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Klimawandel in der Arktis
Meereis schmilzt schneller als erwartet

Die Lufttemperatur in der Arktis steigt - im Schnitt um 1,3 Grad pro Jahrzehnt. Das haben Wissenschaftler der internationalen Forschungsstation in Ny Alesund auf Spitzbergen bekannt gegeben, die gerade Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei sich zu Gast haben. Durch die Erwärmung könnte die Arktis bis 2050 komplett eisfrei sein - und Erdöl zugänglich werden.

Christiane Habermalz im Gespräch mit Jule Reimer | 10.04.2015
    Ein Polarbär steht auf einer Eisscholle im Packeis der Norwegische Arktis.
    Ein Polarbär auf dem Packeis in der Norwegischen Arktis. (imago/All Canada Photos)
    Jule Reimer: Bundesforschungsministerin Johanna Wanka besucht derzeit deutsche und internationale Einrichtungen auf der Inselgruppe Spitzbergen, die zu Norwegen gehört. Allerdings liegen die Inseln noch einmal 2.000 Kilometer nördlich von Norwegen im Arktischen Ozean. Begleitet wird sie unter anderem von meiner Kollegin Christiane Habermalz.
    Christiane Habermalz: Ich sitze hier im Büro der Stationsingenieurin des Alfred-Wegener-Institutes und blicke auf ein polares Panorama, wie es im Buche steht. Es ist ein ganz kleiner Ort, Ny Alesund heißt der. Die nördlichste dauerhaft bewohnte Siedlung der Welt, die fast nur von Forschern bewohnt wird, wenn es auch im Winter, in der Polarnacht oft nur wenige sind. Aber dauerhaft bewohnt. Sie ist umgeben von Schneebergen. Es ist jetzt strahlender Sonnenschein, es ist ein unfassbar schönes Licht. Die Siedlung liegt direkt am Fjord, der jetzt auch eisfrei ist. Deswegen, im Moment bin ich noch gerade dabei, wieder aufzutauen, weil wir gerade mit Booten zu einem der Gletscher gefahren sind, die an diesen Fjord grenzen, um zu sehen, ob er kalben würde, das heißt, ob Teile des Gletschers ins Meer, als Eisberge ins Meer abgegeben werden würden, was jetzt nicht passiert ist. Aber es war trotzdem ein grandioses Erlebnis.
    "Die Arktis ist der Hot Spot der Klimaerwärmung"
    Reimer: Die Reise der Bundesforschungsministerin dient ja unter anderem dazu, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Klimaveränderungen zu machen. Wie entwickelt sich denn das Klima in der Arktis?
    Habermalz: Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung ist ein Institut, das hier mit den Franzosen eine gemeinsame Forschungsbasis betreibt, und hier wird seit vielen, vielen Jahren Klimaforschung betrieben. Viele Daten werden erhoben. Die Arktis ist ja sozusagen der Hot-Spot der Klimaerwärmung, also alles, was in Sachen Klimaerwärmung passiert, das potenziert sich hier. Die Arktis erwärmt sich sehr viel schneller als der Rest der Welt. Entsprechende Daten wurden vom Alfred-Wegener-Institut aktuell veröffentlicht. Und zwar, seit der dauerhaften Erhebung dieser Daten, seit 1993, wurde ein Anstieg von 1,3 Grad pro Dekade, also pro zehn Jahre, hier in Ny Alesund gemessen. Das ist sehr viel, ein Ergebnis, das jetzt vielleicht nicht ganz unerwartet kommt, aber doch in seinem Ausmaß sehr beeindruckend ist.
    Reimer: Man muss aber unterscheiden, was da schmilzt - ob das Eis an den Fjorden, auf den Bergen, oder das Meereis?
    Habermalz: Was jetzt die Forscher gemessen haben, das ist die Atmosphärentemperatur, also 1,3 Grad mehr Lufttemperatur. Was aber sehr überraschend ist, dass das Meereis viel schneller und viel rasanter schmilzt, als das die Berechnungen und auch die Klimamodelle hergeben. Und das ist etwas, was auch den Forschern hier auf Ny Alesund Rätsel aufgibt. Natürlich weiß man, es gibt ganz viele Faktoren, die das Schmelzen des Meereises beeinflussen, aber nicht alle sind bekannt. Man weiß zum Beispiel, dass das Meereis, auf dem ja meistens Schnee liegt, dass die Sonne reflektiert wird, deswegen das Meereis auch die Klimaerwärmung stoppt. Wenn jetzt überall Löcher im Eis sind, dann wird das Licht und die Wärme absorbiert, das heißt, das ist ein Faktor, der die Erwärmung noch potenziert. Außerdem hat man gemessen, dass der Permafrostboden - da gibt es jetzt hier neue Daten - der in Ny Alesund 100 Meter tief gefroren ist und im Sommer nur einen Meter auftaut, dass dieser Permafrostboden mit den Jahren immer mehr auftaut. Das heißt, mittlerweile ist man bei 1,20 Meter, 1,30 Meter. Damit werden auch Methan- und CO2-Gase freigegeben, die wiederum Klimagase sind. Das alles sind Faktoren, die offenbar die Erwärmung potenzieren, und das wird hier in der Arktis ganz besonders deutlich.
    Reimer: Wie sind die Folgen für die Arktis?
    Habermalz: Die Folgen, das kennt man ja zum Teil. Im arktischen Winter ist das Meereis sehr viel dünner. Zwar friert meistens die Arktis noch komplett zu, die Arktis ist ja der Arktische Ozean, das heißt, da gibt es kein Land darunter, im arktischen Sommer taut allerdings dieses Meereis immer weiter auf und es gibt immer größere eisfreie Zonen. Das ist etwas, wo die Forscher jetzt auch gesagt haben hier in Ny Alesund, dass, wenn das mit diesem Abschmelzen so weitergeht, dass ein Szenario sehr wahrscheinlich ist, dass ab 2040/2050 der Pol komplett eisfrei sein könnte.
    Erdöl in der Arktis weckt Begehrlichkeiten
    Reimer: Und dann werden dort wahrscheinlich viele Rohstoffe, wie Erdöl, zugänglich sein. Wie positioniert sich da die deutsche Forschung?
    Habermalz: Ja, das ist eine sehr interessante Frage, die hier auch diskutiert wird. Man weiß, es gibt sehr viele Rohstoffe in der Arktis. Man sagt, wahrscheinlich gibt es in der Arktis genauso viel Erdgas und Erdöl, wie es in Saudi-Arabien vor Beginn der Förderung gegeben hat. Also eine ganze Menge. Da sind die Begehrlichkeiten groß. Und die Anrainerstaaten, die im Arktischen Rat auch organisiert sind, das sind vor allem Russland, USA, Kanada, Island und Norwegen, Finnland und Schweden gehören auch noch dazu, aber vor allem diese fünf Anrainerstaaten haben natürlich auch schon Ansprüche angemeldet. Und es ist ganz klar, diese Bodenschätze sollen gehoben werden.
    Reimer: Das ginge dann aber auf Kosten der Biodiversität, da kann die ganze Natur drunter leiden, Fauna und Flora. Wenn es zum Beispiel einen Unfall bei der Erdölförderung geben würde.
    Habermalz: Auf jeden Fall. Das würde natürlich sehr stark zulasten der Umwelt gehen. Die Arktis ist ja – und das ist ja das, was einen jedes Mal fasziniert, wenn man hier ist –,eine unberührte Natur, die sonst kaum noch auf der Welt gibt außer vielleicht in der Antarktis. Das Problem ist, Deutschland ist natürlich auch nicht ganz frei von Interessen, auch wenn es keine direkten Ansprüche anmelden kann. Aber Deutschland ist neutrales Mitglied in diesem Arktisrat, und deutsche Unternehmen hätten natürlich auch Interesse daran, an dieser Förderung von Rohstoffen zumindest teilzuhaben, mit deutschem Know-how und deutschem Wissen. Und da ist hier im Alfred-Wegener-Institut zumindest bemerkbar, dass sich da die Forscher Gedanken machen und dass es auch schon so etwas wie eine Selbstverpflichtung gibt, dass die Daten nicht an Unternehmen weitergegeben werden sollen, zumindest nicht die Stammdaten. Ansonsten ist Wissenschaft natürlich frei zugänglich für jeden Nutzer, der sich potenziell dafür interessiert, und das gilt auch für die deutsche Forschung.
    Hoffnung auf hohe Umweltauflagen
    Reimer: Aber gibt es so etwas wie eine Position, man soll mehr schützen als nutzen? Oder versucht die Forschungsgemeinde, sich durchzuschlängeln?
    Habermalz: Ich hab jetzt mit deutschen Forschern gesprochen, die hier arbeiten und die sagen, diese Rohstoffe werden sowieso abgebaut werden, das wird man nicht verhindern können. Und was die Deutschen tun können oder was die Deutschen als ihre Aufgabe ansehen, auch die deutschen Forscher, ist, zumindest die Umweltauflagen so hoch zu schrauben, dass die Förderung teuer wird. Und die politische Einigung soll dahin gehen, dass die arktischen Anrainerstaaten zwar nicht verzichten auf den Anspruch, Rohstoffe abzubauen, aber doch eine gemeinsame Charta entwickeln mit sehr hohen Umweltauflagen. Und darin möchte die deutsche Bundesregierung, aber auch die deutsche Forschung mitarbeiten.
    Reimer: Letzte Frage: Fauna und Flora – haben Sie schon einen Eisbären gesehen?
    Habermalz: Gott sei Dank noch nicht. Wobei die Wahrscheinlichkeit nicht so klein ist. In Spitzbergen gibt es immerhin 3.000 Eisbären, geschätzt. Das sind mehr Eisbären als Menschen. Und auch hier im Ort werden immer wieder Eisbären gesichtet. Das ist hier ihr natürliches Habitat, und die Menschen kamen erst später dazu. Das sehen die Eisbären so und auch die Menschen, deswegen ist es zum Beispiel hier in der Forschungsstation oder im Ort so, dass alle Häuser offen stehen für den Fall, dass ein Eisbär auftaucht. Das heißt, jeder kann sich dann ganz schnell in ein Haus zurückziehen und den Eisbären seiner Wege gehen lassen. Außerhalb des Ortes geht hier niemand ohne Gewehr in die Umgebung, weil eine Begegnung mit einem Eisbären, die kann immer eher für den Menschen schlecht ausgehen.
    Hinweis: Recherchen für diesen Beitrag wurden unter anderem durch eine Reisekostenbeteiligung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ermöglicht.