Dienstag, 19. März 2024

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Klimawandel gefährdet Brutvögel
Ornithologin: Erhöhtes Sterberisiko für Küken

Viele Vogelarten brüten wegen der Erderwärmung früher im Jahr und riskieren damit den Hungertod ihres Nachwuchses: Instabile Wetterlagen erhöhen die Sterblichkeit bei den Küken, erklärte Ornithologin Andrea Flack im Dlf. "Da kann es dann schon sein, dass nur noch ein Küken pro Nest das Jahr überlebt."

Andrea Flack im Gespräch mit Lennart Pyritz | 29.09.2020
Ein Distelfink (Stieglitz) sitzt bei seinen Jungtieren im Nest
Viele Küken, die wegen des Klimawandels zu früh ausgebrütet werden, sterben, weil es nicht genug Nahrung während eines Kälteeinbruchs gibt. (picture alliance/imageBROKER/Marko König)
Durch den Klimawandel wird es im Frühling früher warm. Das hat auch Auswirkungen auf Vögel. Viele stellen ihren Lebensrhythmus um und brechen zum Beispiel früher aus ihren Winterquartieren auf oder brüten früher im Jahr. Das hat allerdings massive Auswirkungen auf die Tiere und vor allem ihren Nachwuchs, wie ein Forschungsteam im Fachjournal PNAS beschreibt. Die Studie zeigt, dass Vögel, die früher anfangen zu brüten, das Leben ihrer Küken aufs Spiel setzen. Denn nur weil es warm ist, bedeutet das nicht, dass es auch genug Nahrung gibt. An der Studie beteiligt war Andrea Flack vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell.

Das Interview im Wortlaut:
Lennart Pyritz: Auf welche Weisen passen Vögel ihren Lebenszyklus an den Klimawandel an?
Andrea Flack: Wir beobachten bei vielen Vogelarten, insbesondere den Zugvögeln, die große Entfernungen zurücklegen, dass die oftmals früher zurückkehren und damit auch früher brüten. Wir sehen aber auch manchmal, dass sie ihren Brutzeitraum verlängern, dass sie im Herbst später zurückfliegen. Und was auch häufig zu beobachten ist, dass die Zugvögel nicht mehr so weit fliegen, dass die ihr Winterhabitat Richtung Norden schieben und damit die Distanzen sich verkleinern. Dadurch haben die Vögel oftmals einen längeren Zeitraum, in dem sie brüten können, die Arten, die mehrere Bruten im Jahr haben, die versuchen das dann auch häufiger. Dadurch wandelt sich ihr ganzer Brutzeitraum sehr schon um.
Lennart Pyritz: Sie haben jetzt in der aktuellen Studie ein konkretes Beispiel untersucht, bei Sumpfschwalben, das ist eine Art, die in Nordamerika brütet und in Zentralamerika überwintert. Und zwar haben Sie Daten aus 30 Jahren genutzt, um zu verstehen, wie der Klimawandel bei dieser Spezies das Timing der Fortpflanzung beeinflusst hat. Was ist dabei rausgekommen?
Flack: Wir haben rausgefunden, dass die Sumpfschwalben im Jahr früher brüten, insbesondere in den Jahren, in denen der Frühling früher anfängt. Das heißt, die Altvögel legen früher Eier. Es ist aber nun so, dass das Risiko, dass es dann noch mal kalt wird, über die letzten 100 Jahre sich nicht wirklich verändert hat, das heißt, dass die Altvögel wirklich darauf hoffen, dass, wenn die ihre Eier legen und die Küken dann drei Woche später schlüpfen, dass das Wetter sich hält, dass es warm bleibt, damit sie dann ihre Küken großziehen.
Erhöhte Sterberate von Küken
Pyritz: Was bedeutet das denn, wenn es jetzt noch einen Kälteeinbruch gibt, für die Küken? Heißt das automatisch, dass die Brut verloren ist für das Jahr?
Flack: Nicht unbedingt, aber auf jeden Fall erhöht sich die Sterberate von den Küken schon. Der Haupteffekt, den man sieht, ist, dass die Insektenvielfalt - also, es gibt weniger Insekten an diesen Tagen, an denen es kalt wird. Und wenn die Tagestemperatur von 18,5 auf 15,5 Grad sinkt, dann sind plötzlich nur noch halb so viele Insekten in der Luft – und das wirkt sich auf die Sterblichkeit von den Küken sehr deutlich aus. Da kann es dann schon sein, dass anstatt über drei vielleicht nur noch ein Küken pro Nest das Jahr überlebt.
Projekt Icarus - Wenn die Amsel Daten ins All schickt
Im Projekt "Icarus" wollen Forscher mit Miniatursendern das Verhalten von Tieren weltweit beobachten und dabei auch Erkenntnisse über den Zustand der Erde gewinnen. Die Daten der Tiere werden zur Internationalen Raumstation ISS übertragen und dann an eine Bodenstation gesendet. Den Anfang macht die Amsel.
Pyritz: Also eine Veränderung des Brutverhaltens, der Brutsaison durch den Klimawandel, das birgt ein besonderes Risiko für Vogelarten, die sich von Insekten ernähren?
Flack: Genau, das sind auch tatsächlich nicht nur die Vogelarten, die sich hauptsächlich von Insekten ernähren, sondern es ist so, dass viele Singvögel insbesondere auch ihre Küken, auch wenn die sich normalerweise von Samen und Früchten ernähren, dass die ihre Küken mit Insekten füttern, weil sie halt eine gute Proteinquelle sind. Und dadurch ist es halt insbesondere für die Aufzucht von den Jungen für die Singvögel katastrophal, wenn dann so ein Kälteeinbruch kommt und dann plötzlich keine Nahrung mehr vorhanden ist.
Zahl der Singvögel nimmt ab
Pyritz: Gibt es denn schon Zahlen, die zeigen, dass solche Arten tatsächlich stärker unter dem Klimawandel leiden, dass die Zahlen da zum Beispiel abnehmen?
Flack: Man sieht schon deutlich, dass die Singvögel aufgrund von solchen Veränderungen ihres Lebenszyklus abnehmen. Gerade im letzten Monat gab es ein Ereignis im Südwesten von den Vereinigten Staaten, bei dem wirklich Zehntausende von insektenfressenden Vögeln einfach tot am Boden gefunden wurden. Und auch da wird davon ausgegangen, dass das eventuell mit der Nahrungsverfügbarkeit für die Vögel zu tun hat und dass auch dort viele von den Tieren einfach gestorben sind, weil es nicht genug Insekten während so einem Kälteeinbruch gab.
Pyritz: Zum Einstieg des Gesprächs sind wir schon kurz darauf eingegangen, wie der Klimawandel Verhaltensweisen bei Vögeln beeinflusst. Schadet der Klimawandel Vögeln eigentlich grundsätzlich oder gibt es auch Fälle, bestimmte Verhaltensweisen, in denen Arten tatsächlich vom Klimawandel profitieren?
Flack: Das ist natürlich ohne Langzeitstudien immer schwer zu sagen. Wir sehen natürlich, dass manche Arten wie schon gesagt, nicht mehr so weit fliegen müssen oder dass sie durch die wärmeren Winter in Regionen fliegen können, wo sie vorher nicht hinfliegen konnten, weil es plötzlich dort nicht mehr so kalt ist oder beziehungsweise auch Nahrung zur Verfügung steht. Aber die langfristigen Folgen erkennen wir immer erst nach Studien, die über 30, 40, 50 Jahre gehen, weil sich dann natürlich die ganzen Ökosysteme auch verändern. Wie man hier in unserer Studie sieht, ist es dann so, dass zum Beispiel die Vögel schon früher anfangen zu brüten, was ja eigentlich gut ist, aber dass eben dann solche negativen Folgen wie diese Kälteeinbrüche, um die kommen sie nicht drum herum und haben dann negative Folgen. Wir sehen auch, dass sich dann, wenn zum Beispiel Vögel in Gegenden fliegen, wo sie vorher nicht hingeflogen sind, dann verändert sich der Wettbewerb zwischen verschiedenen Arten, so stehen plötzlich Arten miteinander im Wettbewerb, die sich vorher vielleicht gar nicht getroffen haben. Also, die langfristigen Auswirkungen von solchen kurzfristigen Veränderungen sind immer schwer vorherzusagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.