Freitag, 19. April 2024

Archiv

Klimaschutz in Deutschland
"Wir haben eine unglaubliche Dynamik"

Industrieländer wie Deutschland müssen viel schneller aus der fossilen Energieversorgung aussteigen "als man sich das bisher vorgestellt hat", sagte Frank Schwabe im DLF. Bis in die 40er-Jahre hinein werde das hierzulande wahrscheinlich auch gelingen, so der SPD-Bundestagsabgeordnete mit dem Schwerpunkt Klimapolitik.

Frank Schwabe im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 12.12.2015
    Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD)
    Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD) (picture alliance / dpa - Britta Pedersen)
    Ann-Kathrin Büüsker: Wir haben es gerade von unserem Korrespondenten Georg Ehring gehört, in Paris laufen die Verhandlungen um ein Klimaabkommen jetzt auf Hochtouren. Wir stecken in der heißen Endphase und warten mit Spannung auf das, was am Ende dabei herauskommen wird und ob es unser Klima retten kann. Ich möchte dazu jetzt sprechen mit Frank Schwabe. Er ist im Bundestag für die SPD, und Klimapolitik ist einer seiner Schwerpunkte. Guten Tag, Herr Schwabe!
    Frank Schwabe: Guten Tag!
    Büüsker: Herr Schwabe, jetzt sind wir einfach grundsätzlich mal optimistisch und gehen davon aus, dass dieses Klimaabkommen zustande kommt, da stehen dann entweder 1,5 oder 2 Grad als Maximalziel drin, was die Erderwärmung angeht. Welche Hausaufgaben bekommt die deutsche Bundesregierung dann mit an die Hand durch dieses Abkommen?
    Schwabe: Es wird zwei Sachen geben, die wir machen müssen. Das eine ist, unsere Hausaufgaben auf europäischer Ebene zu machen. Wir haben im Moment ein europäisches 40-Prozent-Minderungsziel bis 2030, wir haben aber festgelegt, dass im Lichte eines solchen erfolgreichen Vertragsabschlusses dieses Ziel angeschärft werden soll. Das ist das eine, wo Deutschland sich stark machen muss auf europäischer Ebene, und wir müssen sehen, dass wir eben die nationalen Ziele, die wir uns gesetzt haben, minus 40 Prozent Reduktion bis 2020 – wir sind da weiter als die Europäische Union –, dass wir das konsequent umsetzen, dass wir die Maßnahmen, die dort beschlossen worden sind, auch wirklich in die Tat umsetzen.
    Büüsker: Die Umweltministerin Barbara Hendricks, die möchte im nächsten Jahr ja den Kohleausstieg bis 2035 oder 2040 angehen. Wie groß sind denn die Chancen, dass das gegen die Wirtschaftspolitik durchzusetzen ist?
    Schwabe: Ich glaube, die Vorstellung, dass es da irgendwelche fixen Daten gibt, die ist, glaube ich, falsch. Ich glaube, so versteht das auch Barbara Hendricks nicht, sondern sie will noch mal untermauern, dass mit den Beschlüssen spätestens, die jetzt in Paris getroffen werden – wir werden die sicherlich sehen –, dass damit klar ist, dass die Industriegesellschaften, und dazu gehört Deutschland, viel schneller raus müssen aus den fossilen Energieträgern, als man sich das bisher vorgestellt hat. Mein Eindruck ist aber, dass dieser Weg auch längst beschritten wird. Wir sind dabei, über 30 Prozent der Energieversorgung auf erneuerbare Energien schon basiert zu haben in Deutschland, und wir haben eine unglaubliche Dynamik. Und deswegen glaube ich, dass wir das auch erreichen werden auf dieser Strecke bis vielleicht in die 40er-Jahre, aus der Kohlekraft, aber nicht nur, aus den gesamten fossilen Energieträgern, da gehört auch Gas und Öl dazu, auszusteigen.
    "Datum eine seltsame Vorstellung"
    Büüsker: Jetzt sagen Sie, falsche Daten sind falsch, aber wir brauchen doch auch irgendwann mal Klarheit. Ich meine, selbst wenn wir 2035 wählen, ist das nicht viel zu spät?
    Schwabe: Am Ende wird es ja keinen ... Wie sollen wir das machen, sollen wir sozusagen ein Datum festlegen, wo wir dann sagen, an dem Tag schalten wir jetzt alle Kohlekraftwerke ab, also das halte ich für eine etwas seltsame Vorstellung.
    Büüsker: Na ja, aber irgendwann müssen wir mal Konsequenzen ziehen, sonst schieben wir das Problem an die nächste Generation weiter.
    Schwabe: Ja, das machen wir aber ja kontinuierlich. Wir bauen kontinuierlich die erneuerbaren Energien aus. Es ist viel rentabler in der Zukunft, erneuerbare Energien am Netz zu haben als fossile Energieträger. Wir haben den Emissionshandel auf europäischer Ebene, der muss flottgemacht werden, der wird sein Übriges tun, und dann werden wir einen automatischen Mechanismus bekommen, dass wir rausgehen aus den fossilen Energieträgern. Ich glaube nicht, dass wir da ein Datum fest fixieren müssen, wo wir sagen, an dem Tag wird jetzt alles abgeschaltet, sondern das, was wir gerade erleben, ja auch rund um Paris, ist, dass sich alle Volkswirtschaften auf der Welt daran machen, diesen Umbauprozess einzuleiten. Ich glaube, dass dieser Umbau viel schneller stattfindet, als sich das manche zurzeit noch vorstellen.
    Büüsker: Das heißt, auf der einen Seite müssen wir zwar weniger CO2 ausstoßen, auf der anderen Seite dürfen wir aber auch nicht zu schnell machen?
    Schwabe: Was heißt zu schnell? Ich glaube, wir haben einen enormen Aufwuchs, wie gesagt, im Bereich der erneuerbaren Energien. Das wird weltweit eine Dynamik annehmen, die sich manche noch nicht vorstellen können. Wir haben mittlerweile schon mehr Investitionen in erneuerbare Energien weltweit als in fossile Energieträger, und das wird sich beschleunigen, und da sind wir auf einem guten Weg. Was wir mehr, glaube ich, im Blick haben müssen, sind die Bereiche, die sich nicht im Bereich der Energieversorgung mit Klimaschutz beschäftigen – das ist der Verkehrsbereich, das ist der Landwirtschaftsbereich. Mein Eindruck ist, dass wir da nicht weit genug sind, sodass wir noch keine Vorstellung haben, wie wir eigentlich Mobilität organisieren wollen ohne den Ausstoß von CO2. Das scheint mir die zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre zu sein.
    Büüsker: Verkehrspolitik ist ein schönes Stichwort – wie passt denn der VW-Abgasskandal da in die deutsche Klimapolitik? Da hat ein Autokonzern offensichtlich manipuliert, und das fällt bei mehreren Hunderttausend Fahrzeugen ja klimatechnisch auch ins Gewicht. Warum schaut die Politik da nicht besser hin?
    "Autoindustrie zu sehr geschont"
    Schwabe: Das passt überhaupt nicht in die Klimapolitik, wobei man ja unterscheiden muss zwischen den Schadstoffen – wir reden ja vor allem über Stickoxide im Bereich bei VW –, aber natürlich ist es so in den letzten Jahren, dass die Autoindustrie aus falschem Verständnis zu sehr geschont wurde und dass man versucht hat, immer alle Augen zuzudrücken bei der Frage, wie wird eigentlich auch letztendlich gemessen. Und da brauchen wir eine ganz andere Herangehensweise. Ich bin mir sicher, dass die Autoindustrie in der Lage ist, viel bessere, effizientere Fahrzeuge zu produzieren, als sie das heute tut. Und wenn man weltweit am Ende auch erfolgreich sein will, auch ökonomisch erfolgreich sein will, dann braucht man die richtigen Anreize durch die Politik, und die müssen wir in den nächsten Jahren geben.
    Büüsker: Aber das liebste Fahrzeug der Deutschen und auch ein Verkaufsschlager bei den deutschen Autokonzernen sind die SUVs, die ja nun mal besonders viel CO2 ausstoßen.
    Schwabe: Ja, das halte ich in der Tat für eine ziemlich verheerende Entwicklung und verstehe das auch nicht, was die Leute da machen und was die Leute da kaufen, weil man ja nun wirklich SUVs in der Regel auch nicht braucht. Das ist eine problematische Entwicklung, im Moment sicherlich dadurch befördert, dass der Preis, der Spritpreis sehr gering ist, und das muss man sich angucken. Wenn wirklich der Spritpreis so niedrig bleibt über eine lange Zeit und wir eine Entwicklung immer mehr haben Richtung SUVs, glaube ich, muss man da auch noch mal gesetzgeberisch drauf reagieren.
    Büüsker: Wie kann Deutschland unter diesen Vorzeichen Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein?
    Schwabe: Deutschland muss für das Jahr 2020 – da haben wir das Ziel beschlossen und da haben wir auch Maßnahmen beschlossen –, muss daran konsequent weiterarbeiten, muss gegen alle Widerstände die Ziele und die Maßnahmen entsprechend umsetzen. Und dann geht es darum, für das Jahr 2050 einen Klimaschutzplan zu entwickeln – das machen wir gerade. Dort steht drin, dass wir 80 bis 95 Prozent Kohlendioxidausstoß reduzieren wollen bis 2050, nach den Verabredungen in Paris werden das eher sogar 95 Prozent sein, wenn man das 1,5-Grad-Ziel ernst nimmt. Und es geht vor allen Dingen darum, auch überprüfen zu können, dass das Ziel umgesetzt wird. Das ist, glaube ich, das Problem der deutschen Klimapolitik in den letzten Jahren gewesen. Die Ziele waren nicht schlecht, aber der Überprüfungsmechanismus, der hat gefehlt, und am Ende hat man eben die Ziele nicht ausreichend erreichen können. Und ich glaube, das muss sich ändern. Wir brauchen klare Überprüfungsmechanismen, die jetzt auch international verabredet worden sind.
    Büüsker: Frank Schwabe, SPD-Bundestagsabgeordneter mit dem Schwerpunkt Klimapolitik. Herr Schwabe, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.