Donnerstag, 25. April 2024

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Klimawandel auf dem Tisch
Sojabulette statt Sonntagsbraten

Eine fleischarme Ernährung kann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Politik tut sich bislang allerdings schwer damit, entsprechend einzugreifen. Verbraucherinnen und Verbraucher sind offenbar weiter: Der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch ist 2020 so tief gesunken wie noch nie seit Berechnungsbeginn 1989.

Von Mathias von Lieben | 12.09.2021
From above vegan beetroot burger placed on cutting board on shabby table of cafe
Fleisch-Ersatzprodukte werden immer beliebter (Zoonar.com/Daniel Dash)
Werner Muggenthaler steht in einem weißen Kittel hinter der Verkaufstheke seiner Metzgerei. Es riecht nach frisch gebratenem Schnitzel und gut gewürztem Leberkäse. Seit eine Verkäuferin seinen Betrieb in der Gemeinde Tegernheim im östlichen Landkreis der bayerischen Stadt Regensburg kürzlich verlassen hat, muss der Chef seine Wurst- und Fleischwaren wieder häufiger selbst verkaufen.
Zu seinem Angebot gehören seit einigen Jahren allerdings auch vegetarische Produkte: "Das Käseangebot, so 40 bis 50 Sorten Käse. Wir haben verschiedenste Frischsalate. Ob das jetzt vom Karottensalat, vom Gurkensalat, Kartoffelsalat, die wollen alle fleischlos gemacht werden. Wir haben vegetarische Spieße hier, Gemüsespieße. Weil, wenn zu uns mal jemand kommt und kauft für zehn Personen Grillfleisch und sagt, da ist ein Vegetarier dabei. Habt ihr für den auch etwas? Natürlich können wir den auch gerne mitversorgen."
Aufschrift auf Heckscheibe For Christmas, Consume less, live more
Klima und Konsum: Die Macht und Ohnmacht der Verbraucher
Nahezu alle Wissenschaftler sind sich einig, dass die Klimakrise von uns Menschen verursacht wird. Um etwas zu verändern, müssen wir anders wirtschaften. Und gerade Konsumenten in den Industrieländern können dazu einen Beitrag leisten, indem sie ihren CO2-Fußabdruck verringen – leicht wird das nicht.
Muggenthaler hat sich damit einer rasanten Entwicklung angepasst: Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Vegetarier in Deutschland laut Ernährungsreport des Landwirtschaftsministeriums von fünf auf zehn Prozent verdoppelt. Auch der Anteil der Menschen, die sich vegan ernähren, stieg von einem auf jetzt zwei Prozent. Und zu den Flexitariern, also Menschen, die gelegentlich bewusst auf Fleisch verzichten, zählt sich laut der repräsentativen Studie bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Die Folgen dieser Entwicklung spürt Metzgermeister Muggenthaler auch in seinem Betrieb: "Es wird nicht mehr so viel Fleisch gegessen wie früher. Früher, vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren, da kam die Kundschaft noch rein und hat noch zwei, drei Kilo Fleisch mitgenommen. Die Zeiten sind vorbei."

Deutsche essen weniger Fleisch

Tatsächlich ist der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch in Deutschland im vergangenen Jahr auf ein Jahrzehnte-Tief gesunken: Laut der Versorgungsbilanz Fleisch des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft war er 2020 mit 57,3 Kilogramm so niedrig wie noch nie seit Beginn der Berechnung im Jahr 1989. Damals lag er noch bei rund 65 Kilogramm.
"Es wird bewusster eingekauft. Das Fleisch, was ich einkaufe, muss ein gutes Stück Fleisch sein." Muggenthaler setzt angesichts dieser veränderten Nachfrage fast nur noch auf regionales Fleisch und Nischenprodukte wie besonders lange abgehangenes Rindfleisch. Im Gegensatz zu vielen anderen Metzgerei-Betrieben, die in den vergangenen Jahren schließen mussten, hat er mit dieser Strategie bislang Erfolg. Doch angesichts zunehmender Debatten über mehr Tierwohl und die negativen Auswirkungen der gesamten Fleischproduktion auf das Klima, stellt sich drängender denn je die Frage: Wie lange noch? Muss die Lösung nicht zwangsläufig weniger Fleischkonsum und weniger Fleischproduktion heißen?
Bratwürste liegen auf einem Grill  
Die junge Generation hat immer weniger Lust auf Fleisch
Die deutschen Schlachthöfe sind weiterhin gut ausgelastet. Immerhin wird ein Gutteil des Fleischs exportiert. Und im Ausland wächst die Lust auf Fleisch weiter. In Deutschland sieht es anders aus.
"Sicherlich kann das einen Teil dazu beitragen. Aber das allein kann es nicht sein." Dass vieles gerade beim Klimaschutz parallel geschehen muss, um die Klimaziele zu erreichen, davon ist auch Hermann Lotze-Campen überzeugt, Agrarökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel an der Humboldt-Universität Berlin. Doch mit Verweis auf die internationale EAT-Lancet-Kommission, die für eine gesunde und nachhaltige Ernährung höchstens 15 Kilogramm Fleisch pro Person und Jahr empfiehlt, sagt er auch: Die drastische Reduktion des Fleischkonsums hätte eine besonders starke Wirkung.
"Für eine global gesunde und umweltfreundliche Ernährung kann man ungefähr sagen, dass der Konsum von tierischen Produkten in den reicheren Ländern, also Europa, USA etc., um 80 Prozent reduziert werden sollte. Also 80 Prozent weniger Fleisch, Milc h-Produkte, als wir tatsächlich im Augenblick verzehren."

Die Tierhaltung und das Klima

In Deutschland kommen mehr als zwölf Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen aus der landwirtschaftlichen Produktion – und allein 70 Prozent davon hingen mit der Tierhaltung und -produktion zusammen, erklärt Lotze-Campen. Bis das Fleisch also auf dem Teller landet, hat es bereits eine folgenreiche Klimabilanz erreicht. Global betrachtet trägt die Tierhaltung laut einem Uno-Bericht sogar mit knapp 15 Prozent zu den menschengemachten Klimagasen bei – und damit mehr als der gesamte Verkehrssektor.
"Zum einen sind das natürlich die Wiederkäuer, die Kühe, Schafe, Ziegen, die Methan ausstoßen durch den speziellen Verdauungstrakt, den Pansen. Dann ist es, was man Wirtschaftsdünger-Lagerung nennt, also Gülle und Mistlagerung. Dabei wird Lachgas frei. Und dann muss man eben sehen, dass ein großer Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche, der Ackerfläche ja für Futtermittel verwendet wird. Und auf den Ackerflächen wird eben auch Lachgas durch die Düngung freigesetzt."
Kornblumen vor einem Acker
Naturschutz und Landwirtschaft - Mehr Geld für ökologischen Umbau
Umweltschützer und konventionelle Landwirte stehen sich oft kritisch gegenüber: Die einen wünschen sich mehr Rücksicht auf die Natur, die anderen mehr Anerkennung für ihre gesellschaftliche Leistung.
Lachgas ist sogar um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2. Hinzu kommt: Mehr als zwei Drittel der weltweiten, landwirtschaftlichen Nutzfläche dienen mittlerweile der Fleischproduktion. Am Ende, sagt Agrarexperte Lotze-Campen, gehe es daher vor allem darum, die Zahl der Tiere in der Landwirtschaft zu reduzieren. "Darüber hinaus ist dafür eine massive Umstellung auf pflanzenbasierte Nahrungsmittel notwendig."
Genau dieser Ernährungswandel hat im Kleinen bereits begonnen – auch weil immer mehr Alternativen auf den Markt kommen, die Verbrauchern und Verbraucherinnen eine fleischlose Ernährung schmackhaft machen. Die Produktion von pflanzlichen Fleischersatzprodukten ist in Deutschland im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt insgesamt um fast 40 Prozent gewachsen. Immer mehr Menschen entscheiden sich regelmäßig für Tofu-Schnitzel, Seitan-Hackfleisch oder Linsen-Bratlinge.

Der Fleischersatz aus dem Labor

Im Fraunhofer-Institut in Freising bei München steht Lebensmitteltechnologin Anna Martin vor einer rund drei Meter breiten Maschine. Hier im Labor entstehen aus pulvrigen, pflanzlichen Rohstoffen wie Quinoa, Lupinen oder Ackerbohnen die Zutaten für den Fleischersatz. "Das, was rauskommt, nennt sich Texturat. Man kann das natürlich noch weiterverarbeiten. Also wenn Sie das verkleinern, zum Beispiel wieder mit Wasser versetzen und neu formen, dann können Sie Dinge wie Burger-Pattys draus machen, andere geformte Produkte wie Nuggets."
Aber auch pflanzenbasierten Gyros, Hähnchenschnitzel oder Cevapcici. Das Ziel immer: Ein pflanzliches Produkt herzustellen, das Fleisch in Geschmack und Textur bestmöglich imitiert. Martin und ihre Kolleginnen haben die Produktpalette in den vergangenen Jahren stetig erweitert. Vor allem wegen des großen Interesses der Lebensmittelindustrie, für die sie Zutaten, Rezeptur und Verfahren entwickeln.
"Also ich habe das Gefühl, dass zum einen die Quantität der Anfragen extrem gestiegen ist. Ich habe auch das Gefühl, dass teilweise Industrien, die sich in den letzten Jahrzehnten eher nicht mit pflanzlichen Produkten beschäftigt haben, jetzt auch dazu übergehen diesen Geschäftsbereich für sich, ja, einzuvernehmen und dementsprechend auch Produktentwicklungen anstoßen."
Beschriftete Ampel in Berlin zeigt GO vegan
Weniger Konsum als Antwort auf die Klimafrage?
Wer in der Politik zu Verzicht rät, wird von den Gegnern sofort denunziert. Dabei ist ökonomisch ziemlich klar: Mit besserer Technik allein wird die Klimakrise sehr wahrscheinlich nicht zu bewältigen sein. Deshalb wird wohl der Konsum schrumpfen müssen.
Bereits jetzt ist dadurch ein Markt entstanden, in dem sehr viel Geld verdient werden kann. Im Vergleich zu 2019 ist der Umsatz mit den pflanzlichen Fleischersatzprodukten im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt allein in Deutschland von 273 Millionen auf knapp 375 Millionen Euro gestiegen - ein Plus von fast 40 Prozent. Auch deshalb investieren rund um den Globus längst auch führende, nicht immer unumstrittene Lebensmittelriesen in die Branche. In Deutschland macht selbst ein traditioneller Wurstfabrikant mittlerweile mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Alternativen als mit Fleischwaren – obwohl die Produkte zurzeit noch sehr teuer sind.
Das hat laut Lebensmitteltechnologin Anna Martin aber neben reinem Profitstreben einen weiteren Grund: "Weiterhin ist es ja so, dass global im Moment viele Pflanzenproteine in die Tierernährung fließen, was natürlich global gesehen wiederum den Preis für diese Pflanzenzutaten extrem in die Höhe treibt. Das heißt, würden wir nicht dauernd den Umweg vom Pflanzenprotein übers Tier zum Mensch gehen, könnten wir uns diese Kosten schon mal sparen."

Fleischalternativen noch eine kleine Nische

Soja zum Beispiel ist in der intensiven Tierhaltung einer der wichtigsten proteinliefernden Bestandteile des Futters. 90 Prozent der globalen Sojaernte landen mittlerweile in Futtertrögen und eben nicht als nahrhaftes Lebensmittel im menschlichen Magen - nicht nur mit Blick auf die wachsende, zu ernährende Weltbevölkerung ein Problem. Zwar sind die Fleischalternativen mit 84.000 produzierten Tonnen aktuell noch eine kleine Nische auf dem deutschen Markt. Doch Branchenbeobachter gehen davon aus, dass es in den kommenden Jahren immer mehr Fleischersatz geben wird: neben den pflanzenbasierten Produkten auch sogenanntes In-Vitro-Fleisch, also Fleisch aus dem Labor, hergestellt im Bioreaktor.
Lebensmitteltechnologin Anna Martin: "Ich glaube, dass wir jetzt in so einer Art Transitzone sind, dass wir viele Flexitarier davon überzeugen müssen, mit ganz tollen Produkten, die das Fleisch perfekt imitieren, jetzt anzufangen sozusagen diese Produkte vermehrt zu konsumieren. Damit dann der nächste Schritt folgen kann, nämlich, dass wir uns lösen von diesem Imitat und ganz neue Produktkategorien überhaupt mal erfinden."
Ein Schild mit der Aufschrift "There is no Planet B" - im Hintergund der blaue Himmel
IPCC: Gegenwärtige Landnutzung beschleunigt die Erderwärmung
Hitzewellen, Dürren und Starkniederschläge: Wenn der Klimawandel weiter voranschreitet, könnte es bald schwierig werden, die Menschheit mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Auch wenn Ernährungsmediziner die sehr langen Zutatenlisten mit Fetten, Aromastoffen und Zucker und die industrielle Verarbeitung vieler Alternativprodukte durchaus kritisch bewerten: Dem Klima wäre mit mehr pflanzenbasierter Ernährung trotzdem geholfen. Laut einer Studie des Umweltbundesamts verursachen Fleischalternativen im Vergleich zu Rindfleisch nicht nur bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgase in der Produktion, sondern schneiden auch mit Blick auf Energiebilanz sowie Wasser- und Landverbrauch deutlich besser ab. Auch wenn unbestritten ist, dass mit Nutztieren bewirtschaftete Weiden ebenfalls wichtige CO2-Speicher sein können.
Der gesellschaftliche Bewusstseinswandel habe bereits begonnen, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament und selbst Bio-Landwirt. Das würden auch die weiterhin zunehmenden Absatzzahlen von Bio-Produkten beweisen, zu denen die Menschen nicht nur wegen der negativen Auswirkungen der globalen Tierproduktion auf das Klima griffen: "Ich glaube das hat viel damit zu tun, dass die Leute, wenn sie mal Videoaufnahmen aus konventionellen Massentier-Ställen sehen, dass ihnen wirklich der Appetit vergeht, wenn sie in Schweineställe schauen oder in Hühnerställe. Und dass sie nicht mehr darauf hoffen, dass sich politisch etwas ändert, dass also über Tierwohllabel oder andere Haltungsformen sich im Grunde genommen sich kurzfristig da was ändert. Ich glaube die Menschen ziehen einfach die Konsequenzen und sagen: Dann entscheiden wir zu Hause am Teller, dass wir einen anderen Weg gehen."
Das Problem: Viele inhaltliche Vorschläge und Initiativen, sagt Häusling, würden häufig vorschnell diskreditiert. Er spricht aus eigener Erfahrung: "Ja wir alle erinnern uns ja noch an die Diskussion um einen Veggie-Day. Damit macht man sich in Deutschland nicht beliebt, wenn man den Leuten Vorschriften machen will. An Lösungsansätzen mangelt es uns nicht. Es mangelt an der politischen Bereitschaft auch schwierige Themen anzugehen, vielleicht auch teilweise unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen und das dann am Ende auch durchzusetzen."

Forderung nach Systemwandel

Dabei böten sich der Politik einige Möglichkeiten, um Verbraucherinnen und Verbraucher und auch Landwirte darin zu unterstützen, sich sowohl tier- als auch klimafreundlicher zu verhalten. Zumal auch die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft in ihrem Abschlussbericht Ende Juni nichts weniger als einen Systemwandel gefordert hatte: Weniger intensive Landwirtschaft und Massentierhaltung, dafür mehr Tierwohl in einer insgesamt umweltverträglicheren Tierhaltung.
Ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, wäre laut Martin Häusling zum Beispiel eine Anpassung der Steuersätze: "Warum gehen wir nicht sozusagen in die Richtung und sagen, okay, konventionelle Produkte, Schweine- und Hühnerhaltung, die werden teurer und ökologische Produkte werden billiger, indem wir die Mehrwertsteuersätze anpassen. Das wäre eine Möglichkeit, also mit Steuern steuern, wie man so schön sagt, wäre es natürlich auch eine Möglichkeit, an dem System etwas zu ändern."
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am 20.10.2020 im Rahmen EU-Agrarrats in Luxemburg
Bundeslandwirtschaftsministerin: EU-Agrarreform "alles andere als ein Weiter so"
Im Kompromiss des EU-Ministerrats für eine Agrarreform sieht Julia Klöckner (CDU) einen Systemwechsel. 20 Prozent der Direktzahlungen sollen für Öko-Regelungen ausgegeben werden.
Die derzeitige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, ebenfalls CDU, hat diesen Vorschlag allerdings nicht umgesetzt, obwohl eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten sie dazu aufgefordert hatte. "Da gibt es aber noch keinen Konsens, weder in der Kommission noch insgesamt gesellschaftspolitisch", begründet Lorenz Franken das Zögern, Leiter der Abteilung Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Ernährung und Produktsicherheit im Landwirtschaftsministerium:
"Und darüber wird deswegen noch weiter diskutiert werden müssen. Denn das ist eine solche Grundfrage, eine solche Systemfrage, dass die auch möglichst parteiübergreifend und möglichst eben auch auch wahlperiodenübergreifend verantwortet werden sollte."
Ebenso wenig wie die Tierwohlabgabe wurde bisher ein staatliches Tierwohllabel eingeführt – obwohl das eigentlich ein Prestigeprojekt der Landwirtschaftsministerin in dieser Legislaturperiode werden sollte. Im September 2019 hatte der Bundestag bereits die Einführung eines solchen Gütesiegels beschlossen. Doch während die SPD das Label verpflichtend machen wollte, setzten die Union und Agrarministerin Klöckner in ihrem Gesetzentwurf auf Freiwilligkeit.
Die Konsequenz: das Label gibt es bis heute nicht. Grünen-Politiker Häusling: "Und dann kommt Aldi ja um die Ecke und andere Großhändler und sagen: Ja, wir machen das jetzt, wir führen jetzt diese freiwilligen Label ein. Das ist eigentlich eine Kapitulation der Politik vor dem Handel."

Was die Handelsketten versprechen

Tatsächlich hatten sich bereits 2019 mehrere Handelsketten darauf verständigt, ein eigenes Label mit vier verschiedenen Haltungsstufen einzuführen. In diesem Sommer hat der Discounter Aldi angekündigt, bis 2030 nur noch Frischfleisch aus Ställen der höchsten beiden Haltungsformen verkaufen zu wollen.
Nicht nur beim Tierwohl verläuft die Arbeit der Bundesregierung aus Sicht von Teilen der Opposition sowie Umwelt- und Tierschutzverbänden schleppend, sondern auch im Bereich der Ökologie - obwohl es durchaus politisch wirksame Hebel für einen klimafreundlicheren Umbau der Landwirtschaft gebe, sagt Agrarökonom Hermann Lotze-Campen. Zum Beispiel über die CO2-Bepreisung im kürzlich verschärften Klimaschutzgesetz.
Diese sei bisher auf die Sektoren Verkehr und Gebäude begrenzt – und könnte auf die Landwirtschaft ausgedehnt werden: "Das würde dann dazu führen, dass pflanzliche Rohprodukte preislich attraktiver werden als tierische Rohprodukte. Und das hätte natürlich Effekte."
Einen konkreten Vorschlag dafür hatte zuletzt das Thünen-Institut, die Ressortforschung des Landwirtschaftsministeriums, erarbeitet: Bekämen die Methan-Emissionen bei der Wiederkäuerhaltung einen Preis, so würden die Emissionen zurückgehen und die Preise für Rindfleischprodukte steigen – der Verbrauch dürfte in der Konsequenz sinken. Eine noch größere Wirkung hätte jedoch ein Schritt, für den sich neben der Zukunftskommission Landwirtschaft auch SPD, Grüne und Linke in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl aussprechen. Und zwar, dass die kürzlich auf EU-Ebene beschlossene Agrarförderung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik grundlegend umgestellt wird – und mehr als die nun vereinbarten 25 Prozent der Agrarsubventionen an ökologische Vorgaben gekoppelt werden müssten.

"Also bis jetzt war das Fördersystem ja so, dass wir Bauern deshalb unterstützen, weil sie Hektar besitzen", sagt Grünen-Politiker Martin Häusling: "Öffentliches Geld für öffentliche Leistung heißt für mich auch, dass wir Bauern dabei unterstützen, bessere Ställe zu bauen. Bis jetzt macht sich die Gesellschaft ja einen schlanken Fuß nach dem Motto: Okay Bauern, macht das mal besser, produziert mal tierfreundlicher. Man ist aber dann nicht bereit mehr zu zahlen."
Der Deutsche Bauernverband wollte sich zum Umbau der Landwirtschaft nicht äußern: aus zeitlichen Gründen, wie es auf Deutschlandfunk-Anfrage hin hieß. So recht daran glauben, dass sich kurzfristig etwas an dem grundlegenden System auf EU-Ebene ändert, will Grünen-Agrarpolitiker Häusling allerdings nicht.
"Im Grunde genommen hat man es in Brüssel mit einer großen auch Geldverteilungsmaschine zu tun. Und jeder Agrarminister geht nach Hause und misst seinen Erfolg daran, dass er genauso viel Geld bekommt aus Brüssel wie in der letzten Förderperiode oder vielleicht sogar noch ein bisschen mehr und politische Inhalte werden nicht hinterfragt und man stellt die Bauern, man stellt die Lobby damit ruhig, dass man ihnen Subventionen verteilt, ohne etwas am System zu ändern. Nur damit kommen wir auch langsam auch ans Ende." Für die nächste Bundesregierung heißt das: Wer die Klimaziele erreichen will, muss auch etwas tun für den Wandel in Landwirtschaft und Ernährung.
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Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)