandidatur als SPD-Parteichef benötigt, spricht von einem "großen Wurf." Und Parteifreund Matthias Miersch aus der Bundestagsfraktion hält alle Kritiker des neuen Bundesklimaschutzgesetzes für undankbar:
"Wir verpflichten diese Bundesregierung, Klimaschutzziele werden rechtsverbindlich. Wir verpflichten die Minister hier Rechenschaft abzulegen und zwar jedes Jahr. Was wollen Sie eigentlich noch?"
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, aufgenommen bei der Klausur der Grünen-Bundestagsfraktion
Göring-Eckardt: „Das Klimapaket ist Realitätsverweigerung“
Das Klimapaket der Bundesregierung sei lasch, unverbindlich und unentschieden, kritisierte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im Dlf. Es sei enttäuschend für drei Viertel der Bevölkerung, die mehr für den Klimaschutz tun wollten.
Das Klimaschutzgesetz, das inzwischen verabschiedet ist, legt erstmals konkrete Jahresziele zur Minderung von Treibhausgasen fest. Jeder so genannte Sektor – Verkehr, Bauen, Landwirtschaft – erhält ein CO2-Budget. Ein Expertenrat soll jedes Jahr feststellen, ob die Ziele erreicht wurden. Falls nicht, müssen die zuständigen Bundesministerien binnen drei Monaten Gegenmaßnahmen einleiten.
Die Handlungsfähigkeit des Expertenrats ist jedoch umstritten. Auch sind bei Missachtung der Sektorenziele keine Sanktionen vorgesehen. Stattdessen erweckt die Formulierung im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung den Eindruck, dass im Falle einer unzureichenden CO2-Minderung einfach die Ziele abgeschwächt werden. In dem Papier heißt es:
"Auf dieser Grundlage entscheidet das Klimakabinett, wie das Klimaschutzprogramm 2030 gemeinsam so angepasst wird, dass die zugrundeliegenden Ziele erreicht werden."
Ottmar Edenhofer, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der die Kanzlerin seit Jahren berät, ist enttäuscht, geradezu erzürnt über das aus seiner Sicht mutlose Vorgehen der Bundesregierung:
"Das Klimapaket ist ein großer Schritt vielleicht für die Politik gewesen, aber es entspricht nicht den Notwendigkeiten, und das Klimapaket ist auch im Großen und Ganzen sozial nicht ausgewogen."
Die Klimaziele der Europäischen Union werden so nicht erreicht, es drohen hohe Strafzahlungen an Brüssel, da ist sich Edenhofer sicher. Einen CO2-Preis einzuführen mit einem nationalen Emissionshandel sei zwar sinnvoll:
"Das sind alles positive Zeichen. Aber ich würde sagen, da wird eine Richtungsänderung angedeutet, aber richtig vollzogen ist sie noch nicht."
Kritik von vielen Seiten
Der Ökonom steht bei weitem nicht allein da. Linke, Grüne, FDP, Wissenschaftler und Umweltverbände üben scharfe Kritik an den Beschlüssen vom 20. September. Vor allem der als ineffizient geltende CO2-Preis sorgt für Ärger, er soll ab dem Jahr 2021 bei gerade einmal zehn Euro pro Tonne liegen. Der Benzinpreis würde damit um wenige Cent ansteigen und kaum ein klimaschonendes Fahrverhalten befördern.
Oliver Krischer, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag: "Wir reden über ein Klimapäckchen, das am Ende vielleicht ein Drittel des eigenen Klimaschutzziels und schon gar nicht die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht. Das hat mit ambitioniertem Klimaschutz überhaupt nichts zu tun!"
SPD-Umweltexperte Matthias Miersch kontert: "Das nervt mich wirklich. Wenn Sie hier vom Klimapäckchen reden; was haben Sie eigentlich bei Jamaika hingekriegt? Sie haben nicht einmal die Briefmarke für ein solches Päckchen hingekriegt!"
Doch klar ist: CDU, CSU und SPD haben eine offene Flanke, denn vielfach wird nach den entscheidenden Verhandlungen im Klimakabinett kolportiert, wer jeweils welche Maßnahme blockiert, entschärft oder rausverhandelt hat. So schlägt sich der ständige Krisenmodus des schwarz-roten Bündnisses in der Klimapolitik besonders nieder.
Hoffen auf die Europäer
An Hochschulen und Forschungsinstituten herrscht derweil Unruhe. Mehr als 11.000 Wissenschaftler aus 153 Ländern warnten Anfang November vor einem weltweiten "Klima-Notfall" und "vor unsäglichem menschlichen Leid." Zur gleichen Zeit hat US-Präsident Donald Trump das Pariser Klimaschutzabkommen endgültig aufgekündigt. Ein weiteres fatales Signal, so kurz vor der UN-Klimakonferenz im Dezember.
Umso mehr richten sich die Hoffnungen nun auf die Europäer: Besonders die Deutschen könnten weltweit wieder Vorbild werden, hofft die Bundesumweltministerin:
"Die Internationale Wahrnehmung für die Entscheidungen in Deutschland zum Klimaschutz ist groß", schreibt Sozialdemokratin Schulze Mitte November in einem Brief an die SPD-Bundestagsfraktion.
Die Ministerin übt sich in Zweckoptimismus. Sie denkt dabei nicht nur an Madrid, sondern auch an ihre Partei. Denn parallel zur Weltklimakonferenz hält die SPD Anfang Dezember ihren Parteitag ab und wählt zwei neue Vorsitzende. Zuvor soll Handlungsfähigkeit demonstriert werden. Ihr Ziel, die wichtigsten Klimagesetze bis Ende des Jahres zu verabschieden, wollen führende Sozialdemokraten deshalb nicht riskieren – die Koalition mit der Union wäre damit erneut in Gefahr.
"Das Weltklima ist nicht irgendwo anders"
Umweltministerin Schulze warnte am Dienstagmorgen einmal mehr vor den Folgen der Erderhitzung. Demnach ist es seit 1881 schon rund 1,5 Grad wärmer geworden in Deutschland, alleine in den vergangenen fünf Jahren um 0,3 Grad:
"Beim Klimaschutz geht es eben nicht nur um Gletscher und Eisbären, es geht auch um unsere Lebensgrundlagen hier in Deutschland. Das Weltklima ist nicht irgendwo anders, es betrifft uns alle."
Doch die gesellschaftliche Spaltung schreitet voran. Tausende Landwirte, die seit dem frühen Morgen mit ihren Treckern Richtung Berlin getuckert sind, protestieren gegen eine aus ihrer Sicht zu grüne Agrarpolitik. Unterdessen fordert die Fridays-for-Future-Bewegung mehr Klimaschutz und ruft deshalb diese Woche wieder zum weltweiten Streik auf. Beim vergangenen globalen Aktionstag Ende September gingen allein in Berlin über 200.000 Menschen auf die Straße. Am Wochenende wollen Aktivisten im Braunkohle-Revier in der Lausitz protestieren.
Ein grünes Holzkreuz steht auf einer Wiese neben einer Straße.
Protest der Landwirte - Grüne Kreuze gegen den Agrarpakt
Viele Bauern machen sich Sorgen um ihre Existenz. Das liegt unter anderem an höheren Umwelt- und Tierschutzauflagen. Ihren Ärger über die Politik zeigen sie mit Traktoren auf der Straße, in Internetblogs und mit Kreuzen auf ihren Feldern.

Zuvor kommt am Freitag der Bundesrat zu einer entscheidenden Sitzung zusammen. Die Länderkammer fordert Verbesserungen bei den finanzpolitischen Gesetzen zum Klimaschutz.
"Na klar, ich mein, die Bundesregierung fasst Beschlüsse, gibt einen Haufen Geld aus, nimmt aber auch welches ein. Wir haben auch Aufgaben und Einnahmeverluste, die daraus erwachsen, aber wir haben ja nicht die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Das geht natürlich nicht!"
Findet Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Ihm geht es vor allem ums Geld. Ausgerechnet ein Grünenpolitiker lässt damit die Gelegenheit verstreichen, schärferen Klimaschutz über den Bundesrat durchzusetzen. Kretschmann und andere Länderfürsten machen nicht etwa die Erhöhung des CO2-Preises zur Bedingung für ihre Zustimmung, sondern die Beteiligung an den Einnahmen. Die Details wird voraussichtlich der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat klären müssen.
Streit um die Abstandsregel für Windkraft
Der größte Zoff herrscht in diesen Tagen aber beim Thema Windkraft. Gemeinsam hatten CDU, CSU und SPD im September entschieden, dass künftig jedes neue Windrad mindestens 1000 Meter von der nächsten Wohnbebauung entfernt stehen muss. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärt das so:
"Es haben sich rund 1000 Bürgerinitiativen in den letzten Jahren gebildet, und der Wunsch nach Abstandsregeln, der kommt halt eben auch von Bundesländern, zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen oder aus Brandenburg."
Aber nicht aus Niedersachsen, dort übt Regierungschef Stephan Weil von der SPD scharfe Kritik:
"Wenn wir 1000 Meter Abstand überall hätten, das haben wir für Niedersachsen kalkuliert, das ist dann die geringere Fläche, bevor auch nur die erste Abwägung mit Naturschutz, Lärmschutz, Artenschutz und was wir noch für Belange haben, überhaupt ansteht, und das kann nicht funktionieren."
Dass die Ausbauflächen schrumpfen und die Windkraft damit massiv ausgebremst wird, steht sogar in einem Gutachten aus dem Hause Altmaier. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte versucht, die Veröffentlichung zu verhindern, doch ohne Erfolg.
In seltener Übereinstimmung kritisieren jetzt sowohl Industrie- als auch Umweltverbände die neuen Abstandsregeln. Sie sollen selbst bei Nachrüstungen schon bestehender Windparks gelten, beim so genannten Repowering.
Nicht mit uns, heißt es aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium. Allerdings haben die Sozialdemokraten die 1000-Meter-Regel im September mit beschlossen. Dass künftig schon fünf Häuser als Wohnsiedlung gelten sollen, wurde aber erst nachträglich in den Gesetzentwurf reingeschrieben. Deshalb gibt sich Peter Altmaier an dieser Stelle kompromissbereit.
Die AfD mobilisiert gegen Windkraft
Ansonsten aber steht die CDU seit den Landtagswahlen in Thüringen noch mehr unter Druck. Die AfD mobilisierte dort viele Wähler, indem sie den Stopp neuer Windparks plakatierte. Christdemokrat Christian von Stetten attestiert der AfD Vernunft:
"Wenn die AfD ein Problem aufgreift und hier vernünftige Argumente vorbringt, die ja die CDU in Baden-Württemberg und die CSU in Bayern schon seit vielen Jahren haben, aber eben bundesweit nicht umgesetzt werden konnte, weil wir in der Großen Koalition mit der SPD dies nicht umsetzen konnten, dann dürfen wir nicht plötzlich sagen, nur weil es die AfD jetzt aufgreift, ist es plötzlich ein schlechtes Argument."
Ein ähnlich kontroverses Thema: Die Kohle. Anfang des Jahres hatte die so genannte Kohlekommission konkrete Vorschläge für einen sozialverträglichen Kohleausstieg erarbeitet, doch bis heute hat kein Gesetzentwurf es ins Bundeskabinett geschafft. Angepeilt wird nun als nächster Termin der 3. Dezember, aber solange es keine Einigung im Streit um die Windkraft gibt und die Gespräche mit den Energiekonzernen zum Ausstieg weiter stocken, ist fraglich, ob der Termin einzuhalten ist.
Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung richtet den Blick jetzt nach Brüssel. Der Ökonom hält einen schnellen Kohleausstieg am ehesten für machbar, wenn die neue EU-Kommission sich auf einen europäischen Emissionshandel in Verbindung mit einem höheren CO2-Preis einigen würde.
"Dann würden wir in Europa, nicht nur in Deutschland sehr, sehr schnell aus der Kohle aussteigen."
Edenhofer setzt seine Hoffnungen auf die neue EU-Kommission: "Nicht nur auf Ursula von der Leyen, sondern auch auf Frans Timmermans, der dieses gesamte Portfolio Klima und Energiepolitik als Vizepräsident leiten wird. Und ich glaube, dass die neue Kommission, alles was ich aus den Gesprächen mitbekomme, sehr ambitioniert ist und ich glaube auch, dass diese neue Kommission die Kraft hat, vor allem die osteuropäischen Länder mitzunehmen."
Reiner Priggen, langjähriger Energieexperte der Grünen, der Anfang des Jahres Mitglied der Kohlekommission war, will Deutschland hingegen nicht aus der Verantwortung entlassen, erst recht nicht kurz vor der UN-Klimakonferenz:
"Wir haben dieses Jahr 44 Prozent Anteil Erneuerbare. Wind und Sonne sind so günstig geworden, das muss einfach Meter um Meter weitergehen. Und wenn diese Bundesregierung das tatsächlich nicht will, dann muss man dafür sorgen, dass es eine Neuwahl gibt, denn aufgeben und nachlassen gibt’s nicht, denn der Auftrag von Paris ist einfach zu klar."