Freitag, 19. April 2024

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Klimawandel und Klimaproteste
"Wir müssen neue Wohlstandsmodelle entwickeln"

Eine Verhaltensänderung von Menschen in Bezug auf den Klimaschutz lasse sich nicht über Verbote herbeiführen, sagte die Soziologin Anita Engels im Dlf. Die Rahmenbedingungen im Alltag müssten sich ändern. Hoffnung setzt sie in die Jugend, bei der sich ein Kulturwandel beobachten lasse.

Anita Engels im Gespräch mit Michael Köhler | 28.04.2019
Kinder protestieren und halten Plakate mit Aufschriften wie "Ihr habt unsere Zukunt in euren Händen" in die Höhe.
Jugendliche müssten lernen, systematische Wege zu finden, wie konkrete Veränderungen erzwungen werden - und zwar über den Protest hinaus, sagte Soziologin Anita Engels im Dlf (imago/Christian Mang)
Um einen echten Wandel in Bezug auf den Klimaschutz und das Verhalten jedes Einzelnen zu erreichen, müssten viele Ebenen berücksichtigt werden, sagte Soziologin Anita Engels von der Universität Hamburg im Dlf. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Klimawandel, Umwelt und Gesellschaft. Die Rahmenbedingungen müssten geändert werden, dabei sei politischer Druck - etwa durch Schülerproteste - ein wichtiges Moment. Bei Jugendlichen ließen sich allmählich kulturelle Veränderung bemerken, stellt Engels fest: "Die Verbreitung von Veganismus und Vegetarismus ist beachtlich." Viele Jugendliche hätten kein Interesse, den Führerschein zu machen, weil sie in Großstädten auch anders mobil sein könnten.
"Die Frage ist, ob die Jugendlichen lernen, systematische Wege zu finden, wie in unserem politischen System über Wahlen, Volksentscheid, Protestformen, Mitgestaltung auf lokalen Ebenen, konkrete Veränderungen erzwungen werden können", so Engels. Auch nach der Wahl von Donald Trump in den USA habe man eine Politisierung der Jugendlichen beobachten können. Protest allein reiche aber nicht, man müsse sich selber wählen lassen, selber in politsche Institutionen reingehen, um etwas ändern zu können.
Verbote allein nutzen wenig
Auf Anreize oder Verbote reagierten nicht alle Menschen gleich, betonte Engels. Mit dem Einweg-Strohhalm-Verbot seien viele erleichtert und entlastet worden. Aber in anderen Bereichen wie individuelle Mobilität und Ernährung ginge es um die eigene Identität. "Wenn wir nur über Verbote nachdenken, wird das nicht funktionieren, denn dann werden die gesellschaftlichen Widerstände zu groß sein. Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir eine selbsttragende gesellschaftliche Dynamik erreichen können."
Wissenschaftliche Aussagen werden bezweifelt
Zweifel an wissenschaftlichen Aussagen seien in den vergangenen Jahren gewachsen. Mit der AfD führe erstmals eine politische Partei Wahlkampf mit grundsätzlichen Zweifeln am Klimaproblem. Das Problem des Klimawandels sei jedoch ein großes. Man müsse neue Wohlstandsmodelle entwickeln, sagte Engels. Nach Ansicht der Soziologin gibt es hier Bewegung auf verschiedenen Ebenen: beispielsweise Klima-Klagen gegen Unternehmen oder Regierungen, die auf mehr Klimaschutz und Kompensationszahlungen für Klimaschäden abzielten.
Auf wirtschaftlicher Ebene versuchten große Investoren, ihr Geld aus Industrien herauszuziehen, die an fossilen Energieträgern hängen. Engels bezeichnete dies als wichtiges Signal an den Finanzmärkten. Dazu kämen viele verschiedene Initiativen in den Großstädten, lokale Energieprojekte zur Verkehrswende und verstärkte politische Aufmerksamkeit durch die Protestbewegung. "Man muss das alles zusammen sehen, wenn man eine Idee davon bekommen will, wo der Wandel herkommen kann."