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Klimawandel
Astronomen wollen nachhaltiger werden

Die meisten Wissenschaftler wollen die Welt verbessern und den menschlichen Horizont erweitern. Was ist aber, wenn die eigene Arbeit dazu führt, dass sich der Zustand der Erde verschlechtert? Darüber diskutieren zurzeit Hunderte Astronomen weltweit.

Von Karl Urban | 20.10.2020
Das Foto zeigt die aufgehende Sonne über Südamerika vom Weltraum aus.
Astronomen diskutieren über den Klimaeffekt ihrer Arbeit (imago / Ian Cuming)
Mitte September wurde es brenzlig für das Mount Wilson Observatory. Einige Meter hoch loderten die Flammen an dem astronomischen Observatorium nördlich von Los Angeles. In Berichten von CBS ist zu sehen, wie Feuerwehrleute verbissen um die sechs Teleskope kämpfen, mit deren Hilfe Edwin Hubble vor knapp 100 Jahren nachwies: Das Universum expandiert. Doch Waldbrände, die ihre Messgeräte gefährden, sind längst nicht der einzige Grund, warum Astronomen derzeit ihre Rolle in der Klimakrise hinterfragen.
"Wir als Disziplin sind sehr von unserer Atmosphäre abhängig. Wir gucken nach oben, wir gucken raus. Wir verbrauchen viel Strom bei Simulationen."
Teleskope müssen heute schon für einen klaren Blick gekühlt werden
Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg ist einer von 500 Astronomen weltweit, die erkannt haben, dass der Klimawandel auch ihren Blick in den Himmel trübt. Das gilt etwa für das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte. Es wurde in der Atacamawüste in Chile errichtet, wegen der kühlen und trockenen Luft dort. Tagsüber wird das Teleskop schon heute gekühlt, um in der folgenden Nacht scharfe Bilder liefern zu können. Das eingebaute Kühlsystem dürfte allerdings zunehmend an seine Grenzen geraten, berechnete die Umweltphysikerin Kira Rehfeld von der Universität Heidelberg.
"Es wird schwieriger, immer diese konstanten Temperaturen zu erreichen, einfach weil das derzeitige Kühlsystem auf maximal 16 Grad eingestellt werden kann. Das heißt, wenn die Temperatur höher ist als 16 Grad, dann ist es nicht möglich, die Temperatur tagsüber konstant zu halten, was dann bedeutet, dass es mit der nächsten Nacht bei der Öffnung des Teleskops einen Unterschied gibt zwischen der Luft, die im Observatorium ist und der, die drum herum ist."
Folgen des Klimawandels werden bei der Planung von Observatorien nicht berücksichtigt
Die Folge sind Verwirbelungen, die den Blick des Teleskops trüben. Kira Rehfelds Forschergruppe aus Astronomen und Umweltphysikern sagt voraus, dass etwa die gestochen scharfen Aufnahmen von besonders großen Exoplaneten, die das Very Large Telescope heute noch liefert, in Zukunft immer seltener möglich sein dürften. Hinzu kommt, dass die Folgen einer immer wärmeren Atmosphäre bislang kaum bei der Planung von Observatorien berücksichtigt werden.
Neue Sachbücher über den Klimawandel - Cool bleiben: Rezepte gegen die Klimakrise Durch die Corona-Pandemie ist der Klimawandel, eines der drängendsten Probleme der Menschheit, in den Hintergrund gerückt. Der Kampf dagegen zählt zu den größten Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Neue Sachbücher analysieren, welche Lösungsstrategien Erfolg versprechen.
"Mein Eindruck ist, dass das nicht wirklich auf dem Schirm war. Insbesondere auch die Größenordnung der Temperaturänderungen hat doch einige überrascht, wenn nicht gar geschockt."
Es sind keine unlösbaren Probleme: Künftige Teleskope könnten auf höhere Berge verlegt oder vermehrt ins All geschossen werden. Doch die Astronomen fragen sich, wie sie ferne Sterne und erdähnliche Planeten erforschen können und gleichzeitig mit ihrem eigenen Handeln die Klimakrise anheizen. Victoria Grinberg, die an der Universität Tübingen Schwarze Löcher erforscht, wurde 2019 auf einer Tagung wachgerüttelt.
Erforschung ferner Sterne heizt die Klimakrise an
"Da saßen wir in Lyon bei plus 40 Grad, um 8 Uhr abends, und haben uns Gedanken gemacht: Sind wir mit schuld an diesem Problem jetzt?"
Zurück zuhause verglich Grinberg mit mehreren Kollegen die Klimafolgen zweier Fachkonferenzen: jener im viel zu heißen Lyon im Jahr 2019 mit der Nachfolgetagung, die wegen der Corona-Pandemie nur online stattfand. Das Ergebnis: Durch den Stromverbrauch von Streamingservern und Laptops entstand dieses Jahr gerade mal ein Tausendstel der CO2-Emissionen des realen Treffens von 2019.
Jede Publikation verursacht 4,6 Tonnen CO2
Knud Jahnke berechnete den CO2-Ausstoß des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg, an dem er angestellt ist: Von genutzten Supercomputern, über Fernreisen bis zum Fleischkonsum in der Kantine. Das Ergebnis: Jede der 583 wissenschaftlichen Publikationen, die er und seine Kollegen jedes Jahr veröffentlichen, verursacht durchschnittlich 4,6 Tonnen CO2. Das entspricht den Pro-Kopf-Emissionen eines Flugs nach Australien und zurück für jede einzelne Publikation.
"Eigentlich müsste man das für die gesamte Astronomie machen und mal gucken: Was steckt eigentlich hinter so einem Artikel? War das das jetzt wert? Ist auch vielleicht eine Frage, die man in der Zukunft irgendwann für manche Sachen stellen muss."
Astronomen wollen auch andere Disziplinen für die Klimaeffekte ihre Arbeit sensibilisieren
Derzeit diskutieren die Astronomen, ob sie die nächsten Tagungen nach der Pandemie wirklich physisch abhalten müssen – und wie sie dank ihrer kosmischen Perspektive auch andere Disziplinen sensibilisieren könnten, mehr auf die Klimaeffekte ihrer Arbeit zu achten.
"Es wird ja öfters darüber gesprochen, dass AstronomInnen bitte die zweite Erde finden sollen, damit wir alle dahin auswandern können, wenn wir unsere Erde kaputt gemacht haben. Und das ist einfach total unrealistisch. Und den Menschen zu vermitteln, dass das unrealistisch ist, das können wir auch."