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Klimawandel und Menschen bedrohen Raritäten

Zoologie. - Die indische Amphibienfauna ist im Vergleich zu anderen Bereichen der Erde bislang kaum wissenschaftlich detailliert untersucht. Ein kleines Biologenteam der Universität von Delhi will diese Datenlücken schließen. Die indischen Forscher konnten in jüngster Vergangenheit zahlreiche Erfolge bei der Entdeckung neuer Arten melden. Doch ist es ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Klimawandel bedroht auch dort viele der letzten Rückzugsgebiete einzigartiger Amphibienspezies.

Von Michael Stang | 04.05.2012
    Auf dem Campus der Universität von Delhi suchen bei Temperaturen von 40 Grad Celsius nicht nur Studenten und Mitarbeiter der Hochschule Schutz im Schatten, sondern auch ein paar wilde Rhesus-Makaken meiden die Sonne und verschwinden in einem alten Gebäude. Sonali Garg lacht bei der Begrüßung über die Szene und sagt, dass sich immer nur Europäer und Amerikaner über die Affen wundern würden. Die Expertin für Froschlurche gehört zum zehnköpfigen Amphibienteam um Professor Sathyabhama Das Biju.

    "This is actually the office space, but he likes to share it with his students."

    Dies seien die Büroräume ihres Chefs, sagt Sonali Garg, aber Biju – so wie ihn alle hier nennen – teile sich die Räume gern mit seinen Studenten. Denn das fördere schließlich die Produktivität, so Biju, der gerade das Zimmer betritt.

    "Diese Arbeitsgruppe verfolgt zwar verschiedene Ziele, aber hauptsächlich widmen wir uns den Amphibien, ihrer Verbreitung und Evolution. Das bedeutet vor allem, dass wir sehr oft in der Natur unterwegs sind und bekannte und unbekannte Amphibienarten in Indien suchen."

    Seit 2006 leitet er seine Arbeitsgruppe - und das mit Erfolg. Mehr als 70 Arten konnten Biju und seine Studenten seither wissenschaftlich neu beschreiben. In dem Büro mit sechs Arbeitsplätzen sitzt auch Rachunliu G. Kamei. Sie sorgte kürzlich für Aufsehen, als sie die Entdeckung einer neuen Amphibienfamilie präsentierte. Dabei handelt es sich um beinlose Blindwühlen.

    "Unser Wissen über die Biodiversität in Indien ist unglaublich unvollständig. Diese Entdeckung der neuen Amphibienfamilie neulich ist zwar etwas extrem Seltenes, aber es zeigt andererseits auch deutlich, wie groß die Notwendigkeit ist, die Amphibienfauna in Indien zu erforschen, bevor diese Tiere alle aussterben."

    Das Wissen um die Amphibienvielfalt auf dem Subkontinent befindet sich trotz dieser Erfolge noch immer in den Anfängen. Um dies zu ändern, sind sie alle rund fünf Monate im Jahr im Feld unterwegs, um Amphibien aufzuspüren. Einen Raum weiter arbeitet Robin Suyesh. Normalerweise steht sein Schreibtisch auch bei den anderen, aber seine Arbeit mache manchmal einfach zu viel Lärm, sagt er und da störe er nur.

    "Wir alle reisen in der Regel quer durchs Land. Ich untersuche Laubfrösche und studiere deren Gesänge in den Western Ghats."

    Dort im Gebirge am Rande des Dekkan-Plateaus tummeln sich zahlreiche Froscharten, deren Gesänge er mit Recorder und Mikrophon aufnimmt, und anschließend versucht er die Tiere mit ein wenig Glück auch zu fangen. Bei ihren Streifzügen durch die Natur suchen die Forscher aber nicht nur nach neuen Arten, sondern auch im Rahmen des so genannten Lost Species of India-Projekts nach alten Bekannten, auch das mit Erfolg. Im Jahr 1891 wurde eine gelb-braune Ruderfroschart beschrieben, die im subtropischen und tropischen Flachland heimisch ist. Wie alle Ruderfrösche besitzt auch diese Spezies verbreiterte Haftscheiben an den Finger- und Zehenenden als Kletterhilfe. Nach der wissenschaftlichen Erstbeschreibung konnten jedoch keine weiteren Exemplare gefunden werden. Deshalb galt die Art als ausgestorben. 2009, nach fast 120 Jahren, gelang es den indischen Forschern jedoch, Philautus travancoricus in den Western Ghats aufzuspüren. Aber auch dieser Erfolg zeigte, wie dürftig ihr Wissen ist. Ein Problem sei auch, so Biju, dass sie zu wenige sind, um große Mengen Daten zusammenzutragen. Ihre Archive reichen gerade einmal 15 Jahre zurück. Daher seien Aussagen über den Rückgang vieler Arten schwierig. Klar sei nur, dass sich vor allem im Zuge des Klimawandels ganze Landstriche verändern und meist trockener werden - und wo es trocken wird, da verschwinden Amphibien. Biju:

    "Der Klimawandel ist aber nicht die größte Bedrohung für den Bestand der Amphibien. Die größte Bedrohung sind wir. Wir Menschen zerstören täglich die Lebensräume von Hunderten oder gar Tausenden Arten. Diese Zerstörung ist der Hauptgrund für den Rückgang der Amphibien in Indien."

    Am deutlichsten sei dies nachts zu spüren, so Biju. Noch vor fünf Jahren konnte man bei der Feldarbeit abends im Zelt unglaubliche Froschkonzerte hören. Jetzt müsse er bald froh sein, wenn er ab und zu mal einen Frosch quaken hört.