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Klischeebedienendes Schenkelklopftheater

Die "Was ihr wollt"-Inszenierung von Katharina Thalbach am Berliner Ensemble ist eine überdrehte Unterhaltungsklamotte geworden. Poesie, Satire und tiefere Bedeutung fehlen. Die Regisseurin setzt erbarmungslos auf die Klischeeklamotte und den Humor schlechter Fernseh-Comedys.

Von Hartmut Krug | 25.11.2012
    Was alle wollen in "Was ihr wollt", ist Liebe, - ob zu einem anderen Menschen, einem anderen oder dem gleichen Geschlecht, ob zu sich selbst oder als Projektion. Shakespeares erotisches Identitäts-Verwirrspiel, bei dem es um die Unsicherheit von Rolle, Individualität und sexueller Identität geht, ist in den letzten Jahren in Berlin mehrfach gezeigt worden. Michael Thalheimer besetzte es, wie zu Shakespeares Zeiten üblich, ausschließlich mit Männern, Staffan Valdemar Holm ließ die aufgedrehte Komödie in stiller Trauer versanden, und Armin Holz kam aus Recklinghausen mit einem Ensemble von alten Starschauspielern.

    Katharina Thalbach, die 1984 bei Ernst Wendts Inszenierung der Neuübertragung des Stückes durch Thomas Brasch die Doppelrolle der Zwillinge Viola und Sebastian spielte, besetzt am Berliner Ensemble dagegen einfach, wie es ihr gefällt. Viola und Sebastian, aber auch der hier drastisch schwule Kapitän werden von einer Schauspielerin gespielt. Doch anders als bei Thalbachs Inszenierung von Shakespeares "Wie es Euch gefällt", bei der sie am Theater am Kurfürstendamm einst alle Rollen mit Frauen besetzte, sind diese Besetzungen nicht dramaturgisch schlüssig, sondern bedienen nur äußere Effekte.

    Shakespeares tieftraurig-komisches Liebes-Verwirrspiel, in dem eine Frau einen Mann spielt und zugleich in ihren Herrn verliebt ist, der wiederum eine Frau liebt, die sich aber in die als Mann verkleidete Frau verliebt, zeigt Liebe als ein allgemein menschliches Gefühl, als eine existenzielle Haltung an sich. Katharina Thalbach aber knallt das Stück als überdrehte Unterhaltungsklamotte auf die Brechtbühne. Vor der Bühne riesige Plastikmuscheln, auf der Drehbühne ein offener Schiffsbug mit vielen Kabinen als Spielort. Wenn der Herzog Musik will, bekommt er gleich eine Menge aktueller Angebote.

    In dieser Inszenierung werden Gefühle nicht ge- oder erspielt, sondern mit Best-Of-Popsongs ersungen oder spießig veralbert, - klar, dass Gloria Gaynours zur Schwulenhymne gewordenes "I will survive" gesungen wird, und dass zwei Männer das am Bug der Titanic schwebende Liebespaar nachspielen. Liebe als ein allgemein menschliches Gefühl, als eine existenzielle Haltung an sich, das gibt es hier nicht. Wenn jemand das Geschlecht eines anderen feststellen will, lüpft er eben dessen Hosenbund. Der Inszenierung gelingt es sogar, den Rüpelszenen um Sir Toby mit grellem Klamauk alle Komik auszutreiben.

    Poesie, Satire und tiefere Bedeutung fehlen. Denn die Regisseurin setzt erbarmungslos auf die Klischeeklamotte und den Humor schlechter Fernseh-Comedys. Schauspielerisch ist dies eher ein Trauerspiel mit Effektdrang: Wenn Leichenwang und Sebastian zum Kampf aufeinander getrieben werden, kommen sie als riesige Pappmache-Samurais gleich mit einer großen Armee daher.
    Immerhin gab es einen Darsteller, der schauspielerisch rundum überzeugte und nie leeren Klamauk bot: Es war der Bariton Thomas Quasthoff in der Rolle des Narren.

    Bei Quasthoff fühlte sich der Kritiker eins mit dem jubelnden Publikum. Meist aber saß er als entgeisterter Fremdkörper inmitten der johlenden Zuschauermenge. Sicher, man kann "Was ihr wollt" als klischeebedienendes Schenkelklopftheater machen. Dann aber bitte dort, wo so etwas hingehört: im Boulevardtheater am Kudamm und nicht im hoch subventionierten Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm.