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Klimawandel
Grönland schmilzt

Grönland taut und das laut Experten sehr schnell. Zwar sind noch 85 Prozent der Landesflächen ganzjährig vereist, im Süden gedeihen aber inzwischen Kartoffeln und Salat.

Von Ralf Geissler | 30.12.2015
    Eine Kette von Eisbergen im grönländischen Thule.
    Eine Kette von Eisbergen im grönländischen Thule. (imago stock&people)
    Man muss sich Anders Laursen wie einen typischen Aussteiger vorstellen. Der Däne hat seinen Job gekündigt, ist nach Grönland gezogen und fährt nun Wasser-Taxi. Er zeigt Touristen den Fjord vor Ilulissat, eines der größten Naturwunder der Welt. Haushohe Eisberge gleiten auf dem Fjord zum Atlantik. Sie schimmern hellblau auf dem tiefdunklen Wasser. Doch die Idylle trügt, sagt Laursen:
    "Die Eisberge auf dem Fjord werden seit Jahren immer kleiner. Meiner Meinung nach ist das ein Zeichen für die Klimaerwärmung. Wir haben eine Fernsehwerbung für den Eisfjord. Und die Stimme im Fernsehen sagt: Sieh es Dir an, bevor es weggeschmolzen ist. Also: Jetzt oder nie."
    Die Eisberge stammen allesamt vom grönländischen Gletscher Sermieq Kujalleq. Immer wieder brechen von ihm Teile ab und schwimmen dann an Ilulissat vorbei. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Gletscher um fast 15 Kilometer zurückgezogen. Grönland taut. Und das in atemberaubendem Tempo, sagt der Schweizer Glaziologe Konrad Steffen:
    "Wir wissen, dass früher zu den Wikinger-Zeiten gab es nie Bäume in Grönland. Jetzt wurden versuchsweise einige Tannen gepflanzt, bei Kangerlussuaq vor etwa zehn Jahren. Und die gedeihen sehr gut, haben sich auch gut vermehrt. Wir haben einen ganz kleinen Christbaumgarten schon dort. Die Tannen sind auf vier bis fünf Meter herangewachsen. Also das Klima ist jetzt schon günstig, um solche Bäume zu unterstützen."
    Kartoffeln, Salat und Schafe in Südgrönland
    Im Süden Grönlands gedeihen sogar Kartoffeln und Salat. Rund um die Dörfer dort gibt es Schaffarmen. Doch noch sind 85 Prozent der Landesfläche ganzjährig vereist. An manchen Stellen ist der Gletscher drei Kilometer dick. Bis alles geschmolzen ist, dauert es wohl noch 7.800 Jahre. Zumindest theoretisch.
    "Das ist die Annahme, dass sich das gleich weiter entwickelt, nicht beschleunigt und sich der Niederschlag nicht ändert. In einem wärmeren Klima nimmt der Niederschlag aber zu. Wir werden also mehr Nass in Grönland erhalten. Aber auch: Das Eis fließt schneller hinaus. Also nach dem Istzustand hätten wir 7.800 Jahre. Sehr wahrscheinlich geht es aber um einiges schneller."
    Wenn sich das Schmelzen beschleunigt, ist das für den Rest der Welt schlecht. Denn das Wasser lässt die Meeresspiegel steigen. Das gesamte Volumen des Grönlandeises könnte die Pegel um sieben Meter erhöhen. Dann stünden auch Teile Hamburgs unter Wasser. Doch so weit ist es noch nicht. Und auf dem Wassertaxi staunen die Touristen. Anders Laursen fährt an einen Eisberg heran und schlägt ein paar Brocken ab. Gleich gibt es Drinks:
    "Wir machen das meistens für Touristen in der Nacht, am Abend mit Whisky. Aber man kann das natürlich auch am Tag trinken."
    "Dieses Eis hier schwamm über der Wasseroberfläche. Deshalb ist es nicht salzig. Wir können es direkt nutzen."
    Laursen schaufelt das Eis in Pappbecher und gießt Whisky darüber. Alle stoßen an – mit Gletscher-Eis, das tausende Jahre alt ist. Zum Wohl! Noch ist es ja nicht zu spät.