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Knappe Mehrheit - knapp bei Kasse

Das Sparpaket der schleswig-holsteinischen Landesregierung hat einen Proteststurm hervorgerufen. Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände kritisieren Kürzungen im Sozialbereich, die dänische Minderheit befürchtet das Ende dänischer Schulen, Studierende demonstrieren gegen die Schließung ganzer Fachbereiche.

Von Matthias Günther | 09.07.2010
    An dieser Schule wird Dänisch gesprochen. Drittklässler lesen eine Geschichte aus einem Schulbuch. Die Schule der dänischen Minderheit in der 2500-Einwohner-Gemeinde Rieseby bei Eckernförde ist eine Grundschule. Sie hat nur insgesamt 35 Schüler in den Klassen 1 bis 6.

    "Man kann sich das so vielleicht vorstellen wie früher die ganz alten Dorfschulen, wir sind eine Zweiklassenschule, wo erste bis dritte zusammen unterrichtet wird und vierte bis sechste Klasse", "

    sagt Schulleiter Niels-Jörgen Hansen. Nun befürchtet er, dass die kleine Schule schließen muss, denn das Sparpaket der schleswig-holsteinischen Landesregierung sieht vor, den Zuschuss für die Schulen der dänischen Minderheit zu kürzen. Bisher bekamen die 47 dänischen Schulen im nördlichen Schleswig-Holstein ebenso viel Geld wie die öffentlichen deutschen Schulen, künftig soll es nach dem Plan der schwarz-gelben Koalition in Kiel nur noch 85 Prozent davon geben. Dass auch deutsche Privatschulen nur 80 Prozent bekommen, lässt Niels-Jörgen Hansen nicht gelten:

    " "Für uns, die dänische Minderheit, ist das ja eine öffentliche Schule, weil es ist die einzige Möglichkeit, unsere Kinder in eine dänische Schule zu schicken, das dänische Leben kennenzulernen, die Kultur usw., und die gibt's nicht anderswo."

    Scharfe Kritik kommt vom Südschleswigschen Wählerverband, der Partei der dänischen Minderheit. Deren Fraktionsvorsitzende im Landtag, Anke Spoorendonk:

    "Der Sparvorschlag der Landesregierung bedeutet eine Kehrtwende in der Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins. Einen Rückschritt und eine Kehrtwende."

    Eltern und Lehrer dänischer Schulen haben mit Protestaktionen begonnen. Sie werden auch von Politikern in Dänemark unterstützt. Doch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, CDU, bleibt bisher hart - und verweist auf die Notwendigkeit des Sparens. Andernfalls fände sich Schleswig-Holstein im Jahr 2016 in der Situation wieder, in der Griechenland heute ist:

    "Ich will nicht wie Griechenland werden. Wenn wir 2016 eine solche Situation haben, und sei sie nur annähernd, dann haben wir keinen mehr, der uns hilft. Und deswegen ist es nötig, auch für die dänischen Schülerinnen und Schüler und dänischen Kinder, die später mit ihren Steuerzahler-Mitteln diese Schulden zu bezahlen haben, dass wir jetzt zu einer Lösung da kommen, damit wir wieder Spielraum bekommen."

    Die dänische Minderheit ist bei Weitem nicht die einzige Gruppe, die gegen das Sparpaket der schleswig-holsteinischen Landesregierung aufbegehrt.

    Protest vor dem Landtag in Kiel - Demonstrationen gehören hier zum Alltag, seit bekannt ist, wo die schwarz-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein Kürzungen plant. Ministerpräsident Carstensen wendet sich an die protestierenden Bürger, ruft ihnen zu:

    "Jeder bei Ihnen zu Hause weiß, dass man nicht über seine Verhältnisse leben kann, nicht dauerhaft mehr ausgeben kann, als man einnimmt. Und deswegen geht es auch darum, den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen, damit wir unseren Kindern eine Zukunft geben."

    Das Land Schleswig-Holstein hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, hat mehr ausgegeben als eingenommen. Fast 25 Milliarden Euro Schulden sind so über die Jahre zusammengekommen. Allein die Zinsen für die alten Schulden liegen bei einer Milliarde Euro pro Jahr. Sie fressen mehr als ein Zehntel des Haushalts auf. So kann es nicht weiter gehen, ist die Botschaft des Ministerpräsidenten an Eltern, die aus Protest gegen die Sparpolitik mit ihren Kindern vor den Landtag gezogen sind:

    "Einen Wechsel auszustellen, den wir unterschreiben, und den diese Kinder zu bezahlen haben, das ist eine Politik, die mit mir nicht zu machen ist, und deswegen bin ich heute hier hergekommen, um Ihnen auch das zu sagen."

    Peter Harry Carstensen will dem Protest trotzen und an Kürzungen festhalten. Grund dafür ist auch: die Schuldenbremse. Sowohl das Grundgesetz als auch die schleswig-holsteinische Landesverfassung schreiben vor, dass von 2020 an keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Bisher macht Schleswig-Holstein aber noch 1,25 Milliarden neue Schulden im Jahr. Dieses Defizit muss das Land bis 2020 also abbauen. Das Sparpaket von CDU und FDP sieht Einschnitte in fast allen Bereichen vor: 5300 Stellen beim Land werden gestrichen. Soziale oder kulturelle Organisationen und Einrichtungen bekommen weniger oder gar kein Geld mehr. Das Blindengeld wird gekürzt, der Zuschuss zur Schülerbeförderung gestrichen. Auch beim Schleswig-Holstein-Musikfestival wird gekürzt, das Landeskulturzentrum in Salzau verkauft. Das Land spart auch beim Straßenbau, gibt seine Beteiligungen am Flughafen Kiel-Holtenau ab. Die Häfen Husum, Tönning, Friedrichstadt und Glückstadt werden veräußert, der Hafen Friedrichskoog geschlossen. Die Förderung der Tourismusagentur des Landes entfällt. Die einzelbetriebliche Wirtschaftsförderung, bei der Unternehmen beispielsweise für die Schaffung von Arbeitsplätzen Zuschüsse bekommen, wird abgeschafft. So der Plan der schwarz-gelben Koalition. Die Opposition im schleswig-holsteinischen Landtag spricht von einem Kahlschlag. Robert Habeck, Fraktionschef der Grünen, vermisst ein Gesamtkonzept:

    "Man nimmt den Vorschlaghammer, schlägt erstmal eine Wand raus, wenn die Landespolitik ein Haus wäre, und weiß nicht, ob einem die Decke auf den Kopf fällt oder ob man diese Wand später noch gebraucht. Wir haben keine Idee, wie die Arbeitsplätze entstehen sollen, wie viel Bildung wir brauchen, wie viel Investitionen für den Klimaschutz wir brauchen, aber wir fangen erstmal an, rumzuschnippeln und zu rasieren. Das kann man ja alles tun, oder man kann darüber ernsthaft reden, wenn es so etwas wie eine Zielvorstellung, eine politische Idee gibt. Hier ersetzt aber buchhalterisches Handeln politisches Handeln."

    Für Ralf Stegner, den Vorsitzenden der SPD-Fraktion und Oppositionsführer im schleswig-holsteinischen Landtag, ist das Konzept der Koalition ein Kürzen nach der Rasenmäher-Methode:

    "Das klingt dann gerecht, so nach dem Motto: Wir beteiligen ja alle. Der Unterschied ist nur: Bei dem einen sieht die Beteiligung so aus, dass da in einem vollen Haarschopf ein Haar ausgerissen wird, und bei dem anderen sieht der Rasenmäher so aus, dass der Kopf weg ist."

    Uneingeschränkten Beifall für das Sparpaket gibt es nur vom Steuerzahlerbund. Landesgeschäftsführer Rainer Kersten sagt:

    "Es ist ein wirklich mutiges Konzept, was man hier auf die Beine gestellt hat, denn es wird eine Vielzahl von Gruppen betroffen, negativ betroffen. Und dennoch ist man als Landesregierung offenbar fest gewillt, jetzt auch die Proteste auszuhalten, denn es gibt zu solch harschen Einschnitten jetzt keine Alternative mehr, wenn man wirklich die Schuldenbremse einhalten will."

    Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände in Schleswig-Holstein kritisieren vor allem die Streichungen und Kürzungen im Sozialbereich. Günter Ernst-Basten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband rechnet mit nicht wieder gut zu machenden Schäden:

    "Wir befürchten, dass Vieles an sozialer Infrastruktur, was aufgebaut wurde in den letzten Jahren, ob das die Frauenhäuser sind, die Frauenberatungsstellen, die Selbsthilfekontaktstellen, die Beratungsstellen für Suchtkranke, für psychisch Kranke, und ich könnte diese Liste jetzt weiter fortführen, dass all diese Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht sind."

    Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat mit dem Proteststurm gegen das Sparpaket gerechnet.

    Doch Carstensen will nicht einknicken. Wann, wenn nicht jetzt, soll man die Schuldenbremse anziehen, fragt er:

    "Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren einen zweiten Aufschlag haben werden. Deshalb ist das wirklich die letzte Situation, um hier im Haushalt und für das Land Schleswig-Holstein noch mal das Ruder rumzureißen."

    Der lauteste Protest kam bisher aus der Hansestadt Lübeck. "Lübeck kämpft", rufen hier Studierende vor dem Landtag in Kiel. Denn die schwarz-gelbe Koalition wollte an der Lübecker Uni den Studiengang Medizin einstellen. In Schleswig-Holstein sollten Ärzte dann nur noch in Kiel ausgebildet werden. Viele Studierende haben sich aber gerade für die Lübecker Uni entschieden, weil deren Medizin-Studiengang im deutschlandweiten Ranking seit Jahren an erster Stelle steht.

    "Ich komme aus Schwerin und bin nach Lübeck gekommen, weil ich medizinische Informatik studieren wollte und mir genau Gedanken darüber gemacht habe, wo das möglich ist, hab mir alle Universitäten angeguckt, und dabei ist Lübeck einfach herausgestochen durch die Exzellenz in der Medizin und auch durch die sehr enge Verzahnung durch den Medizinische-Informatik-Studiengang mit der Medizin, sodass das also für mich eine eindeutig klare Entscheidung für Lübeck war."

    "In der Forschung gibt es auch noch andere Standorte, die gut sind, aber hier hat man beides: gute Forschung und vor allem gute Lehre."

    Mit dem Studiengang Medizin wären an der Universität zu Lübeck 1500 von 2600 Studienplätzen weggefallen. Und der verbleibende kleine Rest mit Studiengängen wie Medizintechnik, Biomathematik oder medizinischer Informatik ist eng mit der Medizin verwoben. Uni-Präsident Peter Dominiak erklärte deshalb kategorisch:

    "Wenn der Studiengang Medizin hier eingestellt wird, dann bedeutet das auch automatisch den Tod der Universität."

    Nicht nur die Hochschule protestierte. Auch Wirtschaftsverbände machten sich für einen Erhalt des Medizinstudiengangs stark. Denn in der Region Lübeck gibt es 1000 Unternehmen aus dem Bereich Medizintechnik und Medizin. Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe wies darauf hin, dass viele Unternehmen eng mit der Universität kooperieren oder sich nur wegen der Uni im Raum Lübeck angesiedelt haben:

    "Wir müssen einfach befürchten, dass der eine oder andere von diesen Unternehmern sich auch über Alternativen Gedanken macht, wenn hier eine Forschungseinrichtung nicht mehr vorhanden ist, und das ist ja das, was uns konkret droht."

    Die ersten Unternehmer hatten schon angekündigt, sich einen anderen Standort zu suchen, wenn in Lübeck der Studiengang Medizin geschlossen wird - die strukturschwache Region hätte noch weniger Arbeitsplätze und noch weniger Gewerbesteuereinnahmen. Und wahrscheinlich hätten die Firmen nicht nur die Region Lübeck, sondern auch das Land Schleswig-Holstein verlassen.

    Die Opposition im schleswig-holsteinischen Landtag schloss sich dem Protest an. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner setzte darauf, dass Abweichler aus den eigenen Reihen der Koalition wesentliche Teile des Sparpakets wie die Schließung des Medizinstudiengangs in Lübeck zu Fall bringen - schließlich haben CDU und FDP im schleswig-holsteinischen Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit:

    "Wir hoffen, dass die knappe Einstimmenmehrheit an entscheidenden Punkten für Schwarz-Gelb nicht realisiert werden kann. Jeder Abgeordnete weiß, er ist dem Wohl des Landes verpflichtet und er soll Schaden abwenden. Und wenn ein Lübecker Abgeordneter also dafür stimmt, seine Region zu ruinieren, dann wird er das vor dem Wähler verantworten müssen. Der muss wissen, dass wir das öffentlich thematisieren werden und das wird nicht folgenlos bleiben."

    Das zielte auf den einzigen Lübecker Landtagsabgeordneten der schwarz-gelben Koalition: Gerrit Koch von der FDP-Fraktion. Von der Aussage des SPD-Fraktionschefs zeigte er sich unbeeindruckt:

    "Ich freue mich ja, dass er mir eine so große Aufmerksamkeit schenkt, ich lasse mich von ihm natürlich nicht unter Druck setzen und er muss mich auch nicht darüber aufklären, was eine Stimme Mehrheit im Landtag bedeutet. Dessen bin ich mir sehr bewusst. Aber ich mache sicherlich keine SPD-Politik, sondern eine der FDP- und CDU-Koalition."

    Dennoch: Auch Gerrit Koch sorgte sich um die Zukunft des Hochschulstandortes Lübeck. Er setzte sich für den Erhalt des Medizinstudiengangs ein. Sollte bei der entscheidenden Abstimmung der Lübecker Medizinstudiengang noch auf der Streichliste stehen, werde er dagegen stimmen, kündigte er an. Weitere Koalitionsabgeordnete aus der Umgegend von Lübeck wollten es ihm gleichtun. Ministerpräsident Carstensen hätte also gar keine Mehrheit für seine Abwicklungspläne in Lübeck gehabt. Hinter den Kulissen verhandelte die Landesregierung aber längst mit der Bundesregierung darüber, die beabsichtigte Sparsumme von rund 25 Millionen Euro jährlich auf andere Weise hereinzubekommen. Die Lösung wurde gestern Abend verkündet: Der Bund finanziert das Kieler Institut für Meereswissenschaften künftig nicht mehr mit 50 Prozent, sondern mit 90 Prozent und beteiligt sich an größeren Investitionen im Institut. Im Gegenzug - das war für Bundesbildungsministerin Schavan wichtig - wird die Lübecker Mediziner-Ausbildung erhalten. Aufatmen in Lübeck.

    Grund zum Protest sieht man aber auch in Flensburg. Die dortige Universität soll die Wirtschaftswissenschaften verlieren und sich auf Erziehungswissenschaften und die Lehrerausbildung konzentrieren. Etwa ein Fünftel der Studienplätze würde wegfallen. Die Wirtschaftswissenschaften in Flensburg sind aus Sicht von Uni-Präsident Lutz Reuter jedoch wichtig für den Wirtschaftsstandort:

    "Etwa bei der Ansiedlungspolitik für neue Firmen, da ist eine Universität ein Werbeträger, aber ihnen fehlt auch vor Ort eine Institution, in der Personen ausbildet werden, die sie in der Region halten können. Man darf nicht vergessen: Der nördliche Teil Schleswig-Holsteins ist wirtschaftlich schwach, und da spielt gerade eine Universität, die Personal für die Region ausbildet, eine wichtige Rolle."

    Die Einstellung der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge in Flensburg hätte auch Auswirkungen auf gemeinsame Studiengänge mit der süddänischen Universität in Sonderburg:

    "Die Dänen haben sich äußerst verärgert und frustriert gezeigt. Es gibt einen offenen Brief des Rektors der süddänischen Universität, der auf den großen Schaden für die Grenzregion und für deutsch-dänische Zusammenarbeit verweist. Von den Landräten gibt es Proteste. All das, was mit viel Mühe und viel Geld auch aus der regionalen Wirtschaft aufgebaut worden ist, würde dann kaputtgemacht werden."

    Der Vorsitzende der Region Syddanmark, Carl Holst, ist daher nach Kiel gereist, um Ministerpräsident Carstensen von diesem Sparvorhaben abzubringen:

    "Die Sparpläne vom 26. Mai führen in ihrer Konsequenz dazu, dass das Fundament für die süddänische Universität in Sonderburg verschwinden wird."

    Denn die grenzübergreifende Zusammenarbeit mit der Universität Flensburg in den Wirtschaftswissenschaften ist der Schwerpunkt der Syddansk Universität. Ministerpräsident Carstensen hat sich bisher stets für ein gutes deutsch-dänisches Verhältnis eingesetzt - in diesem Punkt aber bleibt er hart:

    "Hier haben wir einen Punkt, wo der Regionsvorsitzende aus Dänemark dem Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holstein ins Gewissen redet und sagt: Sieh zu, dass du diesen Punkt noch änderst, und der Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein ihm sagt: Ich habe im Moment keine Möglichkeit."

    Trotz des breiten Protests: Die Opposition stimmt einigen Vorschlägen zu. Auch die SPD ist dafür, Tausende Stellen im Landesdienst zu streichen und etwa die einzelbetriebliche Wirtschaftsförderung abzuschaffen. Und die Grünen haben etwa 30 Punkte in dem Sparpaket der schwarz-gelben Koalition ausgemacht, denen sie ihre Stimmen geben wollen - von der Zusammenlegung der Katasterämter bis zu Schließung von kleineren Gefängnissen. Aber selbst wenn die schwarz-gelbe Koalition ihr gesamtes Sparpaket durchsetzen könnte, würde das nicht reichen, zumindest nach Rechnung der Grünen. Anders als die Koalition kommen sie zu dem Ergebnis, dass der Haushalt im Jahre 2020 nicht ausgeglichen wäre, sondern ein Defizit von 1,4 Milliarden Euro hätte. Wie die anderen Oppositionsfraktionen fordern deshalb auch die Grünen, nicht nur zu kürzen, sondern auch die Einnahmen zu erhöhen. Der Vorsitzende der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag, Robert Habeck:

    "Wenn man rückwärts rechnet, dann - man mag es ja gar nicht mehr sagen - ist das Erste das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Hoteliers und reiche Erben, dran, 70 Millionen für das Land. Dann hat SPD und CDU in den letzten Phasen ihrer Regierung ein Familienentlastungsgesetz von 400 Millionen Euro beschlossen. Man kann sicherlich für die Familien mehr tun, aber dann muss man es strukturell angehen, da kann man sicherlich was machen. Rot-Grün, also auch meine Partei, hat die Einkommensteuer gesenkt, Körperschaftssteuer abgeschafft. Das hat alles nicht geholfen, und jetzt stehen wir vor den Trümmern und müssen den Pfad rückwärts beschreiten."

    Die SPD hat gerade ein eigenes Konsolidierungskonzept vorgelegt. Danach soll das Defizit im Haushalt durch drei Komponenten ausgeglichen werden. Erstens: durch Einsparungen. Zweitens: durch bessere Strukturen in der Verwaltung und mehr Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern. Drittens: durch mehr Einnahmen. Dazu wäre man auf den Bund angewiesen. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner empfiehlt, sich erst einmal dafür einzusetzen, bisherige Steuerentlastungen zurückzunehmen. Schleswig-Holstein müsse seine Bundesratsstimmen richtig nutzen, sagt Stegner - und nicht Gesetzen zustimmen, die den Ländern schaden. Beispiel: Wachstumsbeschleunigungsgesetz:

    "Da hat Herr Carstensen konkret gegen die Interessen der Menschen in Schleswig-Holstein gehandelt, und dafür muss er sich verantworten. Wenn Herr Carstensen jetzt hingeht und sagt, wir stellen den Antrag, dass das zurückgenommen wird, wir setzen uns dafür ein und wir setzen es sogar durch, dann zieh ich den Hut. Ich fürchte nur, das wird nicht passieren."

    Wichtiger als die Kritik der Opposition ist für Ministerpräsident Carstensen angesichts der knappen Mehrheit im Landtag der Unmut in den eigenen Reihen. Die Koalitionsabgeordneten im Raum Lübeck wurden nun durch den Erhalt des Lübecker Medizinstudiengangs zufriedengestellt - aber auch in anderen Regionen Schleswig-Holsteins sehen Abgeordnete der Koalition einen Konflikt zwischen den Interessen ihres Wahlkreises und der Koalitionsdisziplin. Ministerpräsident Carstensen hat sie dazu aufgerufen, Alternativ-Vorschläge zu machen.

    "Wenn ich das Gewicht im Paket bekomme, dann bin ich so frei, dann auch zu sagen, jawohl, diese Vorschläge nehmen wir auf. Aber nur zu sagen: Nein, wir akzeptieren das nicht, kann ich nicht akzeptieren."

    Peter Harry Carstensen geht davon aus, dass das Sparpaket letztendlich seinen Umfang behalten wird - auch wenn es noch zu einzelnen Umschichtungen kommen sollte:

    "Das Parlament hat das Königsrecht, den Haushalt festzulegen, und ich bin mir sehr sicher, dass das Gewicht des Pakets nicht verändert wird."

    Medienberichte, nach denen er für den Fall des Scheiterns des Sparpakets mit seinem Rücktritt gedroht hat, hat Carstensen dementieren lassen. Aber vielleicht ist es auch gar nicht nötig, diese Drohung offen auszusprechen. Viele Schleswig-Holsteiner sind der Meinung von Rainer Kersten vom Steuerzahlbund:

    "Gelingt es nicht, das Konzept als Ganzes durchzusetzen, dann, denke ich, wird auch diese Regierungskoalition am Ende sein."

    Am kommenden Dienstag legt die Landesregierung den Entwurf des Doppelhaushalts für 2011 und 2012 vor. Dann ist klar, wo es Ernst wird mit dem Sparen. Den ersten Punkt des Sparpakets hat die Koalition mit ihrer Einstimmenmehrheit schon vorab durchgesetzt: Nach den Sommerferien müssen Eltern für das dritte Kita-Jahr wieder Gebühren zahlen. Das Ergebnis der Abstimmung im Landtag: 48 zu 47. CDU und FDP hatten alle Mann an Deck, und bei diesem Punkt gab es keine Abweichler.