Dienstag, 19. März 2024

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Klimawandel
Präzise Wetterprognosen helfen Hirten in Äthiopien

Äthiopien spürt die Folgen des Klimawandels besonders stark: Die Wahrscheinlichkeit einer schweren Dürre ist heute fünfmal höher als noch vor 60 Jahren. Das äthiopisch-britische Projekt "MAR" versorgt Hirten und Bauern in entlegenen Gegenden mit Wetterprognosen und Empfehlungen für das Wassermanagement.

Von Dagmar Röhrlich | 20.03.2019
Dürreperiode in der Sitti Zone im somalischen Teil Äthiopiens (2016)
Die Grenzregion zwischen Äthiopien und Somalia ist besonders stark von Dürreperioden betroffen (AFP)
2015 und 2016 war die Dürre besonders schlimm: Allein in der Hamar-Region im Südwesten Äthiopiens starb die Hälfte der drei Millionen Herdentiere, nachdem es 18 Monate lang so gut wie nie geregnet hatte. Wie eine Glocke lag der faulige Gestank vertrocknender Kadaver über dem Land.
"Die Hirten - ob sie nun ausschließlich von der Viehzucht leben oder auch Feldbau betreiben - sind durch den Klimawandel besonders gefährdet."
Rund 60 der 80 Millionen Einwohnern Äthiopiens hängen von der Landwirtschaft ab - und ein großer Teil von ihnen wiederum lebt als halbnomadische Hirten, erklärt Negusu Akilu, während vor seinem Bürofenster der Verkehr von Addis Abeba rauscht. Negusu Akilu zählt zu den einflussreichsten Umweltwissenschaftlern Äthiopiens und leitet ein Projekt namens MAR. Das will die ökonomische Lage der Hirten verbessern, damit sie mit den Risiken des Klimawandels besser fertig werden können:
"Wir erreichen etwa 380.000 Menschen in der Afar-Region, der Grenzregion zu Somalia und in Südäthiopien. Wir helfen bei Finanzierungen über Mikrokredite und unterstützen die Gemeinden dabei, finanzielle Ressourcen aufzubauen. Wir helfen auch dabei, das Land- und Wasserressourcen-Management zu verbessern. Dafür haben wir unter anderem ein System aufgebaut, das bessere Wetter- und Klimainformationen liefert."
Wetterprognosen per Radio und SMS
In diesen entlegenen Regionen gab es zuvor keine Wetterstationen, so dass Vorhersagen unzuverlässig waren. Jetzt liefern 25 automatische Wetterstationen im 15-Minuten-Rhythmus alle wichtigen Daten an den äthiopischen Wetterdienst. Der berechnet kurz- und mittelfristige Prognosen für die Gebiete und eine Saison-Vorhersage. Verbreitet werden die Meldungen über Radiostationen, SMS- und neuerdings auch Push-Nachrichten - und zwar übersetzt in die Sprache der Empfänger. Jedes Dorf wählt einen Vertreter, der die Nachrichten erhält und weitergibt.
"Die Meldungen werden an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. Wenn sie an eine Gemeinschaft gehen, in der nur Hirten leben, lauten sie zum Beispiel, dass der nächste Monat trockener werden dürfte als normal und sie für ihre Tiere Futter und Wasser speichern oder in ein anderes Gebiet ziehen sollten. Wenn die Empfänger neben der Viehzucht auch Landwirtschaft betreiben, wird die Vorhersage mit Ratschlägen für den besten Zeitpunkt für Saat oder Ernte kombiniert."
Ergänzung zu traditionellem Wetter-Wissen
Die modernen High-Tech-Vorhersagen werden mit denen der traditionellen Wetterkundigen unter den Einheimischen kombiniert. Die lesen ihre Informationen aus dem Stand der Sterne ab, aus Veränderungen der Wolken oder Vegetation und anderen Faktoren in der Umwelt:
"Wir bitten die Gemeinden, unsere Informationen mit denen ihrer traditionellen Vorhersagen zu 'triangulieren', wie wir sagen. Oft stimmen moderne und traditionelle Vorhersagen ganz gut überein, aber es gibt auch Unterschiede. Dann lernen wir voneinander. Wir untergraben nicht die Autorität und das Wissen der Wetterkundigen, sondern wir ergänzen einander."
Das Programm ist erfolgreich und kommt gut an - schließlich wollen die Hirten ihre überlieferte Lebensweise bewahren. Doch immer mehr von ihnen sehen keine Chance mehr und geben auf, stellen auf den Anbau von Feldfrüchten um. Auch, weil die Auswirkungen des Klimawandels verschärft werden durch die wirtschaftliche Entwicklung: Immer öfter wird in manchen Gebieten das Gemeindeland, auf dem die Hirten ihre Tiere weiden lassen konnten, für industrielle Zwecke umgewidmet. Unter anderem breiten sich Zuckerrohrplantagen aus.